Schräge Impfpolitik
"Die Strategie der Appelle ist gescheitert"
Deutschlands Pädiater schlagen Alarm: Weil manche Eltern es nicht so genau nehmen mit dem Impfschutz ihrer Schützlinge, drohen schwere Krankheiten - und der Verlust der Herdenimmunität. Für die Pädiater ist das "unterlassene Hilfeleistung". Sie fordern ein anderes Impfkonzept.
Veröffentlicht:BERLIN. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) sieht es als "unterlassene Hilfeleistung" an, Kindern einen Impfschutz vorzuenthalten. Die Verabschiedung eines Nationalen Impfkonzepts sei überfällig.
Anlässlich des Kinder- und Jugendärztetages 2014 in Berlin wies Verbandspräsident Dr. Wolfram Hartmann am Freitag vor Journalisten darauf hin, dass die bisher von allen Bundesregierungen favorisierte Strategie, die Bevölkerung und vor allem Eltern durch Appelle für Impfungen zu gewinnen, gescheitert sei.
Unter anderem sei das Ziel verfehlt worden, bei allen impfpräventablen Erkrankungen eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent zu erzielen. Zwar liege die Impfquote bei den Erstimpfungen noch bei über 90 Prozent.
Die genauso wichtigen Auffrischimpfungen würden aber im bundesweiten Durchschnitt nur noch von 80 Prozent der Kinder in Anspruch genommen. Dies reiche bei weitem nicht aus, um Kinder vor den oft schwerwiegenden Komplikationen von Erkrankungen wie etwa Masern zu schützen, so Hartmann.
Der Verbandschef sprach sich allerdings gegen eine vom Verband grundsätzlich befürwortete generelle Impfpflicht aus. Sie sei politisch und verfassungsrechtlich nicht durchsetzbar. Vielmehr sollten Regelungen getroffen werden, dass generell der Impfstatus aller Kinder vor Eintritt in eine staatlich finanzierte Kindertagesstätte oder Schule überprüft wird.
Lägen dann nicht alle Nachweise der gängigen Grundimmunisierungen vor, sollten diese Impfungen vor dem Kita- oder Schuleintritt umgehend nachgeholt werden. Nur mit solchen Maßnahmen, die das Kindeswohl vor das Elternrecht stellten, so Hartmann, seien die angestrebten Impfziele auf Dauer zu erreichen.
Erstaunen rief bei dem BVKJ-Chef das Eingeständnis von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hervor, wonach das Präventionsgesetz weiter auf die lange Bank geschoben wird. In einem Gespräch mit Hartmann hatte Gröhe am Mittwoch eingeräumt, dass es noch zu viele ungeklärte inhaltliche und finanzielle Fragen zwischen den Regierungsparteien gebe. Gröhe hatte noch vor Kurzem angedeutet, dass das Gesetz noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden könnte.
Somit werde das geplante Präventionsgesetz erneut verschoben und könne nicht - wie ursprünglich angedacht - zum 1. Januar 2015 in Kraft treten. Damit werde die Primärprävention für Kinder in absehbarer Zeit nicht gestärkt werden können. (ras)