Einstimmig beschlossen
Bundestag macht den Weg frei für Cannabis auf Rezept
Ärzte können Hanf als verschreibungspflichtiges Medikament verordnen. Nach jahrelanger Debatte hat das Parlament heute den Umgang mit Cannabis als Medizin völlig neu geregelt. Krankenkassen müssen die Kosten im Regelfall erstatten.
Veröffentlicht:BERLIN. Medizinalhanf wird für Ärzte ein verschreibungsfähiges Medikament, das die Krankenkassen bezahlen müssen. Nur "in begründeten Ausnahmefällen" kann die Erstattung von den Kassen abgelehnt werden. Damit hat der Gesundheitsausschuss des Bundestags am Mittwoch den Weg frei gemacht für die Regelung von Cannabis als Medizin. Alle Änderungen im Ausschuss wurden einstimmig verabschiedet. Die abschließende Bundestagsberatung am heutigen Donnerstag war daher Formsache.
Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben künftig Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität oder mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon.
Dies gilt dann, wenn entweder eine allgemein anerkannte Therapie nicht zur Verfügung steht oder nach der "begründeten Einschätzung" des behandelnden Arztes Medizinalhanf vorzuziehen ist. "Damit stärken wir die Therapiehoheit der Ärzte", sagte der SPD- Abgeordnete Burkhard Blienert der "Ärzte Zeitung".
Gestrichen worden ist zudem die Vorgabe im Regierungsentwurf, dass Patienten zuvor "erfolglos austherapiert" sein müssen, bevor Cannabis verordnet werden kann. Blienert bezeichnet den Beschluss nach einer jahrelangen – oft ideologisch gefärbten – Debatte als einen "Meilenstein". Die lange Beratung, der Kabinettsentwurf liegt schon seit dem Sommer vor, habe sich gelohnt.
Wichtig für Patienten im Rahmen der speziellen ambulanten Palliativbehandlung (SAPV): Hier müssen Kassen binnen drei Tagen über den Verordnungsantrag entscheiden.
Das "Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften" drohte über Monate an Vorbehalten in der Union zu scheitern. Rückenwind gab den Beratungen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom April 2016: Es hatte erstmals einem MS-Patienten die Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis gewährt. Eine wachsende Eigenanbau-Szene aber wollten CDU und CSU vermeiden.
Enttabuisierung der Cannabistherapie
In der jetzt geänderten Fassung ist das Gesetz aus Sicht von Dr. Harald Terpe, Sprecher für Drogen- und Suchtpolitik der Grünen im Bundestag, ein Erfolg, weil die Cannabistherapie "enttabuisiert" werde. Dass Cannabis-Patienten verpflichtet werden, an einer Begleiterhebung teilzunehmen, hält Terpe aber für "nicht nachvollziehbar". Vertragsärzte müssen anonymisierte Daten ihrer Patienten an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) melden.
Anlässlich der Anhörung hatte die KBV angemerkt, von einer nicht-interventionellen Beobachtungsstudie seien nur Ergebnisse auf "niedrigem Evidenzgrad" zu erwarten, da lediglich einzelne Fälle dokumentiert würden. Der SPD-Abgeordnete Blienert nannte die Datenerhebung sinnvoll, "da wir Neuland betreten".
Ungelöst bleiben aus Sicht des Linken-Abgeordneten Frank Tempel Fragen des Straßenverkehrsrechts. Schmerzpatienten, die unter einer Cannabistherapie Auto fahren, müssten bei Kontrollen weiter mit dem Vorwurf rechnen, "berauscht" am Steuer zu sitzen, sagte Tempel. Nötig seien bundeseinheitliche Kontrollmethoden, die Cannabispatienten die Teilnahme am Straßenverkehr ermöglichen.
Nach Inkrafttreten des Gesetzes entfällt für Patienten der Zwang, bei der Bundesopiumstelle des BfArM eine Ausnahmegenehmigung beantragen zu müssen. In rund 1000 Fällen ist dies bis Ende vergangenen Jahres genehmigt worden. Die Kosten mussten die Patienten bisher aus der eigenen Tasche zahlen. Im Schnitt waren dies bisher monatlich 540 Euro, in einzelnen Fällen bis zu 1800 Euro.
Die Deutsche Schmerzgesellschaft hat bereits den Entwurf des Gesetzes in der Kabinettsfassung begrüßt, mahnte aber hochwertige Studien über die Anwendung von Cannabinoiden in der Schmerzmedizin an. Leider sei die Studienlage bisher "oftmals schwach". Angezeigt sei es – wie bei anderen schmerztherapeutischen Verfahren auch – Cannabis immer im Kontext einer multimodalen Schmerztherapie anzuwenden, nicht aber als isoliertes Therapieverfahren, erklärte die Schmerzgesellschaft.
Cannabis als Medizin
Im Betäubungsmittelgesetz wird die Anlage III so geändert, dass der Status zugelassener Fertigarzneimittel auf Cannabisbasis unverändert bleibt, getrocknete Cannabisblüten und -extrakte aber verkehrs- und verschreibungsfähig werden.
Die Zahl der Versicherten, die künftig Anspruch auf Versorgung mit Cannabis haben, lässt sich nach Angaben der Bundesregierung nicht schätzen. Andererseits taxiert sie die Kostenersparnis für Patienten, die Cannabis nicht mehr selber zahlen müssen, auf 1,7 Millionen Euro pro Jahr.