Baden-Württemberg

Die Wege zum Hausarzt werden weiter

Der Gesundheitsatlas Baden-Württemberg illustriert online verschiedene Szenarien zur hausärztlichen Versorgung im Jahr 2030. Erschreckende Botschaft: Der Hausarzt in fußläufiger Entfernung wird vielerorts passé sein.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Weiter Weg zum Arzt im Jahr 2030.

Weiter Weg zum Arzt im Jahr 2030.

© chromorange / dpa

STUTTGART. In 15 Jahren könnte aus der noch flächendeckenden hausärztlichen Versorgung in Baden-Württemberg ein Flickenteppich werden. In einigen Regionen des Südwestens müssen Patienten im Jahr 2030 mehr als 20 Kilometer zum nächsten Hausarzt fahren.

 Das geht aus Daten des Gesundheitsatlas' hervor, einem Online-Portal des baden-württembergischen Sozialministeriums.

Das Info-Angebot bündelt eine Vielzahl von Gesundheitsdaten, von der Zahl der Apotheken im Südwesten über die Altersstruktur der Bevölkerung bis zum Befund der Einschulungsuntersuchungen - insgesamt sind es über 60 Indikatoren.

"Der Gesundheitsatlas schafft Transparenz", befand Landesgesundheitsministerin Katrin Altpeter (SPD). "Einzigartig" ist nach ihrer Darstellung die Aufbereitung von Daten, die die Entfernung der Bürger zu ihrem nächsten Haus- oder Facharzt ermittelt.

Aktuell noch weitgehend flächendeckend

Die Alten gehen, die Jungen fehlen

Das Durchschnittsalter der Hausärzte in Baden-Württemberg liegt zurzeit bei 55,2 Jahren. Die Hausärzte sind im Schnitt so alt wie in kaum einem anderen Bundesland.

Von den 7100 Hausärzten zwischen Heidelberg und Konstanz waren im vergangenen Jahr nach Zahlen der KV 3680 über 55 Jahre alt. Im Jahr 2030 wird diese Gruppe den Kittel an den Nagel gehängt haben.

300 Nachbesetzungen von Hausarztsitzen wären eigentlich jährlich nötig. KV und Kassen gehen davon, dass bis 2016 etwa 500 Praxen nicht nachbesetzt werden können.

Der Sachverständigenrat geht in seinem 2014 veröffentlichten Gutachten davon aus, dass das Arbeitsvolumen der Nachfolger geringer ist, als das der Hausärzte „traditionellen Typs“. Konkret vermuten die Gesundheitsweisen, dass daher drei „neue“ Hausärzte – zumeist Frauen – nötig sind, um zwei ausscheidende Ärzte zu ersetzen.

Und dies nicht für den Status quo im Jahr 2014, sondern auch für das Jahr 2030.

Dabei werden drei Szenarien unterschieden: Eine Nachbesetzung von Hausarztsitzen gelingt nur in a) Gemeinden über 5000 Einwohnern, b) in Gemeinden über 10.000 oder c) sogar nur noch in Zentren und deren Randzonen.

Zutreffend kommentiert das Ministerium die Erreichbarkeitsanalyse mit den Worten, zu den zentralen Beurteilungskriterien von Bürgern für eine gute Versorgung gehöre die Wohnortnähe. Aktuell scheint das Netz der hausärztlichen Versorgung noch weitgehend flächendeckend zu sein.

Den weitesten Weg zum nächsten Hausarzt haben die Bürger in Pfronstetten mit sieben Kilometern Anfahrt.

Die sechs Teilgemeinden mit rund 1500 Einwohnern liegen auf der Schwäbischen Alb im Süden des Landkreises Reutlingen. In landesweit 15 Gemeinden liegt die Entfernung zum nächsten Hausarzt bei fünf bis maximal sieben Kilometern.

Das Bild ändert sich drastisch, wenn die Uhr um 15 Jahre weitergedreht und dabei unterstellt wird, dass nur in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern eine Nachbesetzung von Hausarztsitzen gelingt.

Dies dürfte angesichts der veränderten Wünsche junger Ärzte nach einem Ausgleich von Arbeit, Familie und Freizeit kein unrealistisches Szenario sein.

In über 150 Gemeinden muss das Auto ran

Die Landkarte im Gesundheitsatlas ändert sich bei diesem Szenario drastisch: Glücklich ist, wer in 15 Jahren in Mannheim, Ulm, Reutlingen, Göppingen oder auch in Bad Wimpfen oder Nürtingen lebt.

Hier wird, glaubt man der Datenaufbereitung, auch noch im Jahr 2030 ein Hausarzt in fußläufiger Entfernung zu finden sein.

In mehr als 150 Städten und Gemeinden muss dann aber ein anderes Transportmittel her.

Denn der Weg zum Hausarzt ist dann mehr als 20 Kilometer weit. In Pfronstetten etwa sind dann nicht wie derzeit sieben, sondern 14 Kilometer Anfahrtsweg fällig.

Andere Kommunen sind noch ärger dran: Fast 21 Kilometer wären es dann für Patienten aus Creglingen im Main-Tauber-Kreis mit 4900 Einwohnern.

Berücksichtigt werden muss allerdings, dass die Entfernungsanalyse des Ministeriums keine Mitversorgungseffekte zwischen städtischen und ländlichen Regionen abbildet.

Bei anderen Fachgruppen sieht es nicht besser aus - im Gegenteil. Wer im Jahr 2030 seinen Nachwuchs zum nächsten Kinderarzt bringen muss, müsste, wenn das gleiche Szenario unterstellt wird (Nachbesetzung nur in Gemeinden über 10.000 Einwohner) in Dutzenden Gemeinden sogar 30 Kilometer um mehr fahren.

Der Gesundheitsatlas erlaubt den Blick auf ein Entwicklungsszenario der ambulanten Versorgung, bei dem "wohnortnah" neu definiert werden müsste.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Wohnortnah - welch Luxus!

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Kommentare
Dr. Patricia Singer 15.02.201514:29 Uhr

Eine Frage des Angebotes

Kein Friseur würde sagen "klar, um 20-30 Euro Flatrate kannst du 3 Monate lang so oft Haareschneiden kommen, wie du willst." Auch um 80 Euro gibt es keine 3-Monats Flatrate. Das macht auch keine andere Berufsgruppe- oder wollen wir das mal beim Mechaniker oder Anwalt probieren? Und wieviel kostet es in der Nacht/am Wochenende einen Schlüsseldienst oder Installateur zu holen? Und wer muss dann noch mit 100en Codes zeitaufwendig abrechnen statt einfach sagen zu können- eine Stunde kostet bei mir 150 Euro und fertig. Und wer hat so viele Zwangsabgaben (ÄK, Kreisverband, KV, Versorgungswerk ohne Begrenzung nach oben, hohe Berufshaftpflicht im Vgl zu anderen Berufen). Unattraktiver kann der ärztliche Beruf ja kaum mehr werden. Die Lösung liegt auf der Hand- welches Land hat so viele Krankenkassen, die alle einen eigenen administrativen Apparat brauchen und Top-Manager, die gut bezahlt werden? Welches Land hat so hohe Patientenbeiträge und zahlt den Ärzten so wenig? Wer bietet so viele nicht-bewiesenen Maßnahmen auf Kasse? Basis Versorgung muß in einem sozialen Land gewährleistet sein, aber wenn der Arztberuf so unattraktiv ist, dass es keiner mehr machen will, dann können wir nur noch Leute aus Ländern mit einem Lohngefälle importieren. Oder den Patient ermächtigen. Ihn ermächtigen zu wählen- eine Basisversorgung mit geringerem Beitrag, und alles was darüber hinausgeht, selbst zu zahlen. Oder einen höheren Beitrag mit einer breiten Versorgung zu zahlen. Und Kassen und Politik, die mit ihren Mitbürgern und deren Ansprüchen (auch auf Geld) respektvoll umgehen und selbst effizient arbeiten.

Dr. Wolfgang Bensch 13.02.201510:57 Uhr

Der Nachwuchs arbeitet woanders

Manche arbeiten auch in der Körperschaft öffentlichen Rechts, zerbrechen sich die Köpfe im Erfinden ständig neuer Regelungen, Notdienstreformen etc. wobei sie stets gut bezahlt bzw. "versorgt" sind ... von den anderen arbeitenden "Vertragärzten", die das nach wie vor vertragen.
Deutschland verquer - wie lange noch?

Walter Schenk 13.02.201509:37 Uhr

Nachwuchs fehlt auch in der Großstadt

Der Gesundheitsatlas zeigt zutreffend, dass es im ländlichen Raum mehr Hausärzte als in den Stadtregionen gibt. Und fehlen wird der Nachwuchs überall - allein in Stuttgart mussten letztes Jahr 15 Hausärzte ohne Nachfolger ihre Praxen schließen.

Walter Schenk 13.02.201508:31 Uhr

Nachwuchs fehlt auch in der Großstadt

Der Gesundheitsatlas zeigt zutreffend, dass es im ländlichen Raum mehr Hausärzte als in den Stadtregionen gibt. Und fehlen wird der Nachwuchs überall - allein in Stuttgart mussten letztes Jahr 15 Hausärzte ohne Nachfolger ihre Praxen schließen.

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