WIdO-Studie

Corona lässt Klinik-Fallzahlen einbrechen

In der Corona-Hochphase gab es in den Krankenhäusern einen starken Rückgang an Operationen – nicht nur an planbaren, sondern auch an lebenswichtigen Eingriffen. Das berichtet das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO).

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Knapp 40 Prozent weniger OP-Fälle zählt das WIdO in der Hochzeit der Pandemie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Knapp 40 Prozent weniger OP-Fälle zählt das WIdO in der Hochzeit der Pandemie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

© gpointstudio / stock.adobe.com

Berlin. Der wegen der Coronavirus-Pandemie Mitte März verhängte Lockdown hat zu einem massiven Einbruch bei den planbaren Krankenhauseingriffen geführt.

Hohe Rückgänge seien bei Operationen zum Arthrose-bedingten Hüftersatz (minus 79 Prozent) zu verzeichnen gewesen, heißt es in einem am Montag vorgelegten Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Stark gesunken seien aber auch Behandlungen lebensbedrohlicher Notfälle wie Herzinfarkte (minus 31 Prozent) und Schlaganfälle (minus 18 Prozent).

Herzinfarkt- und Schlaganfallbehandlung betroffen

Insgesamt summierten sich die Fallzahl-Rückgänge in der Hochzeit der Pandemie im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 39 Prozent. Das Institut wertete für seine Analyse Krankenhausfälle von 27 Millionen AOK-Versicherten aus.

Absolut gesehen gab es den größten Rückgang der Fallzahlen laut Report bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie gingen um 42 Prozent (minus 27.000 Fälle) zurück. Den höchsten relativen Rückgang stellen die Forscher mit 65 Prozent (minus 22.000 Fälle) bei Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems fest (siehe nachfolgende Grafik).

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Dringlich und weniger dringlich

In einer Analyse von 21 Behandlungsanlässen zeigen sich laut Studie zudem deutliche Unterschiede zwischen dringlichen Behandlungen einerseits und planbaren, weniger dringlichen Fällen andererseits.

So gab es etwa bei den Blinddarm-Entfernungen ohne akute Entzündung einen Rückgang von 28 Prozent. Die Zahl der Behandlungen akuter Blinddarm-Entzündungen stieg dagegen leicht an (plus acht Prozent).

Ähnlich verhält es sich bei Krebs-Behandlungen: Während etwa die Zahl der operativen Ersteingriffe zur Entfernung eines Tumors in der Brust im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um elf Prozent stieg, gingen die nicht dringlichen Eingriffe zur Rekonstruktion der Brust um 76 Prozent zurück.

Ärzte haben sich „sehr rational“ verhalten

Die Daten belegten ein „sehr rationales Vorgehen“ der behandelnden Ärzte in der Phase des Lockdowns, sagte WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber. Nicht so dringliche Operationen seien – wie von der Politik vorgegeben – verschoben worden, um Kapazitäten für COVID-19-Patienten freizuhalten. Dringliche und notwendige Operationen seien hingegen weiter erbracht worden.

Anlass zur Sorge geben aus Sicht der WIdO-Experten hohe Fallzahl-Rückgänge bei der Behandlung von Herzinfarkten: Während im Vergleichszeitraum des Vorjahres knapp 4630 Fälle von AOK-Versicherten behandelt wurden, waren es in der Lockdown-Phase nur rund 3210 Herzinfarkte (minus 31 Prozent).

Rettungsdienste seltener alarmiert

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Schlaganfällen: Hier sank die Zahl der behandelten Fälle von 6190 auf 5046 (minus 18 Prozent). Bei der transistorisch-ischämischen Attacke, zeigt sich sogar ein Rückgang von 37 Prozent.

Das weise darauf hin, so Klauber, „dass betroffene Patienten in der Phase des Lockdowns den Rettungsdienst seltener alarmiert haben“.

Zuvor hatte auch das Robert Koch-Institut davon berichtet, dass zahlreiche Neurologie-Patienten seit Mitte März den Gang in die Notaufnahmen der Krankenhäuser gemieden hatten.

Der Rückgang an Notfallpatienten lasse sich nicht nur auf die Furcht der Menschen vor einer Corona-Infektion zurückführen, sagte WIdO-Wissenschaftler Klauber. Denkbar seien auch andere Gründe, die sich gegenseitig noch verstärkt haben könnten.

Zahlreiche Gründe möglich

„So ist es beispielsweise möglich, dass es eine Reduktion der Herzinfarkt-Inzidenz infolge der Maßnahmen zu Eindämmung der Coronavirus-Pandemie gab“, sagte Klauber. Auch ein Absinken des Stresslevels durch Homeoffice und Kurzarbeit oder die Reduzierung von Herzinfarkten durch extreme körperliche Belastung beim Sport könnten Ursachen für den Rückgang gewesen sein.

Zudem seien ökonomische Anreize der 560-Euro-Tagespauschale für leer bleibende Krankenhausbetten als Grund nicht auszuschließen.

Trendumkehr seit April

Positiv vermerkt der Report, dass die Fallzahlen seit dem 10. April wieder nach oben klettern – wenn auch langsam. Offenbar würden Empfehlungen des Bundesgesundheitsministeriums zur Rückkehr der Kliniken zur Regelversorgung „Schritt für Schritt“ umgesetzt, betonte Klauber.

Ob und wann das Fallzahlenniveau vor der Pandemie wieder erreicht wird, sei aber noch offen.

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Kommentare
Carsten Windt 30.06.202006:37 Uhr

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Das kann nur jemand schreiben, der noch nie unter Verlust und Existenzängsten gelitten hat...

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