Montgomery verspricht

Bei GOÄ-Reform wird es keine Verlierer geben

Skeptische Stimmen überwiegen in der Debatte über die GOÄ-Reform - am Ende stärkt der Ärztetag dem BÄK-Vorstand aber den Rücken. Was einzelne Delegierte kritisieren, verraten sie in unserer Video-Umfrage.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
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Veröffentlicht: 28.05.2014 © Springer Medizin

DÜSSELDORF. Begleitet von einer großen Portion Skepsis, letztlich aber mit großer Mehrheit hat der 117. Deutsche Ärztetag am Mittwoch der Bundesärztekammer und ihrem Verhandlungsführer Dr. Theodor Windhorst (Westfalen-Lippe) das Verhandlungsmandat gestärkt.

"Der Ärztetag appelliert dringend an die Bundesregierung, den Bundestag sowie an die Länder und den Bundesrat sowie an die Beihilfeträger, nun ihren Teil zu erfüllen und die längst überfällige Novellierung der GOÄ entsprechend (...) auf dem Verordnungsweg schnellstmöglich umzusetzen."

Hintergrund ist die im November 2013 zwischen Bundesärztekammer und PKV-Verband geschlossene Rahmenvereinbarung, mit der lange Zeit als unüberwindlich geltende gegensätzliche Positionen überwunden wurden.

Aus Sicht der Ärzteschaft besonders wichtig: Die PKV verzichtete auf ihre Forderung nach einem Selektivvertragssystem. Was bringt die Rahmenvereinbarung?

- Zunächst hat die PKV auf ihr Einkaufsmodell verzichtet.

- Man hat sich auf Grundsätze des Bewertungsverfahrens geeinigt.

- Das Leistungsverzeichnis soll den medizinischen Fortschritt seit Anfang der 1980er Jahre integrieren.

- Die neue GOÄ soll kontinuierlich weiterentwickelt werden, Innovationen sollen rasch integriert werden.

- Es sollen keine Mengensteuerungen, Budgetierungen oder Pauschalierungen wie im EBM geben. Auf der Basis eines regelmäßigen Monitorings sei lediglich ein Gegensteuern bei "ungerechtfertigter Honorarentwicklung" vorgesehen.

- Der bisherige Regelmultiplikator von 2,3 soll durch einen "robusten Einfachsatz" ersetzt werden.

Höhere Unzeitzuschläge, bessere Vergütung von länger andauernden Beratungen

Windhorsts Fazit: "Mit der Rahmenvereinbarung entspricht die BÄK der Ärztetags-Beschlussfassung von 2011 und 2012." Erstmals nannte der BÄK-Verhandlungsführer nun Details für wichtige Leistungen:

- Besuch, einschließlich Beratung und symptombezogener Untersuchung: nach der geltenden GOÄ-Ziffer 50 gibt es dafür bei 2,3-fachen Satz 42,90 Euro, künftig bei Anwendung des sogenannten robusten Einfachsatzes mindestens 76,94 Euro; dauert die Beratung länger als zehn Minuten und wird zusätzlich ein Organsystem untersucht, steigt das Honorar auf 130,56 Euro.

- Vor allem die Unzeitzuschläge sollen kräftig angehoben werden: So steigt das Honorar für die unverzügliche Ausführung eines Besuchs von 9,33 auf 52,46 Euro.

- Die Leichenschau (Nr. 100), die bislang bei 3,5-fachem Satz 51 Euro bringt, soll nach der neuen Nummer 72 mit 93,26 Euro bewertet werden. Hinzu kommen 39,64 Euro für die Beratung von Angehörigen sowie Unzeitzuschläge zwischen 29,14 und 52,46 Euro. Diese Positionen gibt es derzeit nicht.

- Vor allem länger dauernde Beratungen werden deutlich, teils um mehr als 50 Prozent aufgewertet. Der Preis einer homöopathischen Erstanamnese soll von 117,91 auf 183,60 Euro steigen.

- Innovationen werden weiterhin über Analogziffern in die medizinische Praxis Eingang halten können. Wichtige Innovationen sollen zügig in eigenständigen Leistungsziffern abgebildet werden.

Gleichwohl bleiben viele offene Fragen. Längst sind nicht alle weit über 4000 Leistungspositionen vollständig durchkalkuliert und vor allem in ihrer (möglichen) Abrechnungshäufigkeit simuliert worden. Das heißt: Weder die Kostenwirkungen für Versicherungen und Beihilfe noch die Verteilungswirkung unter den verschiedenen Arztgruppen sind derzeit übersehbar.

Montgomery: Es wird keine Verlierer geben

In der Debatte überwogen die eher kritischen und skeptischen Stimmen. Beispielhaft das Statement des Delegierten Dr. Hartwig Kohl: "Wir können nicht die Katze im Sack kaufen. Nennen Sie die Kröten, die wir schlucken müssen und sagen Sie, wer wieviel dabei verlieren wird."

BÄK-Präsident Montgomery verspricht, dass es keine Verlierer geben werde. Es könne aber sein, dass sich Zuwächse unterschiedlich verteilen. Windhorst und Rochell versprechen, dass Befürchtungen etwa von Radiologen oder Ärzten, die Laborleistungen erbringen oder abrechnen, keine Grundlage haben. Dagegen sollen Vorkehrungen getroffen werden.

Auch ein Steigerungsfaktor soll nach der Reform angewendet werden können, und zwar in Abhängigkeit von Zeitaufwand, Schwierigkeit der Leistung und anderen Umständen des Einzelfalls. Über die mögliche Höhe des Multiplikators, Begründungsschwellen und Höchstsätze schwiegen sich Windhorst und Rochell aus.

Keine Garantie gibt es dafür, dass sich die Ärzte mit ihrer Forderung nach einem Inflationsausgleich durchsetzen werden. Die geforderten 31,8 Prozent machen mehr als drei Milliarden Euro Belastung bei den Versicherungen aus. Unbeantwortet bleibt die Frage nach dem Struktureffekt und seinen Kosten.

Mit Unbehagen sehen manche Delegierte, etwa der Präsident des Berufsverbandes Deutscher Internisten, Dr. Wolfgang Wesiack, den Zugang von Innovationen in die Privatmedizin. Einerseits soll es bei dem Weg über Analogziffern bleiben.

Andererseits soll ein Gremium von Bundesärztekammer und Privater Krankenversicherung wichtige Innovationen als eigenständige Leistungsziffer für die GOÄ konsentieren und dem Verordnungsgeber vorschlagen.

Kritiker sehen darin eine Parallelstruktur zum Gemeinsamen Bundesausschuss in der Kassenmedizin. Und damit die Einführung des Erlaubnisvorbehalts in der Privatmedizin.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Großbaustelle bis zum St. Nimmerleinstag

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Kommentare
Dr. Lothar Krimmel 30.05.201413:15 Uhr

BÄK hat klug gehandelt

Es stimmt: von geringfügigen Ausnahmen abgesehen, handelt es sich bei der derzeitigen GOÄ um das Leistungsverzeichnis der Ersatzkassen-ADGO des Jahres 1977, das 1978 zum EBM und 1982 auch zur GOÄ gemacht wurde. Die heutige GOÄ bildet also den Stand der Medizin des Jahres 1977 ab, und auch die Bewertungen sind seither nur marginal angehoben worden.
Aber um die Rolle der Bundesärztekammer in dieser Zeit zu beurteilen, muss man der erheblichen Komplexität einer Privatgebührenordnung Rechnung tragen. Drei Aspekte sind hier von besonderer Bedeutung:
1. Im Unterschied zu den GOÄ-Punktwerten haben sich die GOÄ-Honorare seit 1982 (und zwar sowohl je Arzt als auch je Versicherten) sehr erfreulich entwickelt. Offensichtlich haben die Ärzte im Laufe der Zeit immer besser gelernt, mit dieser GOÄ umzugehen. Die BÄK hat kluger Weise hierauf niemals aufmerksam gemacht. Es war Sache des PKV-Verbandes, darauf hinzuweisen, dass die GOÄ-Honorare stets deutlich stärker als die PKV-Gesamtausgaben und auch die Wirtschaftsentwicklung zulegten, vom Vergleich mit den EBM-Honoraren ganz zu schweigen.
2. Die GOÄ ist eine Rechtverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates. Faktisch bedarf daher jede GOÄ-Reform einer Mehrheit sowohl im Bundestag (der ja die Bundesregierung wählt) als auch im Bundesrat. Die Jahre, in denen das seit 1982 der Fall war, können an einer Hand abgezählt werden. Meist war dies im ersten Jahr nach einem Regierungswechsel der Fall, wo dringlichere Aufgaben anstanden als eine GOÄ-Reform. Mit anderen Worten: die politischen Zeitfenster für eine GOÄ-Reform sind selbst im Verlauf von Jahrzehnten sehr selten und dann auch jeweils sehr kurz. Dieses politische Phänomen kann man nicht der Bundesärztekammer anlasten.
3. Die Bundesärztekammer ist nur einer von zahlreichen Akteuren, die bei einer GOÄ-Reform mitreden. Sie ist zudem (anders als etwa die KBV beim EBM) durch keine gesetzliche Regelung offiziell am Verordnungsprozess beteiligt. Die Bundesländer dagegen, die über die Beihilfe direkt in die GOÄ involviert sind, entscheiden qua Bundesrat über das Schicksal jedes Reformversuchs und damit über ihre eigenen Leistungsausgaben. Auch in der aktuellen Legislaturperiode hat die große Koalition auf Bundesebene wegen der zahlreichen anderen Koalitionen in den Bundesländern keine eigene Mehrheit im Bundesrat. Zudem versuchen maßgebliche Gesundheitspolitiker von SPD und Grünen, im Vorgriff auf eine angestrebte Bürgerversicherung die GOÄ durch sture Reformverweigerung allmählich ad absurdum zu führen und damit auf lange Sicht eine einheitliche Gebührenordnung für alle Versicherten zu erzwingen.
In dieser sehr komplexen Situation schlägt sich die Bundesärztekammer nach meinem Eindruck außerordentlich gut, auch wenn sie zu Recht nicht immer alle Einzelheiten ihrer zahlreichen Aktivitäten nach außen kommuniziert. Und dieser Eindruck gilt auch für die Vergangenheit. Denn angesichts der immer wieder geführten Attacken seitens PKV, Bundesländern und Rot-Grün hätte die GOÄ-Honorarentwicklung der vergangenen 30 Jahre ohne die kluge Politik der BÄK auch ganz anders aussehen können.

Dr. Thomas Georg Schätzler 29.05.201412:05 Uhr

GOÄneu: "Katze im Sack" oder "black box"?

Manchmal frage ich mich, ob das, was ich seit Jahren schreibe und als derzeit 95. Newsletter an über 350 Empfänger/-innen regelmäßig verschicke, überhaupt gelesen und verstanden wird. Nochmal zur Wiederholung:
Die BÄK hat die zu ihrer K e r n k o m p e t e n z gehörende Reform der GOÄ jahrzehntelang verschlafen:
• die GOÄ-Systematik vom 16.4.1987 (BGBl. I, S. 1218) ist 27 Jahre alt
• 14 Prozent GOÄ-Punktwert-Anhebung in 31 Jahren (1983-2014)
• kalkulatorischer Punktwert 10 (1983), 11 (1988), 11,4 "Pfennige" (1996)
• jährlicher Punktwertanstieg plus 0,45 Prozent per annum.

Erst im November 2013 wurde eine noch halbfertige „Rahmenvereinbarung“ zwischen Bundesärztekammer (BÄK) und PKV-Verband zusammengezimmert, die bis heute nicht komplett öffentlich dargelegt wurde. Vorausgegangen waren mehr als fünf Jahre ergebnisloser Verhandlungen; seit über drei Jahren wurde von der BÄK-Spitze immer wieder wider besseres Wissen und erfolglos behauptet, dass die neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄneu) unmittelbar vor dem Abschluss stünde.

Weil man einen "Shitstorm" der Delegierten des aktuellen Deutschen Ärztetages in Düsseldorf ebenso fürchtete, wie einen Aufstand der Freien Ärzteverbände, hatte man die GOÄneu als TOP gesetzt. Wie verschnarcht der BÄK-Vorstand allerdings ist, erkennt man beispielsweise an Punkt 3 der Aufstellung in der ÄZ: "Das Leistungsverzeichnis soll den medizinischen Fortschritt seit Anfang der 1980er Jahre integrieren".

Das heißt im Klartext, die BÄK hat Haus-, Fach-, Spezial- und zur Privatliquidation ermächtigte Klinikärztinnen und-ärzte seit fast 34 Jahren von medizintechnischen Innovationen im Gegensatz zur Pharmaindustrie, dem technisch-medizinisch-industriellen Komplex und den Krankenhauskonzernen a b g e k o p p e l t.

Die bisherigen Verhandlungen zwischen BÄK und PKV-Verband drohten u. a. auch daran zu scheitern, weil ausgerechnet unser Präsident und Kollege Frank Ulrich Montgomery ''ex post'' einen völlig absurden Inflationsausgleich rückwirkend ab 1996 in Höhe von 30,4 Prozent gefordert und zugleich verschwiegen hat, dass die BÄK seit 30 Jahren in aller Seelenruhe zugeschaut hatte, wie es zu Facharzt- und Technik-lastigen, völlig unkontrollierten Mengenausweitungen mit immer obskureren Analog-Anwendungen bei den GOÄ-Abrechnungen zu Lasten der privat Krankenversicherten, der Privaten Krankenversicherer (PKV) u n d der Beihilfestellen gekommen war.

Peinlich allerdings, dass der EBM-, GOÄ- und auch sonst abrechnungsferne Kollege Harald Terpe von den GRÜNEN/Bündnis 90 im Kurzinterview mit der Ärzte Zeitung der irrigen Annahme verfiel, eine GOÄneu müsse auch die Zahlungsproblematik und-moral der Beihilfestellen berücksichtigen: Der Behandlungs- und Honorarvertrag wird nur und ausschließlich zwischen Arzt und Patient für die Erfüllung medizinischer Dienstleistungen geschlossen. Welche Private Krankenversicherung und/oder Beihilfestelle die korrekte ärztliche Liquidation dann (teilweise) rückerstattet, kann und darf die GOÄ nicht tangieren. Von den Patienten geschlossene sekundäre Absicherungsverträge sind ein zweites Paar Schuhe.

Und was war noch peinlicher? Ja, richtig; die Vorstellung des Bundesärztekammerpräsidenten: "Die bessere PKV-Vergütung führt zu schnelleren Terminen"! (Titelzitat der aktuellen Ärzte Zeitung seiner Eröffnungsrede beim Deutschen Ärztetag 2014). Bei der neuen GOÄ müssen wir alle wohl noch auf den Sankt-Nimmerleinstag warten.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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