Coronavirus
Pädiater legen Konzept für Wiederaufnahme des regulären Schulbetriebs vor
Die Lehrergewerkschaft VBE hält eine Rückkehr zum normalen Unterricht derzeit wegen der Corona-Situation für illusorisch. Kinder- und Jugendärzte sowie Krankenhaushygieniker sehen das anders.
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Pädiater-Verbände sprechen sich für die Wiederaufnahme des Regelbetriebs an den Schulen aus.
© Jens Büttner/dpa
Berlin. Pünktlich zum Ende der Sommerferien in einigen Bundesländern haben sich Kinder- und Jugendärzte sowie Krankenhaushygieniker für eine Rückkehr zum Regelbetrieb in Schulen und Kitas ausgesprochen. „Übergeordnetes Ziel“ müsse sein, Kindern und Jugendlichen wieder den vollumfänglichen Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen zu ermöglichen und gleichzeitig eine „sichere Arbeitssituation“ für Erzieher und Lehrer zu gewährleisten, heißt es in einem der „Ärzte Zeitung“ vorliegenden Positionspapier.
Gezeichnet ist die gut 20 Seiten lange Stellungnahme unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene sowie mehreren pädiatrischen Gesellschaften und Verbänden, darunter der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).
„Differenzierte Risikoadjustierung“
Dessen Präsident, Dr. Thomas Fischbach, sagte der „Ärzte Zeitung“ am Dienstag: „Uns geht es darum, dass es nicht erneut zu kompletten Schulschließungen kommt, wenn neue Infektionsfälle auftreten.“ Daher habe man Hygiene- und Abstandsempfehlungen dem jeweiligen Kindesalter und der Situation vor Ort angepasst.
Dies geschehe auf Basis einer „differenzierten Risikoadjustierung“, sagte Fischbach. Maßnahmen wie das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, der Unterricht in festen Klassenverbänden, Gruppenarbeit oder Abstandsregeln im Klassenzimmer seien jeweils „abhängig von der Inzidenz des Auftretens neuer Infektionen in einem bestimmten Landkreis“.
Maßnahmen je nach Inzidenz an Neuinfektionen
Konkret unterscheiden die Pädiater und Hygieniker zwischen „niedriger Inzidenz“ (weniger als 25 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner), „mittlerer Inzidenz“ (25 bis 50 Neuinfektionen) und „hoher Inzidenz“ (mehr als 50 Neuinfektionen). Ein Mindestabstand von 1,50 Meter im Klassenzimmer wird demnach beispielsweise erst bei einer hohen Inzidenz neuer Infektionsfälle empfohlen.
Kinder, die älter als zehn sind, sollen beim Besuch der Schule in jedem Fall eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Für jüngere Kinder soll dies erst bei einer hohen Inzidenz an Neuinfektionen gelten. An ihrem Platz sollen alle Kinder die Masken ablegen dürfen.
Treten innerhalb einer Schule Infektionen auf, soll das Gesundheitsamt erforderliche Tests bei Schülern und Lehrern veranlassen und zusätzliche Maßnahmen festlegen. Grundsätzlich sollen alle Lehrer und Erzieher sowie weiteres Betreuungspersonal freien Zugang zu Händedesinfektionsmitteln haben. Klassenzimmer sollen zudem „schulstündlich“ gelüftet werden.
Auf diese Weise ließe sich das Infektionsrisiko „minimieren, eingrenzen und das pauschale Schließen von Schulen und Kitas als Erstmaßnahme verhindern“, betonte Fischbach. Er sprach von „sehr guten Lösungsmöglichkeiten“, die Schulen und Kitas als „Handreichung“ nutzen könnten.
Bildung und Kontakte wichtig!
Ein Restrisiko bleibe, räumte Fischbach ein. „Wir befinden uns in einer Pandemie.“ Kinder könnten aber nicht dauerhaft von Erziehung und Bildung ferngehalten werden. „Kinder brauchen gerade in der Entwicklungsphase soziale Kontakte, um gesund aufwachsen zu können.“ Schon jetzt stellten Kinder- und Jugendärzte vermehrt psychische und physische Auffälligkeiten bei Heranwachsenden infolge wochenlanger Schul- und Kitaschließungen fest.
Zuletzt hatte auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin für die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts plädiert.
Die Gefahr, sich in der Schule oder Kita mit dem Coronavirus anzustecken, sei „um ein Vielfaches geringer als im Supermarkt oder im öffentlichen Nahverkehr“, adressierte Fischbach an besorgte Eltern und Lehrer.
Zuletzt hatte unter anderem die Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE) einen flächendeckenden, vollumfänglichen Regelbetrieb in Schulen nach den Sommerferien als „Illusion“ bezeichnet – auch mit Verweis auf ein weiterhin hohes Infektionsrisiko. Zudem fehlten viele Lehrer, da sie zu den Risikogruppen einer COVID-19-Erkrankung gehörten, sagte VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann der „Welt“.
Kinder weniger stark involviert
BVKJ-Chef Fischbach sagte, viele ältere Ärzte behandelten ihre Patienten weiter, obwohl auch sie zur Risikogruppe zählten. Auch wenn die Rolle von Kindern und Jugendlichen im Infektionsgeschehen nicht abschließend geklärt sei, spreche vieles dafür, dass zumindest die bis 14-Jährigen das Coronavirus seltener als Erwachsene auf andere übertrügen.
Am Montag ist Mecklenburg-Vorpommern als erstes Bundesland ins neue Schuljahr gestartet. Am Donnerstag folgt Hamburg. Kommende Woche enden die Ferien in Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. In Nordrhein-Westfalen soll auch im Unterricht Maske getragen werden.