Leben und Tod
Bundesverfassungsgericht urteilt über Sterbehilfe-Verbot
Seit Ende 2015 ist die „geschäftsmäßige“ Sterbehilfe verboten. Am 26. Februar entscheidet das Bundesverfassungsgericht auch über die Klagen von sieben Ärzten. Es geht im Wortsinne um Leben und Tod.
Veröffentlicht:Karlsruhe. Seit rund vier Jahren gilt in Deutschland ein Verbot „geschäftsmäßiger“ Sterbehilfe. Auch unter Ärzten ist dies heftig umstritten. Am kommenden Mittwoch (26. Februar) will das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob das Verbot rechtmäßig ist.
Nach dem am 10. Dezember 2015 in Kraft getretenen Paragrafen 217 Strafgesetzbuch macht sich strafbar, „wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“. Verstöße werden mit Geldstrafe oder mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.
Dabei zielt „geschäftsmäßig“ nicht auf eine Gewinnabsicht. Das Wort ist vielmehr eine Abgrenzung zur Einzelhandlung aus persönlicher Betroffenheit. Wer also im Einzelfall einem Nahen Angehörigen oder Freund bei der Selbsttötung hilft, bleibt straffrei. Wer dies aber regelmäßig oder wiederkehrend tut oder auch nur tun will, macht sich strafbar – selbst dann, wenn dies aus rein ideellen Gründen geschieht.
Auch Ärzte von Strafe bedroht
Von der Strafandrohung sind zwar zuerst Vereine wie „Sterbehilfe Deutschland“ und „Dignitas“ betroffen. Aber auch Ärzte haben Justitias Schwert im Nacken. Außer Patienten sind daher auch Vereine und Ärzte nach Karlsruhe gezogen.
Für Palliativmediziner ist die mit dem Sterbehilfegesetz geschaffene Gemengelage besonders vielschichtig. Sieben Ärzte sind unter den 13 Beschwerdeführern. Sie sehen ihre Berufsfreiheit von einer Vorschrift bedroht, die eigentlich auf die Sterbehilfevereine abziele.
Zwei Tage hatten sich die Karlsruher Richter im April Zeit genommen, um das umstrittene Verbot mit den Klägern sowie zahlreichen mit dem Thema befassten Organisationen zu diskutieren. Dabei stellten sie kritische Fragen, eine Vorprägung ihrer Entscheidung ließen sie dabei aber nicht erkennen.
In den Niederlanden, bisher „Vorreiter“ bei der Tötung auf Verlangen („aktive Sterbehilfe“), deuten sich die Grenzen der Ausweitung einer liberalen Sterbehilfepraxis an.
Zur Erinnerung: Seit 2002 ist die Tötung auf Verlangen durch Ärzte in den Niederlanden gesetzlich geregelt. 2018, neuere Zahlen liegen nicht vor, wurden den zuständigen Kontrollkommissionen 6126 Fälle von „aktiver Sterbehilfe“ gemeldet, das entspricht vier Prozent aller Todesfälle im gleichen Jahr.
Werden von den Ärzten „Sorgfaltskriterien“ beachtet, ist die Tötung auf Verlangen straffrei. Dazu gehört etwa, dass die Patienten „unerträglich und aussichtslos“ leiden. Seit 2002 ist die Zahl der Tötungsfälle damit erstmals zurückgegangen – 2017 wurden 6585 legale Tötungen auf Verlangen gemeldet.
90 Prozent der Menschen, die auf eigenes Verlangen zumeist vom Hausarzt getötet wurden, hatten fortgeschrittene Krebserkrankungen (4013 Fälle), Parkinson, Multiple Sklerose oder ALS (382), Herz- und Gefäßerkrankungen (231) oder Kombinationen mehrerer Erkrankungen (738).
21.000 Menschen befragt
Doch vor allem die liberale Partei D 66 drängte 2017 bei den Koalitionsverhandlungen die konservativen Regierungspartner (VVD und ChristenUnie) zu einer Ausweitung: Sterbehilfe sollte auch nach „einem erfüllten Leben“ (voltooid geacht leven) möglich werden. Weil die D 66 bei diesem Vorhaben mit den C-Parteien über Kreuz lag, einigte man sich, erst wissenschaftliche Expertise einzuholen.
Diese liegt seit Januar vor: Im Auftrag des niederländischen Gesundheitsministeriums hat ein Team um Studienleiterin Els van Wijngaarden von der Universität Utrecht repräsentativ rund 21.000 Menschen über 55 Jahre sowie 1600 Hausärzte befragt.
Der Bericht „Perspektiven älterer Menschen mit dem Wunsch, ohne ernsthafte Krankheit zu sterben“ zeigt die Unwägbarkeiten, die Praxis der Tötung auf Verlangen noch weiter auszuweiten. 0,18 Prozent der niederländischen Bevölkerung über 55 Jahre, umgerechnet über 10 .000 Menschen, haben demnach einen anhaltenden und aktiven Wunsch, ihr Leben zu beenden – obwohl sie nicht ernsthaft krank sind.
Noch deutlich größer ist die Gruppe der Menschen mit einem in der Studie so bezeichneten „passiven Verlangen“ nach dem Tod. Das sind knapp 0,8 Prozent der insgesamt 5,6 Millionen Niederländer über 55 Jahre. Doch wie wenig statisch und unabänderlich der Todeswunsch bei vielen Befragten ist, schilderte Studienleiterin Wijngaarden in einem Interview mit der Zeitung „Trouw“.
Ein älterer Mann erzählte dem Interviewer, er wünsche sich eine Pille, die nur im Winter tötet, wenn es draußen dunkel ist. „Das sagt viel über die Ambivalenz des Wunsches, sterben zu wollen“, so Wijngaarden.
Tatsächlich sei auch bei dem „harten Kern“ der rund 10.000 Menschen von einem ständigen Wechsel auszugehen – und diese schwanken zwischen dem Wunsch nach Weiterleben oder dem Tod.
Oft wenig gebildet und einsam
Sollte für diese Gruppe mit ambivalentem Todeswunsch die Sterbehilferegelung ausgeweitet werden? Überraschend auch für die Wissenschaftler sind die gemeinsamen sozio-ökonomischen Merkmale: Stark überrepräsentiert in der Gruppe sind Ältere mit mittlerem oder niedrigem Bildungsgrad.
56 Prozent der Befragten berichten von Einsamkeit, 42 Prozent fühlen sich als Last für andere, 36 Prozent gaben in der Befragung Geldprobleme an. Drei von vier Niederländern, die lieber tot sein möchten, sind jünger als 75 Jahre.
Gesundheitsminister Hugo de Jonge (VVD) reagierte alarmiert auf die Ergebnisse: „Gerade weil die Studie zeigt, dass der Todeswunsch situationsabhängig variiert, können Antworten auf die Probleme dieser Gruppe nicht in einer gesetzlichen Regelung gefunden werden.“
In seinem Bericht an das Parlament versuchte de Jonge, die Debatte vorzuprägen. Es müssten Antworten auf dieses „große soziale Problem“ gefunden werden, „ohne die Gesetzgebung zur Sterbehilfe auszuweiten“, fordert er.
Das sieht die Abgeordnete Pia Dijkstra von der D 66 anders. Sie will in Kürze einen Gesetzesantrag einreichen, der das Sterbehilfegesetz um das Kriterium „erfülltes Leben“ erweitert. Sie interpretiert die Studie so, dass es eine „erhebliche Zielgruppe“ gibt, für die das Gesetz gelten sollte.
Die Sterbehilfeorganisation NVVE mit 172.000 Mitgliedern hält die Diskussion über Gründe für den Sterbewunsch für überflüssig. „Das Recht, in Würde zu sterben, gilt für alle“, sagte NVVE-Direktorin Agnes Wolberg.
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnte auch der Druck auf das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wachsen. Anfang März 2017 hatte das Bundesverwaltungsgericht geurteilt, dass unheilbar Kranken in einer extremen Notlage nicht die Erlaubnis verwehrt werden darf, ein tödlich wirkendes Medikament zu erwerben.
Die Behörde hat seitdem rund 130 Anträge von Schwerkranken erhalten. Stand Januar hat das BfArM über 100 Anträge abgelehnt und auch 19 Widersprüche zurückgewiesen. Alle Fälle müssen geprüft werden – obwohl aus dem Bundesgesundheitsministerium die Weisung erteilt wurde, keinen der Anträge zu genehmigen.
Begründet wird das mit der Lebensschutzorientierung im Grundgesetz. Etliche Klagen dagegen sind von Gerichten ausgesetzt worden – alle warten auf Karlsruhe. (fst)
„Es geht nicht um das Pro oder Contra, nicht um unsere Meinung und unsere Standpunkte, sondern allein um die Reichweite des Freiheitsraums, den das Grundgesetz einer staatlichen Strafverfolgung entgegensetzt“, fasste laut „Süddeutsche Zeitung“ der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, die Aufgabe der Richter zusammen. „Wie wir mit dem Tod umgehen, spiegelt unsere Einstellung zum Leben. Das Recht darf hier nicht schweigen.“
Unter den Beschwerdeführern ist der Wittener Arzt Matthias Thöns. Durch gute Beratung und Behandlung könnten Palliativmediziner Patienten den Todeswunsch meist nehmen. Doch dies gelinge nicht immer. Dann aber rette auch die Verweigerung des Rezepts kein Leben. Patienten würden in den „harten Suizid“ getrieben. Sie schnitten sich die Pulsadern auf oder sprängen aus dem Fenster.
Kern der Berufstätigkeit betroffen
Auch die klagenden Patienten kritisieren, dass sterbewillige Kranke seitdem kaum noch die Möglichkeit haben, professionelle Hilfe zu finden. Doch gerade dies sei oft auch Voraussetzung dafür, dass Menschen wieder Mut zum Leben fassen, betonte der Münchener Medizinrechtler und Patientenanwalt Wolfgang Putz. „Nur ein Patient, der nicht die Zwangseinweisung wegen Suizidalität fürchten muss, wird sich seinem Arzt öffnen.“ Ausgerechnet Palliativmediziner könnten so „den Kern ihrer Berufstätigkeit nicht mehr ausüben“.
Kritiker des begleiteten Suizids verwiesen dagegen auf die inzwischen verbesserten Möglichkeiten der Palliativmedizin. Die Alternative zwischen Arznei oder Zug stelle sich so nicht mehr. Vor allem aber äußerten die Befürworter des Strafparagrafen die Sorge, dass durch ein offeneres Gesetz ein „suizidfreundliches Klima“ entstehen könnte.
Ausgang völlig offen
Genau dies zu verhindern, war eines der Ziele des Gesetzgebers. Es könne das Gefühl entstehen: „Das macht man so“, sagte der Staatsrechtler Steffen Augsberg, der vor dem Bundesverfassungsgericht den Bundestag vertrat.
Ähnlich verteidigte auch der damalige Bundesärztekammer-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery die Strafvorschrift. Zudem warnte er, Ärzte könnten mit festen Erwartungen der Patienten konfrontiert werden, sie bei der Selbsttötung zu unterstützen.
Im Eilverfahren hatten Ende 2015 die Argumente der Beschwerdeführer nicht ausgereicht, um die Vorschrift vorläufig außer Kraft zu setzen. Der Ausgang des Verfahrens, so damals die Karlsruher Richter, sei völlig offen.
Bundesverfassungsgericht , Az.: 2 BvR 2347/15 und weitere