Coronavirus-Ausbruch
Briten mobilisieren alles, was geht
Pflegeschüler, Medizinstudenten und pensionierte Ärzte sollen Kliniken in Großbritannien während des Coronavirus-Ausbruchs unterstützen. Aber es fehlt vor allem an Intensivbetten.
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Das Coronavirus setzt auch den Briten zu: Premierminister Boris Johnson spricht von der größten Herausforderung in der Geschichte seines Landes.
© Richard Pohle / The Times / picture-alliance
London. Das staatliche britische Gesundheitswesen steht spätestens seit vergangener Woche „vor den größten Herausforderungen seiner langen Geschichte“, wie Britanniens Premier Boris Johnson am Mittwoch in London sagte. Drastische Maßnahmen in Kliniken und Praxen sollen trotzdem dafür sorgen, dass Patienten versorgt werden können.
Von April an sollen in den staatlichen Kliniken alle als „nicht dringlich“ eingestuften Operationen auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Ziel ist es laut Londoner Gesundheitsministerium „so viel wie möglich freie Kapazitäten“ zu schaffen für den Fall, dass das sich ausbreitende Coronavirus SARS-CoV-2 tausende oder sogar zehntausende Patienten zusätzlich in die Kliniken bringt.
Rechtlicher Rahmen fehlt noch
Fachärzte und Spezialisten, die im NHS nahezu alle in Kliniken arbeiten, wurden aufgefordert, nicht nur im eigenen Fachbereich zu praktizieren, sondern auch in anderen Gebieten. Narkoseärzte zum Beispiel sollen ab sofort öfter in der Intensivmedizin arbeiten.
Bereits pensionierte Ärzte sind aufgefordert, zurück zur Arbeit zu kommen und Medizinstudenten sollen schon bald auf den Stationen arbeiten.
Derzeit ist die Regierung damit beschäftigt, die dafür notwendigen rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Dasselbe gilt für die Pflegeberufe. Auch hier sollen tausende noch in der Ausbildung befindliche oder bereits im Ruhestand stehende Arbeitskräfte bereits im März in den aktiven Dienst auf den Stationen treten.
Ähnlich wie in Berlin sollen auch in Großbritannien andere Gebäude zu Ad-hoc-Kliniken umfunktioniert werden. Das gilt etwa für Messehallen, Kasernen oder Hotels, so Gesundheitsminister Matt Hancock. Hancock steht im Kreuzfeuer der Kritik, weil es auf der Insel bislang anders als es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, keine Massentests für das Virus gibt.
Dramatische Szenen in NHS-Praxen
Dramatische Szenen auch in vielen NHS-Hausarztpraxen. Viele Allgemeinärzte sind dazu übergegangen, Sprechstunden hauptsächlich online beziehungsweise per Telefon anzubieten. „Wir würden sonst vollkommen überrannt“, so eine Londoner Hausärztin zur „Ärzte Zeitung“.
Der NHS empfiehlt besorgten Patienten, „nicht in die Praxis oder ins Krankenhaus zu gehen“, sondern stattdessen sich zu Hause für mindestens sieben Tage zu isolieren und eine NHS-Hotline anzurufen.
Die rund 100 .000 NHS-Hausärzte sollen zudem in den kommenden Tagen damit beginnen, über 70-Jährige und Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen zu kontaktieren, um ihnen patientenspezifische Präventionsmaßnahmen zu erläutern.
Zwei der größten Probleme für den NHS sind derzeit fehlende Intensivbetten und Beatmungsgeräte. Der NHS hat laut Gesundheitsminister Hancock „rund 5000“ Beatmungsgeräte und deutlich weniger Intensivbetten wie vergleichbare andere Länder.
Bizarr: Hancock wandte sich vor wenigen Tagen im Fernsehen an Auto- und Maschinenhersteller mit der Aufforderung, ihre Produktion auf Beatmungsgeräte umzustellen. Das kann als Zeichen der Verzweiflung interpretiert werden.