Härtetest für die Daseinsvorsorge

Das Land blutet aus

"Raumordnungsbericht 2017": Das klingt wenig aufregend – und doch hält der Bericht für den Bundestag unangenehme Wahrheiten über die Gesundheitsversorgung von morgen bereit.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

BERLIN. Die Lebensbedingungen in Deutschland werden ungleicher. Dafür sorgen Landflucht und Bevölkerungsalterung. Das ist die Quintessenz des neuen Raumordnungsberichts, den das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) für den Bundestag verfasst hat. Großstädte und Ballungsregionen haben von 2005 bis 2015 rund 1,4 Millionen Einwohner dazugewonnen, dagegen haben Landgemeinden insbesondere in der Peripherie meist Bevölkerung verloren.

Diese Entwicklung setzt sich fort: Gegenwärtig gelten 68 von bundesweit 401 Kreisen als dünn besiedelt, sie haben weniger als 100 Einwohner pro Quadratkilometer. Im Jahr 2035 werden 96 Kreise in diese Kategorie fallen. Die Schrumpfungsprozesse von ländlichen Gemeinden sowie von Klein- und Mittelstädten "erfassen nach Ostdeutschland zunehmend auch Westdeutschland", kommentiert die Regierung den Bericht des BBR.

Viele Klein- und Mittelstädte müssten sich "als Ankerpunkte zur Sicherung der kommunalen und regionalen Daseinsvorsorge weiterentwickeln". Es werde immer wichtiger, "Daseinsvorsorge gemeinsam im Verbund unterschiedlicher Akteure sicher zu stellen". Das gilt auch für die medizinische und pflegerische Versorgung. Denn hier sei aufgrund der Alterung der Bevölkerung mit steigender Nachfrage für Versorgungsleistungen zu rechnen. Notfalls müssten in dünn besiedelten Räumen "einzelne solitäre Standorte oder regionale Versorgungsstrukturen über Umlagen finanziell gesichert werden.

Freilich sind die Unterschiede in der Daseinsvorsorge schon heute beachtlich: Bundesweit finden 73 Prozent der Bürger in einem Umkreis von einem Kilometer einen Hausarzt. In vielen Landgemeinden indes trifft das noch nicht einmal für jeden Fünften zu. Ähnlich bei der Krankenhausversorgung: 95 Prozent der Bevölkerung finden binnen maximal 20 Minuten Autofahrt ein Krankenhaus vor. Allerdings müssten bundesweit rund 300.000 Einwohner mehr als eine halbe Stunde bis zu einer Klinik fahren.

In einer Erreichbarkeitsanalyse hat das BBR durchgespielt, was passiert, wenn der jeweils nächstgelegene Krankenhausstandort wegfallen würde: Dann müssten bereits fast 30 Prozent der Bürger länger als 20 Minuten fahren.

Simulieren lässt sich auch, inwieweit der künftige Pflegebedarf mit einer höheren Nachfrage nach Pflegeheimen einhergeht. Ermittelt wird dazu ein sogenannter Unterstützungskoeffizient. Dieser gibt das Verhältnis der potenziell helfenden Kindergeneration zu den Hochbetagten an. Im Jahr 2015 kamen auf 100 "Unterstützer" im Alter von 50 bis 65 Jahren 26 Personen über 80 Jahre. Im Jahr 2035 wird sich dieses Verhältnis auf 100 zu 47 verschlechtert haben. Der Bedarf an stationärer Pflege wird zunehmen, heißt es im Bericht.

Bund, Länder und Gemeinden müssen "auf eine zweite Welle demografisch bedingter Anpassungsprozesse vorbereitet sein", folgert das BBR. Nötig sei eine Debatte über "Notwendigkeit und Ausgestaltung eines strategischen Rückzugs aus peripheren Siedlungsteilen". Voraussetzung dafür sei die gesellschaftliche Verständigung über die Kernelemente der regionalen Daseinsvorsorge – inklusive der Frage, was diese kosten darf.

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