Versorgung von COVID-19-Patienten

Corona-Pandemie: Italienische Ärzte fordern Perspektivwechsel

Ärzte aus Bergamo wollen aus der Corona-Pandemie schon jetzt Lehren für die Zukunft ziehen. Es braucht eine Lösung für die Gesamtbevölkerung, nicht nur die Krankenhäuser, fordern sie.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Ein Dankeschön an die Ärzte und Krankenschwestern - zu sehen auf der Fassade des Krankenhauses Papa Giovanni in Bergamo.

Ein Dankeschön an die Ärzte und Krankenschwestern - zu sehen auf der Fassade des Krankenhauses Papa Giovanni in Bergamo.

© Claudio Furlan/picture alliance/ZUMA Press

Bergamo. Ärzte des Papa Giovanni XXIII Krankenhauses in Bergamo haben angesichts der schwierigen Lage italienischer Krankenhäuser in der Corona-Krise zum Umdenken aufgerufen. In Pandemien wie derzeit seien Lösungen „für die gesamte Bevölkerung erforderlich, nicht nur für Krankenhäuser“, heißt es in dem Artikel von Mirco Nacoti et al. (NEJM Catalyst 2020; online 21. März).

„Westliche Gesundheitssysteme basieren auf dem Konzept der patientenzentrierten Versorgung, aber eine Epidemie erfordert einen Perspektivwechsel hin zu einem Konzept der gemeinschaftszentrierten Versorgung“, schreiben die Autoren. Der Versorgungsdruck, der in Italien auf den Krankenhäusern liege, müsse deshalb auf häusliche Pflege und mobile Kliniken verlagert werden. Nur so könne vermieden werden, dass das Versorgungssystem selber zur Verbreitung des Coronavirus beitrage.

Fokus auf schwerkranke COVID-19-Patienten

Rasche Sauerstofftherapie, Pulsoximeter und Ernährung können in die Häuser leicht kranker und genesener Patienten geliefert werden, wodurch ein breites Überwachungssystem mit angemessener Isolation eingerichtet werden könnte, inklusive telemedizinischer Versorgung, schlagen die Autoren vor. So könnten sich die Krankenhäuser auf die Schwerkranken konzentrieren, würden Schutzmaterialien sparen und ihr Personal besser schützen.

Es brauche zudem eigene Covid-19-Krankenhäuser, die von virenfreien Bereichen getrennt sind. Darüber hinaus wiesen die Ärzte aus Bergamo auch auf die Verantwortung humanitärer Organisationen hin.

Lockdown und soziale Distanzierung haben in China die Übertragung des Virus‘ um 60 Prozent gesenkt. Nun brauche es einen „gemeinsamen Bezugspunkt, um diesen Ausbruch zu verstehen und zu bekämpfen“. Die Krise zeige, dass es an Fachwissen fehle.

Woran es in der Corona-Krise mangelte

„Was wir schmerzlich lernen, ist, dass wir Experten für öffentliche Gesundheit und Epidemien brauchen“, hieß es. Es fehle an Logistikern, Psychologen, Sozialarbeitern und Epidemiologen. Diese Krise sei mehr als ein Phänomen der Intensivpflege, „sondern eine Krise der öffentlichen Gesundheit und der humanitären Hilfe“.

Die Autoren zeichnen indessen ein düsteres Bild der Versorgung von infizierten Patienten in Bergamo und Umgebung. Das Krankenhaus Papa Giovanni XXIII sei „stark kontaminiert“. 300 von 900 Betten seien mit COVID-19-Patienten belegt. 70 Prozent der Intensivbetten sind für schwer kranke COVID-19-Patienten „mit einer angemessenen Überlebenschance“ reserviert, hieß es.

Was das für die COVID-19-Patienten bedeutet

Man arbeite weit unter dem Pflegestandard. „Ältere Patienten werden nicht wiederbelebt und sterben ohne angemessene Palliativversorgung.“ In den umliegenden Kliniken sei die Lage noch angespannter. Es fehle an allem: Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte. Die Patienten liegen zum Teil auf Matratzen am Boden.

Man habe lernen müssen, dass Krankenhäuser die „Hauptträger“ des Virus‘ sein könnten, „da sie schnell von infizierten Patienten besiedelt werden und die Übertragung auf nicht infizierte Personen erleichtern“, so die italienischen Ärzte. Auch Krankenwagen und ihr Personal können die Krankheit verbreiten.

„Wir brauchen dringend einen gemeinsamen Bezugspunkt, um diesen Ausbruch zu verstehen und zu bekämpfen. Wir brauchen einen langfristigen Plan für die nächste Pandemie.“

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 24.03.202007:28 Uhr

Die zentralen Schlussfolgerungen sind allerdings nicht nur m.E. völlig falsch: Ebolavirus-Erkrankungen sind mit SARS-CoV-2 Infektionen und COVID-19-Erkrankungen grundsätzlich nicht vergleichbar.

"Coronavirus is the Ebola of the rich and requires a coordinated transnational effort. It is not particularly lethal, but it is very contagious. The more medicalized and centralized the society, the more widespread the virus. This catastrophe unfolding in wealthy Lombardy could happen anywhere."

https://catalyst.nejm.org/doi/full/10.1056/CAT.20.0080

Über Medikalisierung und Zentralisierung in Krankheits- und Gesundheits-Versorgung bzw. Gesellschaften kann man sicherlich streiten, aber das hat mit infektionsbedingten Pandemien und deren Bewältigung weniger zu tun.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Thomas Georg Schätzler 24.03.202007:16 Uhr

Coronavirus als AIDS-Virus des "kleinen Mannes"!
Was für ein hanebüchener Unfug und ein vollkommen verunglückter Vergleich zu behaupten, das "Coronavirus sei das Ebolavirus der Reichen“?
Das Coronavirus ist doch eher das AIDS-Virus des "kleinen Mannes". Denn SARS-CoV-2 ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Keine speziellen Sexual-Praktiken oder -Präferenzen erforderlich. Als Mutter auf einen überfüllten Spielplatz gehen, als Vater bei einem Banker-Treffen drängeln, als Hausarzt einen Patienten genau untersuchen, als Kranken- und (Gesundheits-?)Pfleger/-in seine Arbeit machen, als Kind Oma und Opa besuchen, mit/ohne Kondom Geschlechtsverkehr haben - Egal, die Coronavirus-Pandemie ist schon da.
Keine Viruserkrankung wird mehr wirtschaftlichen Schaden anrichten, mehr Existenzen vernichten und gesundheitspolitische Verwerfungen verursachen. Ja, unsere gesamten bio-psycho-sozialen Identitäten stehen auf dem Spiel, und wir werden unserer Fähigkeit zur kulturellen Reflexion beraubt. Unsere Zivilisation steht am Scheideweg: Denken, Fühlen, Wollen, Handeln, Glauben und tätiges Tun werden wir verlieren oder gewinnen.
Was die Erklärung für die extreme Häufigkeit von SARS-CoV-2-Virusinfektionen und COVID-19-Erkrankungen in Bergamo/I angeht, kann man den italienischen Kollegen nur Recht geben: "At the Epicenter of the Covid-19 Pandemic and Humanitarian Crises in Italy: Changing Perspectives on Preparation and Mitigation - In a Bergamo hospital deeply strained by the Covid-19 pandemic, exhausted clinicians reflect on how to prepare for the next outbreak. von Mirco Nacoti et al. beschreibt z.B.: "Im aktuellen Fall wurden alle Schwerkranken zunächst mit Rettungs­wagen in die Klinik transportiert, wo sie offenbar nicht strikt von den nicht-infizierten Patienten getrennt wurden. In den Kliniken kam es dann schnell zur Übertragung der Infektion auf andere Patienten. Zu den Vektoren gehören auch die Rettungswagen und ihr Personal, das teilweise asymptomatisch infiziert sei oder bei Krankheitszeichen nicht überwacht werde..

Dr. Thomas Georg Schätzler 24.03.202007:10 Uhr

...Der Schutz des medizinischen Personals müsse Vorrang haben. Hier dürften keine Kompromisse eingegangen werden. Die nötige Ausrüstung müsse jederzeit verfügbar sein. Wichtig sei, dass Infektionen an den Kliniken und eine Kontamination der Fahrzeuge verhindert werden. In den Kliniken müssten spezielle Abteilungen geschaffen werden, in denen im Fall einer Pandemie Patienten räumlich und personell getrennt versorgt werden können" (Zitat Ende).

Doch das hat nichts mit dem Problem zu tun, "dass die westlichen Gesundheitssysteme auf dem Konzept einer patientenzentrierten Versorgung basieren". Dieses Versorgungsystem bereitet ebenso wie Konzepte der gemeinschaftszentrierten Versorgung mehr oder weniger gut auf die Bewältigung von Epidemien vor. Dafür benötigt man keine "Sozialwissenschaftler, Epidemiologen, Logistikexperten, Psychologen und Sozialarbeiter", sondern eine bessere und präventiv ausgerichtete Patienten zentrierte Versorgung. Wie bereits angemerkt: "Der Schutz des medizinischen Personals müsse Vorrang haben. Hier dürften keine Kompromisse eingegangen werden. Die nötige Ausrüstung müsse jederzeit verfügbar sein. Wichtig sei, dass Infektionen an den Kliniken und eine Kontamination der Fahrzeuge verhindert werden. In den Kliniken müssten spezielle Abteilungen geschaffen werden, in denen im Fall einer Pandemie Patienten räumlich und personell getrennt versorgt werden können."

Und die alles entscheidende Botschaft ist die der bio-psycho-sozialen, primärpräventiven Distanzierung im gesellschaftlichen Alltag, in der primärärztlichen Versorgung, in Praxis, Klinik, Forschung und Entwicklung, in Politik, Kultur und Veranstaltungen.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Joseph Kuhn 23.03.202019:43 Uhr

Ein sehr instruktives Statement der italienischen Ärzte. Auch in Deutschland sollte man nach der Krise die Public Health-Strukturen gründlich überdenken. Bis heute hat Deutschland keine nationale Public Health-Strategie, dafür einen heruntergewirtschafteten öffentlichen Gesundheitsdienst. Beim Zukunftsforum Public Health kann man sich gerade an einem Konsultationsprozess für ein Public Health-Strategiepapier beteiligen: https://zukunftsforum-public-health.de/konsultationsphase/

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