Prävention

Check-up mit 35 - Sinn oder Unsinn?

Breit angelegte Check-up-Untersuchungen wie die ab 35 sind aufwändig. Aber sind sie diesen Aufwand wirklich wert? Einige Studien lassen daran zweifeln. Die Erfahrungen in der Praxis sprechen aber oft eine ganz andere Sprache.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Der Check-up 35: eine frühe gesundheitliche Bestandsaufnahme.

Der Check-up 35: eine frühe gesundheitliche Bestandsaufnahme.

© monkeybusinessimages / iStock / Thinkstock

Bei breit angelegten Check-up-Untersuchungen geht es wesentlich darum, kardiovaskuläre und metabolische Risiken zu erkennen und sie, wenn möglich, zu modifizieren. Ob dafür eine Art U-Untersuchung in der Mitte des Lebens nötig ist, das ist umstritten.

Einige Kritiker stellen den Check-up 35 mit Blick auf Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen deutlich infrage. Argumentatives Futter bekamen sie unter anderem von einer Cochrane-Metaanalyse, die keinen quantifizierbaren Nutzen von Check-ups fand (BMJ 2012; 345:e7191).

Bei Blutdruck und Diabetes geht die Argumentation so, dass diejenigen, die schon sehr früh eine arterielle Hypertonie oder einen Diabetes entwickeln, zu diesem Zeitpunkt ohnehin längst bekannt seien, während jene, die diese Erkrankungen erst im Laufe des Erwachsenenlebens bekommen, im vierten Lebensjahrzehnt typischerweise noch unauffällig sind.

Bei den Fettstoffwechselstörungen wird dagegen weniger auf individueller Ebene argumentiert. Stattdessen geht es Kritikern hier oft um die grundsätzliche Frage des Sinns oder Unsinns von Statinen in der Primärprävention.

Der Präsident der Deutschen Akademie für Präventivmedizin, Dr. Johannes Scholl aus Rüdesheim, kann mit diesen Argumenten wenig anfangen. In Sachen Hypertonie berichtete Scholl beim Internistenkongress in Mannheim von seinen Erfahrungen im Alltag.

So hatte jeder vierte von 697 Check-up-Teilnehmern unter 40 Jahren in Scholls Praxis eine arterielle Hypertonie. Die Mehrheit wusste davon nichts. In einer anderen Kohorte aus 2812 Check-up-Teilnehmern unterschiedlichen Alters waren 80 Prozent mit bereits bekannter Hypertonie nicht optimal eingestellt und profitierten so indirekt vom Check-up.

Frühe Prävention zahlt sich aus

Was die Statin-Therapie angeht, verwies Scholl auf die Framingham-Kohorte. In einer aktuellen Auswertung wurde bei knapp 1500 Studienteilnehmern, die anfangs eine Hypercholesterinämie, aber noch keine KHK hatten, die KHK-Rate über 15 Jahre mit der Dauer der Hypercholesterinämie (Non-HDL über 160 mg/dl) in Beziehung gesetzt.

Ergebnis: 4,4 Prozent der Patienten, bei denen die Hypercholesterinämie gerade erst entdeckt worden war, entwickelten eine KHK. Lag die Hypercholesterinämie schon ein bis zehn Jahre vor, waren es 8,1 Prozent, bei 11 bis 20 Jahren sogar 16,5 Prozent (Circulation 2015; 131: 451).

Für Scholz ist das ein starkes Argument für möglichst frühe präventive Maßnahmen von Ernährung bis Statinen und damit ein Argument für einen Check-up im mittleren Erwachsenenalter.

Für Dr. Peter Kurz, den ärztlichen Leiter der Prevention First Praxis in München, liegt der Wert der Check-up-Untersuchung ohnehin nicht so sehr in der Momentaufnahme des Risikos. Der Check-up ist für ihn eher eine frühe gesundheitliche Bestandsaufnahme als Ausgangspunkt, um durch Verhaltensänderungen noch einiges erreichen zu können.

Das große Thema ist dabei die körperliche Bewegung. Für Kurz gehört eine Erhebung der individuellen Fitness zu jedem Check-up dazu. "Schlechte Fitness ist wie eine Schachtel Zigaretten pro Tag", so Kurz.

Der entscheidende Parameter für die Ermittlung der Fitness ist die maximale Sauerstoffaufnahme, die sich mit einer Spiroergometrie direkt messen oder aus den Ergebnissen einer konventionellen Ergometrie mit maximaler Ausbelastung abschätzen lässt.

Die Werte trägt Kurz in Nomogramme ein, die jedem Check-up-Teilnehmer zeigen, wo er mit seiner individuellen Leistungsfähigkeit angesiedelt ist. Für manche, die sich aus jungen Jahren noch als große Sportler in Erinnerung haben, ist das dann eine Offenbarung.

Ist die Ausgangssituation geklärt, stellt Kurz als Ergebnis des Check-ups eine Art Sportrezept aus, das klare Angaben zu Dosis und Frequenz der sportlichen Betätigung enthält. Kleine technische Geräte können bei manchen Menschen die Motivation steigern.

Andere benötigen eher Sportgruppen, um am Ball zu bleiben. Ist alles in die Wege geleitet, gibt es Wiedervorstellungstermine zur Erfolgskontrolle.

Intima-Media-Dicke hilft, Verläufe aufzuzeigen

Um Verbesserungen im Zeitverlauf anschaulich zu machen, nutzt Kurz neben Fitnessparametern, Blutdruck und Blutfetten gerne die standardisiert gemessene Intima-Media-Dicke (IMT). Denn die hänge nicht nur vom Alter, sondern auch von der Fitness ab.

"Es gibt keine Studie, die nachweisen konnte, dass Menschen seltener Infarkte haben oder sterben, wenn die IMT gemessen wird. Aber sie ist ein gutes Werkzeug für die Risikoeinschätzung und ein wertvolles didaktisches Modell für die Patienten."

Für Kurz, Scholl und andere Präventivmediziner ist es diese ganzheitliche Herangehensweise, die einem Check-up den Sinn verleiht. Zumindest bei einigen Patienten wird der Check-up mit nachfolgender Beratung den entscheidenden Anstoß zu einer gesünderen Lebensweise geben.

Er bringt sicher nicht jedem etwas. Aber von welcher anderen medizinischen Maßnahme lässt sich das schon behaupten?

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Kommentare
Dr. Johannes Scholl 06.05.201516:49 Uhr

Gute Präventivmedizin kostet Geld - ist aber langfristig kosteneffizient

Um Missverständnissen vorzubeugen bzw. die entstandenen aufzuklären: Die Veranstaltung auf dem 121. Kongress der DGIM wurde unter meiner Leitung von der Deutschen Akademie für Präventivmedizin durchgeführt, die sich seit 10 Jahren ungesponsert und evidenz-basiert um die ärztliche Fortbildung auf dem Gebiet der Gesundheitsförderung und Prävention verdient gemacht hat. Jährlich veranstalten wir den einwöchigen Fortbildungskurs zum Präventivmediziner DAPM, der auch dieses Jahr wieder mit 77 FBP zertifiziert wurde (s. www.akaprev.de).
Ich habe in meinem Vortrag eigene publizierte und (noch) unpublizierte Daten präsentiert, die aus den Check-up-Untersuchungen resultieren, die von meiner Privatpraxis Prevention First für zahlreiche Firmenkunden durchgeführt werden. Mit dem "Check-up 35" der GKV hat dies nichts zu tun, und es handelte sich auch nicht um IGEL-Werbung, da wir komplett außerhalb der klassischen Patientenversorgung auf dem Gebiet der betrieblichen Gesundheitsförderung arbeiten.
In mittlerweile >20 000 Check-up-Untersuchungen haben wir zum einen umfangreiche Querschnittsdaten zur Prävalenz von Risikofaktoren bei einem Durchschnittsalter der Untersuchten von ca. 45 Jahren erhoben und publiziert, zum anderen aber auch in der Längsschnittanalyse die Verbesserungen des Herz-Kreislauf-Risikoprofils und Diabetesrisikos durch die einmalige Check-up-Intervention zeigen können.
Die evidenz-basierte Erhebung des Herz-Kreislauf-Risikos inkl. der Visualierung dieses Risikos über die IMT-Messung, die sehr wohl (s. Meta-Analyse Lorenz Circulation 2007) eine hohe prognostische Bedeutung hat, die objektive Erhebung der Fitness mit Ableitung eines konkreten Trainingsplans und eine ca. einstündige, umfassende, individuelle Beratung zu Risikofaktoren, Lebensstil, Ernährung, Training und Stressmanagement bilden den Kern des Prevention First Check-ups.
Für die freiwilligen Teilnehmer an den Check-ups lohnen sich diese z.B. dadurch, dass wir eine sehr hohe Nikotinabstinenzquote bei Rauchern (Männer 45%, Frauen 22%), eine gute Blutdruckeinstellung bei bekannten und vielen neu entdeckten Hypertonikern und die Prävention eines Typ 2-Diabetes bei Prä-Diabetikern (RRR 80-90%, Publikation der Daten nächste Woche auf dem EuroPRevent-Kongress in Lissabon)erreichen. Und für die Firmen ist dieser Check-up dadurch kosteneffizient,dass die Check-ups nachweislich Fehlzeiten reduzieren und Produktivitätsverluste vermeiden können.
Prävention macht tatsächlich Sinn, wenn sie richtig durchgeführt wird. Dass dies im deutschen Gesundheits- bzw. Krankheitswesen der gesetzlichen Krankenkassen keinen (monetären) Stellenwert für die Ärzte hat, bedaure ich und halte das für einen schweren Fehler, den zukünftige Generationen werden bezahlen müssen. Es bleibt bis auf weiteres für niedergelassene Ärzte nur die Möglichkeit, sich auf privatem Sektor präventivmedizinisch ein zweites Standbein aufzubauen, was ich völlig legitim finde, sofern die durchgeführten Untersuchungen und die Beratung seriös sind.
Und das kann man bei der Deutschen Akademie für Präventivmedizin lernen.
s. www.akaprev.de
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Dr. med. Johannes Scholl
Internist, Ernährungs- und Sportmediziner
1. Vorsitzender der Deutschen Akademie für Präventivmedizin

Dr. Henning Fischer 06.05.201508:15 Uhr

die Lebenserwartung steigt seit Jahrzehnten dramatisch

und das obwohl alle unsere präventiven und kurativen Maßnahmen ineffektiv sind. Dann muß es wohl an der sauberen Luft liegen.

Im übrigen: Anamnese, Ganzkörperstatus, Blutzucker und Cholesterin: ein Programm, für das sich Politik und Kassen schämen sollten.

Dr. Thomas Georg Schätzler 05.05.201520:32 Uhr

"Die Check-up 35 Botschaft hör'' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube"?

Das DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information) beschreibt nach der Internationalen ICD-10-GM-Nomenklatur und seinem ICD-Diagnosen-Thesaurus, Version 4.0, 31.200 davon.
Die aktuelle Version listet in seiner Systematik ca. 13.400 endständige Kodes auf und verfügt in seinem ICD-10 Alphabet über ca. 76.900 Einträge in der EDV-Fassung. Vgl.
https://www.dimdi.de/static/de/klassi/faq/icd-10/allgemein/faq_0008.htm_319159480.htm

Für alle diese denkbar möglichen Krankheiten kann es keine gezielten Präventionsprogramme geben. Aber es klingt geradezu höhnisch, wenn im Entwurf eines Gesetzes "zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention" 510 Millionen Euro jährlich verteilt werden sollen, o h n e dass irgendein angemessenes Arzthonorar für diese z u s ä t z l i c h e Präventionsarbeit abgebildet wird.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist am Ärzte-Präventions-Desaster mitverantwortlich. Jahrzehntelang hatte sie in Sonntagsreden die Prävention der Krankheitsfolgen von Rauchen, Saufen, Risikosportarten, Fehlernährung, Bewegungsmangel und bio-psycho-sozialer Inaktivität beschworen, o h n e notwendige Leistungsziffern in den Praxen implementieren zu wollen. Im Gegenteil: Leistungsinhalte der GESU mit dem 2-jährlichen Check-up 35 wurden um das fakultative EKG und die Nierenfunktionsbestimmung abgespeckt. Die GESU-Dokumentationen bleiben bis heute als milliardenfacher Datensalat o h n e jegliche Evaluation.

Tagtäglich praktizieren wir Ärzte Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. Ein EKG, ein Blutbild, TSH (Schilddrüse), AP (Kochen-, Gallenstoffwechsel), GPT (Leberfunktion ohne Alkoholbelastung - sonst zusätzlich GGT), KREA und -Clearance (Niere) bzw. LDL-CHOL sollten GLUC (Diabetesrisiko) und CHOL (Gesamtcholesterin) bzw. Blutdruck und Anamnesedokumentationen ergänzen.

Nur dann wird ein Schuh daraus! Aber IGeL- und Selbstzahlerstrategen bevorzugen unsinnig teure Spiroergometrie bzw. konventionelle Ergometrie, Sportgruppen am technischen Gerät und, last but not least, die teure aber insignifikante Intima-Media-Dicke(IMT)-Messung: "Sie ist ein gutes Werkzeug für die Risikoeinschätzung und ein wertvolles didaktisches Modell für die Patienten", heißt es mit €-Zeichen in den Augen?

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Richard Barabasch 05.05.201513:42 Uhr

Mogelpackung !

Die Überschrift nützt ein Schlagwort ("Check-up 35") aus dem Krankenkassenpflichtversichertenbereich
und dann lese ich im Artikel eine IgeL-Werbung für Spiroergometrie und eine vermutete Relation von LDL/HDL/KHK - und denke:
für die krankenKassen doch nur Cholesterin gesamt und Blutzucker, nicht einmal LDL und HDL.
Was soll uns alsodie Überschrift sagen ?
"Check-up-35" der GKV ist eine leere Hülse,
NUR WENN ES EINEN CHECK-UP AUF DER HÖGE DER ZEIT GIBT, macht er Sinn - ABER DANN KOSTET ER EBEN AUCH BARES als Zuzahlung ! UND: das ist mit "Check-up-35" der Krankenkassenpflichtversicherte betreuenden Vetrragsärzteschaft-Praxis nach SGB V nicht vereinbarc - also Mogelpackung,
meint
R.B.

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