Polizeistatistik

BKA verzeichnet Anstieg bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder

Laut Bundeskriminalamt kam es 2021 zu mehr Fällen sexualisierter Gewalt an Kindern und einer starken Zunahme bei Missbrauchsdarstellungen. Pädiater fordern nachhaltigere Strukturen, um Kindeswohlgefährdung aufzuspüren.

Veröffentlicht:
Stellten am Montag neue Zahlen aus der Kriminalstatistik zur sexualisierten Gewalt an Kindern vor: Holger Münch, BKA-Präsident, und Kerstin Claus, unabhängige Beauftragte für sexuellen Missbrauch.

Stellten am Montag neue Zahlen aus der Kriminalstatistik zur sexualisierten Gewalt an Kindern vor: Holger Münch, BKA-Präsident, und Kerstin Claus, unabhängige Beauftragte für sexuellen Missbrauch.

© Wolfgang Kumm / dpa

Berlin. Vernachlässigte, misshandelte Kinder und Jugendliche sind leider keine Seltenheit in Deutschland. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) stieg die Zahl der Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch im vergangenen Jahr um 6,3 Prozent auf mehr als 15 .500. Einen deutlichen Anstieg um knapp 109 Prozent auf über 39 .000 Fälle gab es bei den Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen.

Hochgerechnet seien vergangenes Jahr pro Tag durchschnittlich 49 Kinder Opfer von sexualisierter Gewalt geworden – zwei mehr als 2020, sagte der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, am Montag vor Journalisten in Berlin. „Das verdeutlicht das dramatische Ausmaß sexualisierter Gewalt gegen Kinder.“

Lesen sie auch

Dunkelfeld um Vielfaches höher

Die jährlichen PKS-Zahlen gäben die der Polizei bekannt gewordenen und durch sie „ausermittelten“ Delikte an, betonte Münch. Das Dunkelfeld insgesamt und der Anteil an Straftaten, von denen die Polizei keine Kenntnis erhalte, liege um ein Vielfaches höher.

Ein Zusammenhang zwischen den zuletzt gestiegenen Zahlen bei Kindesmissbrauch und der im Frühjahr 2020 einsetzenden Coronavirus-Pandemie sei nicht auszuschließen, aber nicht unmittelbar ableitbar, sagte Münch. Kinder und Jugendliche seien als schwächste Mitglieder der Gesellschaft besonders zu schützen und Straftaten gegen sie „besonders zu ächten, zu verfolgen und zu beenden“, so der BKA-Präsident.

Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, sprach von erschreckenden Zahlen. Das tatsächliche Ausmaß des Kindesmissbrauchs bildeten diese aber nicht ab. Es sei ein „Skandal“, dass es zum Dunkelfeld bei den Missbrauchsfällen weiter keine verlässlichen Zahlen gebe.

Lesen sie auch

Claus: Brauchen fundiertes Gesamtbild

Damit fehlten zugleich „wesentliche Bezugsgrößen“, um den jetzt festgestellten Anstieg „sachgerecht“ einordnen zu können, kritisierte Claus. „Wurde nun stringenter ermittelt und deswegen steigen die Zahlen? Oder spiegeln diese Ermittlungszahlen einen Anstieg auch der Straftaten wider? Wir wissen es einfach nicht.“

Notwendig sei ein „wissenschaftlich fundiertes Gesamtbild über die tatsächliche Menge an sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“, erneuerte Claus die Forderung nach Einrichtung eines Forschungszentrums „Prävalenz sexueller Gewalt“.

Alarmiert zeigte sich auch die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz. Hinter jedem statistischen Fall sexualisierter Gewalt an Kindern stecke eine „geschändete Seele“, sagte Lindholz am Montag in Berlin. „Viele Betroffene leiden ihr Leben lang unter diesen abscheulichen Taten.“

Es sei gut, dass das BKA zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch mehr Stellen erhalten solle, sagte Lindholz. Mehr Personal und Ausstattung allein reichten aber nicht. Die Behörden bräuchten auch die notwendigen Befugnisse, um Kindesmissbrauch zu stoppen.

Kindermedizinische Fachgesellschaften und Berufsverbände hatten zuletzt erklärt, auch das Gesundheitssystem müsse bei der Bekämpfung von Gewalt an Kindern und Jugendlichen Verantwortung übernehmen. Zu diesem Zweck seien etwa Kinderschutzgruppen an Krankenhäusern einzurichten und im ambulanten Bereich Modelle zur Regelfinanzierung von Kindesschutz umzusetzen, heißt es in einem unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKiM) entstandenen Positionspapiers.

Fischbach: Derzeitiges System greift zu kurz

„Das derzeitige System reicht einfach nicht aus, um Entwicklungen wie Gewalt, Unterernährung und Verwahrlosung in Familien zu verhindern“, sagte der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dr. Thomas Fischbach. Insbesondere im niedergelassenen Bereich, wo betroffene Kinder und Jugendliche häufig als erstes gesehen würden, brauche es „dringend“ flächendeckende und nachhaltig finanzierte Strukturen, damit Fälle von Kindeswohlgefährdung frühzeitig aufgedeckt werden könnten. Der BVKJ gehört zu den Mitunterzeichnern des Papiers der DGKiM.

Die Ampel hat angekündigt, dass die Aufarbeitung struktureller sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche etwa in Sportvereinen oder Kirchen begleitet und aktiv gefördert werden soll. „Wenn erforderlich“, sollen dafür „gesetzliche Grundlagen“ geschaffen werden. (hom)

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Mediensucht, Depressionen, HPV-Impfung

DAK baut Vorsorgeangebot in Kinder- und Jugendarztpraxen aus

PrEP-Surveillance

So steht es um die PrEP-Versorgung in HIV-Schwerpunktpraxen

Vielversprechende Ergebnisse

Neue Strategie zur Tuberkulose-Früherkennung

Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Tab. 1: Empfohlene Anfangsdosierungen von Ruxolitinib bei akuter und chronischer GvHD in Abhängigkeit vom Alter

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [5, 6]

Graft-versus-Host-Erkrankung

JAK1/2-Hemmung jetzt für Kinder unter zwölf Jahren und in neuer Darreichungsform möglich

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg
Abb. 1: Patienten mit DMD profitierten von einer über 24-wöchigen Vamorolon-Therapie im Vergleich zu einer Therapie mit Prednison in Bezug auf das Längenwachstum

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [14]

Duchenne-Muskeldystrophie (DMD)

Erstes dissoziatives Kortikosteroid zugelassen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Santhera (Germany) GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Überraschende Personalie

Eine Juristin wird Gesundheitsministerin: Das ist Nina Warken

Tipps für die Praxis

So entwickeln Sie Ihre Arztpraxis strategisch weiter

Lesetipps
Die Ärzte Zeitung hat jetzt auch einen WhatsApp-Kanal.

© prima91 / stock.adobe.com

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung

Husten und symbolische Amplitude, die die Lautstärke darstellt.

© Michaela Illian

S2k-Leitlinie

Husten – was tun, wenn er bleibt?