Landarztmangel
Die Rezepte der Gesundheitsweisen
Mit einem Potpourri an Maßnahmen wollen die sieben Gesundheitsweisen die ärztliche Versorgung auf dem Land verbessern. Die Vorschläge reichen von satten Zuschlägen für Ärzte bis hin zu Sanktionen für Patienten. Kritik kommt von Ärzteseite.
Veröffentlicht:BERLIN. Spürbar mehr Geld soll junge Ärzte aufs Land locken. Das empfiehlt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in einem aktuellen Gutachten. Titel: "Bedarfsgerechte Versorgung - Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche".
Die Therapievorschläge des Rates sind radikal. Sie reichen von massiven finanziellen Anreizen für Hausärzte und Fachärzte der Grundversorgung, die sich auf dem Land niederlassen, bis zu Sanktionen für Patienten, die ohne Überweisung eines Hausarztes eine Facharztpraxis aufsuchen.
Konkret halten die sieben Gesundheitsweisen einen markanten Vergütungszuschlag von 50 Prozent auf alle Grundleistungen der Regelversorgung und optional auch in Selektivverträgen für angemessen. Das Aufgeld soll es allerdings nur dort geben, wo der Versorgungsgrad für Hausärzte unter 90 Prozent und für grundversorgende Fachärzte auf unter 75 Prozent gesunken ist.
Gleichzeitig sollten nach Auffassung der Ratsmitglieder die Kassenärztlichen Vereinigungen dazu gezwungen werden, frei-werdende Arztpraxen dort aufzukaufen, wo der Versorgungsgrad 200 Prozent übersteige.
Diesen Vorschlag hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) umgehend kritisch kommentiert: "Dies wird der Versorgungsrealität nicht gerecht", sagte KBV-Vorstand Regina Feldmann. Zusätzlich zum Versorgungsgrad müsse die lokale Versorgungssituation berücksichtigt werden.
Bei hohen Versorgungsgraden handele es sich häufig um auch von den Krankenkassen mitgetragenen und festgestellten Sonderbedarf. Das heiße: "Die zusätzlichen Arztstellen werden auch gebraucht."
Aus dem von der Koalition geplanten Innovationsfonds soll nach den Vorstellungen des Rats der Aufbau von "Lokalen Gesundheitszentren" finanziert werden, die attraktive Arbeitsplätze, auch in Teilzeit, für junge Ärzte bieten könnten.
So könnten junge Ärzte in der Stadt wohnen bleiben und trotzdem tage- oder wochenweise auf dem Land arbeiten. Die Angebote der Zentren sollten um Leistungen mobiler Praxen, Hol- und Bringdienste und Telemedizin erweitert werden.
Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), der das Sondergutachten am Montag offiziell entgegennahm, kündigte gesetzliche Initiativen der Koalition an, um die medizinische Versorgung der Landbevölkerung in der Zukunft zu sichern. "Wir wollen die Rahmenbedingungen für die medizinische Versorgung gerade in strukturschwachen Regionen weiter verbessern", sagte Gröhe.
Teilweises Dispensierrecht für Hausärzte
Die Ratsmitglieder sehen vor allem abseits der Städte eine Zentralisierung der Gesundheitsversorgung voraus. Es gebe einen Trend zur Urbanisierung, sagte Ratsvorsitzender Professor Ferdinand Gerlach bei der Vorstellung des Gutachtens.
In den Städten habe sich eine Überversorgung herausgebildet. "Die meisten Ärzte arbeiteten dort, wo sie am wenigsten gebraucht werden", sagte Gerlach der "Ärzte Zeitung".
Die mit dem Versorgungsstrukturgesetz eingeführten Instrumente zum Abbau von Unter- wie Überversorgung scheinen noch nicht gegriffen zu haben. Eine Umfrage des Rats bei den KVen hat ergeben, dass die Förderung für einen freiwilligen Verzicht auf einen Arztsitz noch kein einziges Mal nachgefragt worden sei. Bundesweit ist bislang nur eine einzige Arztpraxis aufgekauft worden.
Für Fälle, in denen KVen den Sicherstellungsauftrag nicht mehr erfüllen könnten, schlagen die Gesundheitsweisen eine von der bisherigen Gesetzeslage abweichende Regelung vor. Dann soll der Sicherstellungsauftrag an das Land übergehen, nicht an die Kassen. Die Länder sollen die Versorgung dann komplett ausschreiben. Der Anreiz könnte dann nach Auffassung des Rates in einem deutlich aufgestockten Budget für die zu versorgende Region bestehen.
Das Gutachten bietet weitere Vorschläge an, Ärzten das Leben zu erleichtern. Hausärzte sollten ein Dispensierrecht für ein bestimmtes Arzneimittelsortiment erhalten, finden die Gesundheitweisen. Zudem sollten atypisch arbeitende Ärzte aus den Vergleichsgruppen für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen herausgerechnet werden, Regressandrohungen sollten auf höchstens 20.000 Euro gedeckelt werden.
Um die Zahl der Hausärzte insgesamt zu erhöhen, schlagen die Experten vor, Fakultäten, die die Ausbildung im Fach Allgemeinmedizin gezielt fördern, bei der Hochschulfinanzierung zu bevorzugen.
Kompetenzzentren, wie sie bereits in Baden-Württemberg und Hessen arbeiten, sollen dazu beitragen, die derzeit durchschnittlich acht Jahre währende Weiterbildung zu verkürzen. Der Rat plädiert für ein hausärztliches Pflichtquartal im Praktischen Jahr. Dazu müsste die Zahl der Ausbildungspraxen bis 2019 um 4800 aufgestockt werden.