Gesundheitskompetenz
Das Wissen um Gesundheit und das Gesundheitssystem geht zurück
Um die Gesundheitskompetenz in Deutschland ist es schlecht bestellt, melden Wissenschaftler aus Bielefeld. Das hat Auswirkungen auf die Gesundheit selbst und die Arzt-Patienten-Kommunikation.
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Bei Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz hat der Alkoholkonsum in der Krise laut einer Studie stark zugenommen.
© Felix Hörhager/dpa
Berlin. Mehr Alkohol, weniger Bewegung. Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz zeigen sich in der Krise offenbar anfälliger für gesundheitsschädliche Verhaltensweisen. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Fortschreibung des Health Literacy Surveys der Universität Bielefeld. Im Vergleich zur Zeit vor Ankunft des neuartigen Coronavirus in Deutschland hat der Alkoholkonsum in der Gruppe von Menschen mit geringen Kenntnissen über gesundheitliche Zusammenhänge stark zugenommen.
Tranken vor der Pandemie 22,6 Prozent dieser Gruppe viermal oder öfter in der Woche Alkohol, sind es jetzt ausweislich der Bielefelder Untersuchung 29,7 Prozent. Gleichzeitig treiben sie weniger Sport. Waren vor Corona noch 36,2 Prozent dieser Gruppe viermal in Woche oder öfter körperlich aktiv, sank der Anteil der Sporttreibenden seither auf 25,7 Prozent.
Häufigere Arztbesuche
Gleichzeitig nutzen Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz das Gesundheitssystem doppelt so häufig wie die mit exzellenten Kenntnissen. In den vergangenen zwölf Monaten waren ausweislich der Bielefelder Erhebungen 27,8 Prozent der Personen mit geringer Gesundheitskompetenz sechsmal oder öfter beim Hausarzt. In der Vergleichsgruppe gaben dies nur 13,6 Prozent an.
In den Gruppen mit ausreichenden bis exzellenten Kenntnissen zur Gesundheit und dem Gesundheitssystem gab es an diesen Stellen keine substanziellen Veränderungen. Im Gegenteil. Dort ernähren sich die Menschen besser und melden sich seltener krank.
Kompetenz im Sinkflug
Trotz zahlreicher Initiativen – wie zum Beispiel seit September das Gesundheitsportal der Bundesregierung – geht die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland seit Jahren zurück. Die aktuelle Umfrage ergab, dass knapp 59 Prozent der Menschen wenig über das Thema wissen. In zurückliegenden Umfragen der Bielefelder Gesundheitskompetenzforscher hatte dieser Wert noch bei 54 Prozent gelegen.
Eine Zusatzerhebung während der Pandemie hat allerdings eine tendenzielle Verbesserung gezeigt. Der Anteil der Bevölkerung mit geringer Gesundheitskompetenz sank leicht, der Anteil mit exzellenter ist etwas gestiegen.
Holprige Kommunikation
Die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten sowie die gemeinsame Entscheidungsfindung holpert gleichwohl. In der aktuellen Umfrage gab knapp die Hälfte (46,5 Prozent) an, Ärzte nur schwer zu verstehen. Zudem nähmen sich die Ärzte zu wenig Zeit. In immer weiteren Kreisen werden außerdem die Beipackzettel nicht mehr verstanden. Mehr als 70 Prozent der Befragten bezeichnete es als schwierig, unterschiedliche Behandlungsoptionen einzuschätzen. Die Bielefelder Sozialforscher schließen aus diesen Ergebnissen, dass für die Arzt-Patienten-Interaktion nach wie vor Handlungsbedarf besteht.
Ausgerechnet die vulnerablen Gruppen kennen sich am schlechtesten aus. Menschen mit niedrigem Bildungsgrad, niedrigem Sozialstatus, mit Migrationserfahrung, höherem Alter und chronischen Gesundheitsproblemen sind nicht gut informiert. Die aktuelle Untersuchung weist zudem auf einen besorgniserregenden Trend hin. Auch Menschen zwischen 18 und 29 Jahren haben vermehrt Schwierigkeiten, mit Gesundheitsinformationen umzugehen.
Das System ist unbekannt
Das gilt für die ärztliche Versorgung, die Prävention und die Gesundheitsförderung gleichermaßen. Informationen zu finden zum Beispiel zu psychischen Problemen werde als „sehr schwierig“ eingeschätzt, melden die Bielefelder Forscher. Überhaupt wirkt das Gesundheitssystem auf eine deutliche Mehrheit wie eine verschlossene Auster. 57,7 Prozent verstehen seine Funktionsweise nicht, mehr als zwei Drittel haben Probleme, Informationen zur Qualität von Gesundheitseinrichtungen zu finden und noch einmal mehr vermissen Aufklärung über ihre Rechte als Patienten.