Preiskampf unter Kassen
Bleibt Solidarprinzip auf der Strecke?
So lange einige Krankenkassen noch Zusatzbeiträge bieten, die deutlich unter dem Durchschnitt liegen, ist für die Bundesregierung die Welt in Ordnung. Die Kollateralschäden dieses reinen Preiswettbewerbs werden selten öffentlich.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Die Bundesregierung wird nicht müde, den aus ihrer Sicht funktionierenden Wettbewerb zwischen Krankenkassen zu preisen.
66 der 117 Kassen weisen aktuell einen Zusatzbeitrag unter 1,1 Prozent auf, darauf wies BMG-Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) noch Ende Januar im Bundesrat hin.
Die Botschaft: Versicherte, die es billiger wollen, sollen halt wechseln. Nur selten wird offenbar, in welchem Maße diese Form von Preiswettbewerb das auf Solidarität fußende GKV-System aus den Angeln hebt.
Dies geschieht in der Regel nur dann, wenn vertrauliche Dokumente der Kassen öffentlich werden.
So wie im Jahr 2012, als die KKH-Allianz in der Kritik stand. Die internen Dokumente, die der "Ärzte Zeitung" vorliegen, sprechen eine eigene Sprache: Mit der "Scharfschaltung der Zusatzbeiträge wird der Versorgungswettbewerb zum Preiswettbewerb", heißt es damals.
Die Parameter Leistungen und Service träten "aus Kundensicht in den Hintergrund".
"Wertsteigerung der Versichertensubstanz"
Nötig seien dagegen "Neuakquisitionen", die "durch Wertsteigerung der Versichertensubstanz ein qualitatives Wachstum sichern". Jede Entscheidung, heißt es in dem an Führungskräfte gerichteten Papier, müsse darauf abgeklopft werden, "ob sie einen Beitrag zur Wertschöpfung leistet".
Die Vorwürfe, die Kasse versuche bei Neukunden chronisch Kranke oder Geringverdiener auszugrenzen, lösten ein verheerendes Medienecho aus.
Vier Jahre später: Die KKH-Allianz habe diese Vertriebsaktivitäten "systematisch durch die interne Revision aufarbeiten lassen und zudem personelle und organisatorische Konsequenzen gezogen", berichtet die KKH-Sprecherin Daniela Preußner auf Anfrage der "Ärzte Zeitung".
Der Vorgang rief seinerzeit auch das Bundesversicherungsamt (BVA) auf den Plan. Die Aufarbeitung der Vorfälle sei von der Behörde "aufsichtsrechtlich begleitet" worden, sagt Sprecher Tobias Schmidt.
Alle Probleme gelöst? Mitnichten, meint die KKH. Die GKV erlebe durch die Zusatzbeiträge "einen verschärften Preiswettbewerb, der leider zu Lasten eines Wettbewerbs um die bestmögliche Versorgung geht", sagt KKH-Sprecherin Preußner.
Zwar bietet die Kasse nach eigener Darstellung "ein weit überdurchschnittliches Leistungs- und Servicespektrum" und nennt dafür beispielhaft Projekte zum Gesundheitscoaching oder zur Migränebehandlung.
Preis vor Leistung
Doch muss die KKH - sie liegt mit 15,8 knapp über dem Durchschnittsbeitragssatz von 15,7 Prozent - einräumen, dass bei Wechselentscheidungen von Mitgliedern "im Wesentlichen der Preis die entscheidende Rolle spielt. Nur in Ausnahmefällen können spezifische Leistungsangebote überzeugen", so Preußner.
"Die Preisanreize, die über die individuellen Zusatzbeiträge gesetzt werden, sind einfach zu stark", resümiert sie. Hinzu kämen die Verzerrungen zwischen einzelnen Kassen und Kassenarten durch den Risikostrukturausgleich.
Die Ergebnisse dieser finanziellen Verwerfungen könnten "über ein gutes Management nicht ausgeglichen werden". Wie reagieren andere Kassen? Dem Bundesversicherungsamt sind nach eigenen Angaben seit der Affäre um die KKH-Allianz "keine Anhaltspunkte für vergleichbare Sachverhalte bekannt geworden", bei denen Kassen systematisch die "Mitgliedschaftsrechte bestimmter Personengruppen beeinträchtigt haben", teilt die Behörde mit.
Der "Ärzte Zeitung" indes liegen Dokumente vor, wonach der Anreiz, insbesondere gesunde Gutverdiener anzusprechen, in den Vertriebsabteilungen der Kassen nicht nur in den Hinterköpfen präsent ist.
"Gesundheitsbewusste und erfolgreiche Menschen"
Ein privater Kooperationspartner der Hanseatischen Krankenkasse (HEK) informiert im Mai 2015 im Online-Außendienstportal Mitarbeiter mit diesen Worten: Die HEK (Zusatzbeitrag: 1,0 Prozent) wende sich "überwiegend" an "gesundheitsbewusste und erfolgsorientierte Menschen" mit einem "überdurchschnittlichen Jahreseinkommen".
Zur bevorzugten Klientel gehörten "Akademiker, kaufmännische Angestellte, Auszubildende und Studenten, Selbstständige, Familien", heißt es dort.
Wie sollen Versorgerkassen sich zu Wettbewerbern positionieren, die sich selbst als - so wörtlich - "Business K(l)asse" präsentieren? Das Rezept der Koalition mit Blick auf die Versicherten ist einfach und heißt Kassenwechsel.
Auf der Strecke bleibt dabei der Versorgungswettbewerb: "Die Effekte einer verbesserten Prävention oder Versorgung werden erst zu einem späten Zeitpunkt wirksam - zu dem aber viele Mitglieder längst zu einer Kasse mit einem geringeren Zusatzbeitrag gewechselt sind", sagt KKH-Sprecherin Preußner.
Ihr Fazit: Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen lässt sich ein "Qualitätswettbewerb nur schwerlich umsetzen".