Das Jahr der harten Wahrheiten
"Manches wird im neuen Jahr erst noch schwieriger, bevor es wieder besser werden kann." Recht hat sie, die Bundeskanzlerin. Was Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache verschwieg: Dies setzt in der Koalition einen Mut zur Wahrheit voraus, der bei Union und FDP nicht erkennbar ist. Die Staatsfinanzen sind zerrüttet, die Schuldenlast beträgt 1,6 Billionen Euro, fast ein Viertel des Bundeshaushalts ist auf Pump finanziert.
Deutschland steht vor einem Verteilungskampf
Und doch praktiziert die Koalition bisher business as usual. Da wird über Steuersenkungen schwadroniert, nach altem Muster sind zu Jahresbeginn Pfründe verteilt worden - die Mehrwertsteuererleichterungen für Hoteliers sind nur das umstrittenste Beispiel. Dabei steht das Land 2010 vor einem beispiellosen Verteilungskampf, der auch die Gesundheitspolitik nicht ungeschoren lassen dürfte.
Denn der Bundeszuschuss zur Gesetzlichen Krankenversicherung hat mit über 15 Milliarden Euro eine Dimension erreicht, die kein Finanzminister ignorieren kann. Zur Erinnerung: In den vergangenen fünf Jahren sind die Regularien für den Zuschuss zur GKV viermal geändert worden.
Die Peitschen der Veränderung werden die neuen finanzpolitischen Vorgaben des Grundgesetzes und der EU-Stabilitätspakt sein. Die Schuldenbremsen sehen ab 2016 ein konjunkturbereinigtes Haushaltsdefizit des Bundes von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor. Das entspräche derzeit etwa acht bis neun Milliarden Euro - statt 85 Milliarden Euro wie in diesem Jahr. Um das zu erreichen, muss Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble jedes Jahr aufs Neue mindestens zehn Milliarden Euro sparen - oder aber die Steuern erhöhen.
NRW-Landtagswahl gibt den Zeitplan vor
Diese Zahlen kennt auch die Regierungskommission, die bis zum Sommer Vorschläge für die Gesundheitsreform erarbeiten soll. Vor der Steuerschätzung im Mai sind Richtungsentscheidungen ausgeschlossen. Dass die Koalition sich damit über die wichtige Landtagswahl am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen rettet, gilt als positiver Nebeneffekt dieses Zeitplans.
Wie immer die Steuerprognose ausfallen wird: Eine Gesundheitsreform mit einer Gesundheitsprämie samt milliardenschwerem Sozialausgleich ist mit den finanzpolitischen Herausforderungen nicht vereinbar. Das hat auch Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler eingeräumt und den schrittweisen Rückzug der FDP von früheren Maximalpositionen eingeläutet. Wenn Gesundheitspolitiker durch Finanznöte von ideologisch überfrachteten Reformplänen abgehalten werden, muss das kein Mangel sein, im Gegenteil. Auf dem Weg zu einem Gesundheitswesen, das Solidarität und Wettbewerb austariert, gibt es viel wichtigere Baustellen.
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