Stimmen zum Koalitonsvertrag
Diabetologen: Ampel kämpft „mutlos“ gegen Diabetes und Adipositas
„Zu wenig gewagt“: Ärzte und Vertreter der Selbsthilfe kritisieren den Ampel-Koalitionsvertrag zu den Themen Diabetes und Adipositas. Ein Knackpunkt: die versäumte Zuckersteuer.
Veröffentlicht:Berlin. Medizinische Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen haben den Ampel-Koalitionären Mutlosigkeit bei der Bekämpfung der Volkskrankheit Diabetes vorgeworfen. Der Koalitionsvertrag enthalte zwar „gute Ansatzpunkte“, bleibe aber in zu vielen Punkten vage, sagte die Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Barbara Bitzer. Die nächsten Wochen und Monate müssten daher zeigen, „ob die Ampel wirklich bereit ist, im Interesse der Menschen mit Diabetes auch Entscheidungen zu treffen, die mehr sind als halbherziger Kompromiss“.
Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) kritisierte, dass obwohl etwa 17 Millionen Bürger stark übergewichtig und die entsprechenden Versorgungsstrukturen „desolat“ seien, das Thema Adipositas im Koalitionsvertrag keine Erwähnung finde.
Dabei gebe es großen Handlungsbedarf. „Jahr für Jahr sind mehr Erwachsene wie Kinder von Adipositas betroffen, und trotzdem geht die Anzahl der spezialisierten Behandlungszentren weiter zurück. Dieser Trend muss umgekehrt werden, um lebensbedrohliche Folgeerkrankungen wie Diabetes und Herzkrankheiten rechtzeitig zu verhindern“, sagte der Präsident der DAG, der Hamburger Diabetologe Professor Jens Aberle.
Klares Versäumnis Zuckersteuer
Der Vorstandschef von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, Dr. Jens Kröger, sagte, es sei gut, dass die Ampel der Gesundheitsförderung mit einem „nationalen Präventionsplan“ mehr Tempo geben wolle.
Richtig sei auch, dass es an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben solle. Als klares Versäumnis stufte Kröger ein, dass der Koalitionsvertrag keine Zuckersteuer vorsehe. „Da hat die neue Regierung einen wichtigen Aspekt liegengelassen und zu sehr eine gelbe Färbung der Ampel zugelassen.“
Kröger erinnerte an Großbritannien, das 2018 eine Zuckersteuer für süße Limonaden eingeführt hatte. In der Folge sei der Absatz von Wasserflaschen und zuckerarmen Getränken in Großbritannien um 40 Prozent gestiegen. „Das hätten wir uns auch für Deutschland gewünscht.“ DDG-Geschäftsführerin Bitzer nannte das fehlende Bekenntnis zur Zuckersteuer sehr bedauerlich. Auch der Nutri-Score solle weiterentwickelt, aber nicht verbindlich umgesetzt werden.
Von der im Sommer 2020 verabschiedeten nationalen Diabetesstrategie sei im rot-grün-gelben Koalitionsvertrag ebenfalls nicht die Rede, sagte Bitzer. Der Diabetesplan sei bislang ohne spürbare Folgen geblieben. Der Koalitionsvertrag der Ampel berücksichtige zwar Teilaspekte daraus, habe „aber keinerlei Fokus auf die Prävention, Früherkennung, Versorgung und Erforschung der Volkskrankheit Diabetes“, monierte Bitzer.
Signale für mehr Forschung
Positiv bewertet die Fachgesellschaft dagegen die angekündigten Vorhaben zu Forschungspolitik und Digitalisierung. Für die künftig bessere Versorgung von Menschen mit Diabetes sei es wesentlich, anonymisiert Daten beispielsweise von Krankenkassen nutzbar zu machen, um daraus neue Erkenntnisse für Prävention, Früherkennung und Behandlung ziehen zu können, sagte DDG-Präsident Professor Andreas Neu.
Koalitionsvertrag
Die Gesundheitspolitik der Ampel-Koalition
Auch das Ziel der Ampel-Koalitionäre, Forschungsausgaben zu erhöhen, Projekte stärker zu vernetzen sowie den Transfer der Grundlagenforschung in die Praxis zu beschleunigen, klinge insgesamt vielversprechend. Einrichtungen wie das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung könnten somit offenbar „verbindlich“ fortgeführt werden, so Neu.
DDG-Sprecher Professor Baptist Gallwitz nannte es gut, dass Digitalisierung im Alltag stärker genutzt werden solle. „Das ist vor allem für die Versorgung in der Fläche hilfreich.“ Voraussetzung sei, dass die Tools die Versorgungsqualität steigerten. Offen lasse die Ampel aber, ob die Leistungen auch adäquat vergütet würden.