Lastesel GKV
Der Bund verschiebt Milliarden bei Hartz IV
Bei der Finanzierung der GKV-Kosten für Hartz IV-Empfänger hält sich der Staat schadlos. Er zahlt pro Monat 97 Euro, 275 Euro müssten es sein. Tatsächlich ist der Verschiebebahnhof zu Lasten der GKV-Mitglieder noch viel größer.
Veröffentlicht:BERLIN. GKV-Mitglieder subventionieren die Kosten der Krankenversicherung für Hartz IV-Empfänger mit rund 9,6 Milliarden Euro pro Jahr. Das hat das IGES-Institut im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums errechnet.
Aktuell zahlt der Bund für Bezieher von Arbeitslosengeld II einen Krankenversicherungsbeitrag von 96,81 Euro an den Gesundheitsfonds – viel zu wenig, um die Leistungsausgaben der Kassen zu decken. Die durch-schnittlichen Leistungsausgaben der GKV je Versicherten und Monat betrugen laut Schätzerkreis beim Bundesversicherungsamt im vergangenen Jahr 245,49 Euro.
Allerdings, so die IGES-Gutachter, liegen die Leistungsausgaben für Hartz IV-Empfänger deutlich über dem GKV-Durchschnitt. Besonders stark schlägt dies auf Krankenhausleistungen und Arzneimittelausgaben durch, weniger deutlich ist der Effekt bei ärztlichen Leistungen. Im Endergebnis halten die Gutachter eine Beitragspauschale von 275,31 Euro pro Monat für kostendeckend. Das sind 178,50 Euro mehr, als der Bund bisher an den Gesundheitsfonds überweist.
Das Ministerium musste zu der IGES-Analyse aber erst vom Bundesrat motiviert werden. Im Juli 2016 hatte die Länderkammer den Bund aufgefordert, "transparent und zeitnah die Leistungsausgaben der Krankenkassen und die geleisteten Beiträge für ALG II-Bezieher zu evaluieren". Seit den Hartz-Reformen im Jahr 2005 hat der Bund mehrfach an den Bemessungsgrundlagen für die Beiträge der Hartz IV-Empfänger geschraubt – stets zu Lasten der GKV.
Die Leistungsausgaben für ALG II-Bezieher addieren sich auf rund 12,7 Milliarden Euro. Hinzu kommt noch eine Gruppe von Geringverdienern, deren Einkommen "aufgestockt" wird. Auch hier sind die Pauschalen, die dem Gesundheitsfonds zur Verfügung gestellt werden, viel zu niedrig. Ingesamt fallen so Ausgaben von knapp 15,5 Milliarden Euro an, denen aber nur Beitragseinnahmen von etwa 5,9 Milliarden Euro gegenüberstehen. Aus der Deckungslücke von 9,59 Milliarden Euro ergibt sich, dass der Bund gerade einmal 38 Prozent der Krankenversicherungskosten aus Steuergeld deckt.
Mit anderen Kosten: Der Bund verschiebt sozialpolitische Lasten in Milliardenhöhe an die GKV-Mitglieder. Denn Hilfen zur Gesundheit zählen nicht zu den Leistungen der Grundsicherung. Mit der Etablierung der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht sind die Kassen de facto mit der gesundheitlichen Versorgung dieser Bevölkerungsgruppe beauftragt worden. Diese Lastenverschiebung hat der GKV-Spitzenverband seit Jahren mantraartig beklagt – folgenlos.
Sauer stößt den Verantwortlichen auf, dass dagegen der maximale Zuschuss für PKV-Versicherte, die Hartz IV beziehen, bei 341,48 Euro liegt – also rund 244 Euro über dem Beitrag für GKV-Versicherte .
Dass das Thema nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden kann, war auch den Jamaika-Sondierern klar. Im Positionspapier vom 30. Oktober tauchte die Formulierung auf, die "weitergehende Steuerfinanzierung" der Beiträge von ALG II-Empfängern solle "geprüft" werden. Dazu ist es bekanntlich nie gekommen.
Bis heute wird den Kassen nur ein Teil der versicherungsfremden Leistungen, die die GKV erbringt, durch Steuern erstattet. Der Steuerzuschuss an die GKV beträgt in diesem Jahr 14,5 Milliarden Euro. Forderungen der Kassen, den Bundeszuschuss verbindlich an die Entwicklung der versicherungsfremden Ausgaben zu koppeln, sind bisher ungehört verhallt.
Die GKV als Verschiebebahnhof
- Das Gesamtvolumen versicherungsfremder Leistungen hat die GKV für 2013 auf rund 34 Milliarden Euro taxiert. Diese Summe entspricht aktuell rund 2,5 Beitragspunkten.
- Die größte versicherungsfremde Leistung ist der Versicherungsschutz für Personen, die selber keine Beiträge zahlen. Darunter fällt die beitragsfreie Mitversicherung für Kinder und Jugendliche in Höhe von rund 16 Milliarden Euro, für Ehegatten der Mitglieder (rund 8,1 Milliarden Euro) und Familienangehörige (rund 5,6 Milliarden Euro).
- Leistungen rund um Schwangerschaft und Mutterschaft, vom Einnahmeverlust durch Beitragsfreiheit bei Mutterschutz und Elternzeit (rund eine Milliarde Euro) bis zu weiteren Leistungen wie Haushaltshilfe oder Krankengeld für Eltern, wenn sie wegen der Betreuung des Kindes nicht arbeiten können (etwa 3,9 Milliarden Euro).
- Leistungen zur Empfängnisverhütung und zur künstlichen Befruchtung führt das BMG als weitere versicherungsfremde Leistungen auf.