Kommentar
Den Gesundheitsweisen reißt der Geduldsfaden
Es ist ein Beschleunigungsprogramm, um die hausärztliche Versorgung zukunftsfest zu machen, das die Gesundheitsweisen in ihrem neuen Gutachten formuliert haben. Zugleich lässt sich aus der Expertise des Sachverständigenrats - unausgesprochen - eine Misstrauenserklärung gegen das KV-System herauslesen: Die sich abzeichnende Unterversorgung in ländlichen Regionen ist nicht konsequent angegangen worden, obwohl die Instrumente dafür vorhanden gewesen wären. Jetzt empfehlen die Gutachter dem Gesetzgeber, zu drastischen Mitteln zu greifen.
Knapp 15 Jahre ist es her, dass der Rat sein Gutachten zur "Über-, Unter- und Fehlversorgung" vorgelegt hat. Damals, kommentieren die Professoren, habe man sich kaum vorstellen können, dass es jemals zu einer regionalen Unterversorgung im deutschen Gesundheitswesen kommen könnte. Nun zeichnet sich genau dieses Szenario ab: 52 Mittelbereiche in acht KVen sind als drohend unterversorgt eingestuft.
Das bisherige Vorgehen von Politik und Selbstverwaltung sei "leider nicht in der Lage gewesen", die "kontinuierliche Verschärfung" der Situation zu verhindern.
Eine zentrale Ursache ist die wachsende räumliche Ungleichverteilung von Ärzten: Neben Regionen mit drohender oder schon bestehender hausärztlicher Unterversorgung existieren Gebiete mit ausgeprägter fachärztlicher Überversorgung - vor allem in "wohlhabenden urbanen Regionen, in denen viele Privatversicherte leben".
Alle bisherigen Instrumente - Bedarfsplanung, Anreize zur Niederlassung in strukturschwachen Regionen - haben an dieser Überversorgung nichts geändert. Ein einziger Arztsitz in Nordrhein ist bisher von einer KV aufgekauft worden. Mehrere KVen bezeichneten in einer Umfrage einen Aufkauf als nicht nötig - "nicht nachvollziehbar", kommentiert der Rat.
Seine Empfehlungen: Bei Überversorgung ab 200 Prozent sollen KVen zum Aufkauf von Arztsitzen verpflichtet werden - bundesweit 1739 Praxen wären davon betroffen.
Außerdem schlagen die Gesundheitsweisen einen Vergütungszuschlag von bis zu 50 Prozent für Landärzte vor, die sich in Regionen mit weniger als 90 Prozent Versorgungsgrad niederlassen - garantiert auf zehn Jahre. Woher sich diese Höhe des Aufschlags ableitet, bleibt im Dunkeln.
Bezahlt werden soll er von Ärzten in nicht unterversorgten Planungsbereichen. Eine finanzielle Überforderung einzelner KVen dadurch sei "zunächst nicht erkennbar". Mag sein - doch die Gesundheitsweisen haben eine Blaupause für eine regional und versorgungsabhängig differenzierte Vergütung entworfen, die das KV-System mächtig unter Druck setzen würde - wenn Politiker dem Vorschlag folgen.
Lesen Sie dazu auch: Landarztmangel: Die Rezepte der Gesundheitsweisen