Psychotherapie
"Das Versorgungsgesetz löst die Probleme nicht"
Der neue Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Dr. Dietrich Munz, sieht keine Nachwuchsprobleme in seiner Disziplin. Gleichwohl warnt er vor Engpässen bei der psychotherapeutischen Versorgung im Land.
Veröffentlicht:BERLIN. Der Bedarf an psychotherapeutischen Leistungen wächst. Fast jede zweite Frühverrentung und ein Sechstel der betrieblichen Fehltage sind psychischen Erkrankungen geschuldet.
Diese Werte kontrastieren mit der aktuellen Politik. Die Verbände der Psychotherapeuten befürchten, dass mit der Aufkaufregel im Versorgungsstärkungsgesetz, das am 22. Juli im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden ist, Tausende Praxen verloren gehen könnten.
"Das Gesetz löst das Problem der Versorgung mit Psychotherapie überhaupt nicht", sagte der neue Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), Dr. Dietrich Munz, der "Ärzte Zeitung".
4300 psychotherapeutische Sitze seien gefährdet, auch wenn ein Aufkauf erst ab einem Versorgungsgrad von 140 Prozent vorgeschrieben wird, sagte Munz. Das könne die Versorgungssituation verschärfen.
Bessere Zusammenarbeit von Ärzten mit Psychotherapeuten
Die starken Konzentrationen von Psychotherapeuten in Städten wie Freiburg, Tübingen und Heidelberg, wo der Versorgungsgrad bei 500 und mehr Prozent liegt, sieht Munz teilweise kritisch.
Eine Umverteilung könnte sinnvoll sein, sagt er. "Aber wir müssen sehen, dass wir in ländlichen Regionen, und extremer sogar noch im Ruhrgebiet, massive Defizite in der Versorgung haben", sagte Munz.
Das heißt, die Versorgung müsse kleinräumiger geplant werden, um Versorgungsdefizite anzugehen. "Wenn Sie im Kreis Tübingen sich 30 Kilometer von der Kreisstadt entfernen, müssen Sie den Therapeuten wieder suchen."
Die Zusammenarbeit von Ärzten und Psychotherapeuten entwickelt sich positiv. "Ich denke, dass innerhalb der Medizin insgesamt das Thema psychische Erkrankungen offener diskutiert wird, und die Ärzte im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung zwischenzeitlich besser ausgebildet werden", sagte der neue Kammer-Chef.
Es würden aber nach wie vor zu viele Psychopharmaka verordnet. Hausärzte, die ältere Menschen oder behinderte Patienten betreuten, sollten stärker dafür sensibilisiert werden, dass auch psychische Krankheiten mit behandelt werden sollten. "Da sehen wir ein Defizit", sagte Munz.
Die Stigmatisierung psychisch kranker Menschen bestehe fort, stelle sich aber nicht mehr so extrem dar wie in der Vergangenheit.
90 Prozent Frauenanteil
Nachwuchsprobleme kennen die Psychotherapeuten nicht. "Wir haben aktuellen Zahlen zufolge knapp 2000 neu approbierte Kolleginnen und Kollegen im Jahr", sagte Munz.
Psychotherapeuten kurz vor dem Ruhestand könnten damit rechnen, ihre Praxen problemlos an junge Kollegen übergeben zu können.
"Uns ist wichtig, dass wir keine Nachwuchssorgen haben, und wir daher davon ausgehen, dass wir für die Versorgung psychisch Kranker auch in Zukunft unsere Aufgabe lösen können und die Versorgung sicherstellen können", sagte Munz.
Die nachrückende Generation ist überwiegend weiblich. Der Frauenanteil beträgt rund 90 Prozent.