Interview
BVKJ-Präsident Fischbach: Wir erwarten eine klare Perspektive von der STIKO
Kinder ab 12 Jahren können, auch wenn sie keiner Risikogruppe angehören, jetzt schon gegen COVID-19 geimpft werden, sagt der Chef der Kinder- und Jugendärzte Dr. Thomas Fischbach im Interview mit der „Ärzte Zeitung“. Von der STIKO erwartet er dennoch eine Klarstellung.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Dr. Fischbach, nicht nur die Amtsärzte fordern ein bundesweites Impfangebot für alle Kinder ab 12 Jahren – also auch für Teenager ohne bestimmte Vorerkrankungen. Schließen Sie sich der Forderung an?
Dr. Thomas Fischbach: Es ist jetzt schon möglich, die Vakzine an Kinder ab 12 Jahren zu verimpfen. Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission STIKO enthält dazu eine Öffnungsklausel. Ich selber impfe bereits Kinder ab 12 Jahren, die nicht vorerkrankt sind. Voraussetzung ist, dass Eltern und Kinder das möchten und es ein mündliches Aufklärungsgespräch gibt. Aber nicht alle Kinder- und Jugendärzte impfen derzeit, sodass Eltern einige Türklinken drücken müssen, um einen Impftermin für ihr Kind zu bekommen.
Gleichwohl empfiehlt die STIKO bisher nur die Impfung bestimmter Risikogruppen unter den 12- bis 17- Jährigen. Können Kinder- und Jugendärzte damit immer noch „gut leben“?
Wir erwarten, dass sich die STIKO erneut und möglichst zeitnah äußert. Die Eltern brauchen eine klare Perspektive, wie es weitergeht und ob sie ihr Kind impfen lassen sollen. Fakt ist: Es gibt inzwischen zahlreiche Studien, die die Impfung positiv bewerten. Der Corona-Berater der israelischen Regierung und Leiter der größten Kinderklinik des Landes Itai Pessach etwa hat betont, die zugelassenen Vakzinen für ab 12-Jährige seien sicher und gut verträglich. Die Evidenzlage wird breiter. Einige Länder schaffen bereits Fakten. Gerade erst hat Irland eine generelle Impfung der 12- bis 15-Jährigen empfohlen. Das wird sicher so weitergehen.
Bund und Länder wollen am 10. August zu Corona beraten. Was erwarten die Kinder- und Jugendärzte von dem Treffen?
Schulen und Kitas müssen nach den Ferien im Regelbetrieb öffnen. Es darf nicht wieder zu einem Jo-Jo-Effekt kommen: Aufmachen, dichtmachen und wieder von vorne. Wir gehen davon aus, dass mit Start des neuen Schuljahres alle Lehrer und Erzieher – die das wollen oder wollten – vollständig gegen COVID-19 geimpft sind.
Die körperlichen und seelischen Kollateralschäden weiterer Lockdown-Politik wären immens. Vor wenigen Tagen erst hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung festgestellt, dass die Pandemie für Kinder und Jugendliche schon jetzt erhebliche Negativfolgen hat. Solche Befunde muss die Politik ernstnehmen.
In Nordrhein-Westfalen machen Grund- und Förderschulen gute Erfahrungen mit Lolli-PCR-Pooltests. Sollten andere Bundesländer dem Beispiel folgen?
Ohne Teststrategie an Schulen wird es nicht gehen. Kinder haben in der Regel keine oder kaum Symptome, wenn sie an Corona erkranken. Da wird sich keiner darauf einlassen wollen, die Kinder nicht zu testen. Der Vorteil der Lolli-Tests ist, dass sie wesentlich verlässlicher als Schnelltests sind. Die Kinder empfinden die Lolli-Tests auch als weniger belastend, das läuft fast spielerisch ab. Daher sollte die Methode breiter angewendet werden.
Die Bundesregierung verweist auf die umfängliche Logistik, die Lolli-Tests erfordern. Dies sei in ländlichen Regionen schwer vorzuhalten.
Das Problem ist in der Tat, dass Labore in der Nähe der Schulen sein müssen und es ausreichend Testkapazitäten gibt. Aber das zu organisieren, ist nicht Sache von Schulen oder von Kinder- und Jugendärzten. Da muss sich die Politik in Bund und Ländern drum kümmern. Es sind in dieser Pandemie schon ganz andere Sachen gewuppt worden.
Sie praktizieren in Solingen. Die Klingenstadt sorgt derzeit als Stadt mit einer der bundesweit höchsten Sieben-Tage-Inzidenzen für Schlagzeilen. Wirken sich die hohen Infektionszahlen auf Ihren Praxisalltag aus?
In meiner Praxis wie in denen vieler Kolleginnen und Kollegen sind wir momentan eher mit anderen Infekten beschäftigt. Wir beobachten viele Atemwegsinfekte, die für diese Jahreszeit eher ungewöhnlich sind. Wir erklären uns das damit, dass die Infekte im vergangenen Winter so gut wie kaum aufgetreten sind. Jetzt kommt es zu einem Nachholeffekt bei der Immunschuld von Kindern und Jugendlichen.