Medizinische Versorgungszentren

Apokalypse durch MVZ? Die hat es nicht gegeben

Die befürchtete Industrialisierung der Medizin findet nur ausnahmsweise statt. Dominant bleiben kleine fragmentierte Strukturen in Einzelpraxen und Kooperationen, so Experten. MVZ seien eine Chance zur Management- Professionalisierung.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
MVZ sind heute etablierter Bestandteil der medizinischen Versorgung.

MVZ sind heute etablierter Bestandteil der medizinischen Versorgung.

© Becker/dpa

BERLIN. "Die Apokalypse für die Vertragsärzte hat nicht stattgefunden." Die als Folge der mit der Gesundheitsreform von 2003 geschaffene Möglichkeit, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu organisieren, hat in der ambulanten Medizin nicht zu der von vielen freiberuflich tätigen niedergelassenen Ärzten befürchteten Industrialisierung und Kommerzialisierung geführt, so das Resümee von Professor Michael Philippi, bis Ende 2016 Vorstandsvorsitzender des Sana-Klinikkonzerns und derzeitiger Vizepräsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft bei den Berliner Gesundheitsgesprächen 2017. Der "Einmarsch" von medizinfremden Investoren konzentriere sich auf technikintensive Disziplinen wie Labor, Radiologie und Augenheilkunde.

Marktsicherung durch MVZ

Die Breitenversorgung in der ambulanten Medizin sei nach wie vor in kleinen Einheiten hoch fragmentiert. Noch auf längere Zeit werde die Einzelpraxis dominant bleiben, aber kontinuierlich an Bedeutung verlieren. Der Trend gehe eindeutig zu größeren Einheiten – analog der Entwicklung bei Rechtsanwälten und Steuerberatern. Ursächlich dafür sei, dass die Komplexität der Leistungen zunehme und Patienten kombinierte Leistungen aus mehreren Disziplinen wünschen.

Medizinische Versorgungszentren seien dabei eine mögliche Organisationsform. Anders als befürchtet seien aber keine Großfabriken entstanden – das durchschnittliche MVZ beschäftigt sechs Ärzte. Tendenz: leicht zunehmend.

Mit derzeit rund 2000 MVZ und einem Marktanteil von rund 15 Prozent an der ambulanten Versorgung sei das Ziel einer Ergänzung von Einzel- und kleinen Gruppenpraxen erreicht. Das Geschäftsmodell sei etabliert.

Aus der Perspektive von Krankenhäusern – sie tragen überdurchschnittlich zum Wachstum von MVZ bei – nennt Philippi zwei Faktoren:

- Die unternehmerischen Ziele von Kliniken: Sicherung der Auslastung, Umsatzgenerierung durch Leistungsausweitung, Marktdurchdringung, Portalfunktion für die stationäre Aufnahme und Synergieeffekte. Diese Faktoren führten in Ballungsregionen zu einem stärkeren Wettbewerb von Kliniken durch ergänzende ambulante Leistungen.

- Sicherstellung der Versorgung im ländlichen Raum, beispielsweise bei Fachärztemangel: Perspektivisch sei das eine Option – in der Realität aber kaum vorzufinden.

Das Zwischenfazit von Philippi fällt eher ernüchternd aus: Die dominierende Motivation, Klinik-MVZ zu betreiben sei nicht, Geld zu verdienen – die Erwartungen an ökonomische Vorteile seien teils "völlig überzogen" gewesen –, vielmehr gehe es um die Gestaltung der Versorgung im Wettbewerb. Für die Überwindung von Sektorengrenzen ebenso wie für die Sicherstellung der Versorgung in ländlichen Regionen seien MVZ eine Möglichkeit, aber in der gegenwärtigen Versorgung nicht realisiert. Die Entwicklung wird zäh bleiben, sprunghafte Fortschritte seien nicht zu erwarten.

Hohe Freiheitsgrade für Ärzte

Und wie sieht die Perspektive für Ärzte aus? Sie haben heute in der ambulanten Medizin die Möglichkeit, zu entscheiden, wie sie arbeiten wollen: als wirtschaftlicher Freiberufler oder als angestellter Arzt.

Mehrere Determinanten führten dazu, dass eine zunehmende Zahl junger Ärzte nicht mehr eine "unternehmerische" Funktion wahrnehmen wollten: der Wunsch nach guter Work-Life-Balance, die Furcht vor Verschuldung durch Investitionen, befürchteter Ärger mit dem angestellten Personal, administrativer Aufwand. Philippi: "Die steigenden Anforderungen an die Management-Qualifikation in der ambulanten Medizin begünstigt sukzessive den Trend zum angestellten Arzt. Das ist nicht zu stoppen."

Begrenzte Rolle von Investoren

Und wie sieht es mit neuen Playern im Gesundheitssystem aus? Es gebe in der Tat internationale Finanzinvestoren, die sich in hoch technisierten Spezialdisziplinen an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Medizin eingekauft haben. Zu beobachten sei dies in der Labormedizin, der Dialyse, Radiologie, Augenheilkunde sowie der Orthopädie – mit einem ganz überwiegend technischen Leistungsspektrum, das mit wachsender Größe und Interdisziplinarität Synergien verspricht. "Hier geht es um Gruppen von hundert Ärzten und mehr – und um ein neues Denkformat, das Ärzten wirtschaftliche Sicherheit, Teamwork und interdisziplinäres Arbeiten verspricht", so Philippi. Aus diesen Großeinheiten sind inzwischen auch Filialen entstanden, die zumindest teilweise die Versorgung in der Fläche sicherstellen.

Jenseits dieser wenigen technik-getriebenen Disziplinen werden die Strukturen nach Philippis Prognose weiter kleinteilig und fragmentiert bleiben. "Weder ambulanter noch stationärer Sektor haben eine Lösung für Versorgungsprobleme auf dem Land", so das nüchterne Fazit.

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