Votum zur Organspende

Dittmar rechnet mit Kopf-an-Kopf-Rennen

Am Donnerstagmorgen entscheidet der Bundestag über die künftige Regelung der Organspende. SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar geht von einem engen Rennen zwischen Widerspruchs- und Entscheidungsregelung aus.

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Berlin. Mit Blick auf die am Donnerstagvormittag anstehende Organspende-Entscheidung im Bundestag rechnet die SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden fraktionsübergreifenden Gesetzesanträge. „Ich weiß, dass es sehr knapp werden wird“, sagte Dittmar am Mittwoch vor Journalisten in Berlin.

Dittmar gehört zu den Abgeordneten, die den Entwurf zur Widerspruchslösung unterstützen. Danach gilt jeder als Organ- und Gewebespender – es sei denn, er hat dem ausdrücklich widersprochen.

Dem Parlament zur Abstimmung ein weiterer Gruppenantrag zur Entscheidungs- beziehungsweise Zustimmungslösung und ein eigener Antrag der AfD-Fraktion („Vertrauenslösung“) vor

Ausdruck von Selbstbestimmung

Dittmar betonte, die mit der Widerspruchslösung angestrebte Regelung sei auch Ausdruck von Selbstbestimmung. „Ich entscheide zu Lebzeiten, was passiert mit meinen Organen nach dem Hirntod.“ Kritik, die Widerspruchslösung beschneide das Recht auf Selbstbestimmung, ärgere sie daher, so Dittmar.

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Bärbel Bas, die ebenfalls die Widerspruchslösung favorisiert, sagte, es sei den Menschen „zumutbar“, dass sie mit Blick auf die Organspende eine Entscheidung treffen müssten, da es auf der anderen Seite viele Menschen gebe, die auf ein Organ warten würden.

„Deshalb finde ich es persönlich legitim, dass man sich mit dieser Frage auseinandersetzt und das nicht der Freiwilligkeit überlässt.“

„Schweigen ist keine Zustimmung“

Die Abgeordnete Martina Stamm-Fibich (SPD) betonte dagegen, es komme darauf an, die Entscheidungsbereitschaft der Menschen zu erhöhen statt darauf zu bauen, dass diese sich keine Gedanken über das Thema Organspende machten.

„Ein Schweigen in dieser ethisch komplizierten Frage darf keine Zustimmung sein. Eine Spende muss ein aktiver Akt bleiben“, sagte Stamm-Fibich laut einer am Mittwoch verbreiteten Mitteilung.

Derzeit stehen hinter der Widerspruchslösung 222 Abgeordnete, hinter der Entscheidungslösung haben sich 191 Abgeordnete versammelt, hinter der AfD stehen 88 Abgeordnete. Im Bundestag vertreten sind insgesamt 709 Abgeordnete.

Der SPD-Politiker Professor Karl Lauterbach hatte am Montag erklärt, es sei auch möglich, dass alle drei Anträge keine Mehrheit erhielten. In diesem Fall bleibe alles, wie es ist. (hom)

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Kommentare
Dr. Schätzler 16.01.202008:58 Uhr

Widerspruchslösung: Verfassungswidrig!

An die noch unentschlossenen Abgeordneten des Deutschen Bundestages:

Es war die Transplantations-Medizin selbst, die zu krisenhaftem Mangel an Spenderorganen, Manipulationsverdacht, fehlender Transparenz und mangelnder medizinethischer Orientierung bei den Organtransplantationen geführt hat. Auch die hin und her lavierende Politik hat mit dazu beigetragen: Gestern noch die verfassungskonform qualifizierte, freiwillige Entscheidungs- und Zustimmungslösung, heute schon die "doppelte Widerspruchslösung"?

Informationelle Selbstbestimmung
Doch die „Widerspruchslösung“ verstößt gegen die "informationelle Selbstbestimmung" und weitere Persönlichkeitsrechte: Sie wird m. E. spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe scheitern. Jede(r) von Geburt an potenzielle Organspender wäre z. B. ab dem 16. Lebensjahr von Staats wegen annektiert, wenn er nicht ausdrücklich widerspräche. Besonders perfide: Nicht Einsichts-, Geschäfts- und Entscheidungs-fähige Personen wie Kinder, Jugendliche, körperlich und geistig Behinderte, Benachteiligte und Patienten mit demenziellen Syndromen müssen Ihre Organe unreflektiert zur Verfügung stellen, ohne jemals die Chance zu haben, diesem Ansinnen bewusst widersprechen zu können.

Dr. Schätzler 16.01.202008:52 Uhr

Perimortale Organspende
Ursache mangelnder Organspende-Bereitschaft ist in Deutschland nach wie vor die fehlende gesellschaftspolitisch transparente Debatte über bio-psycho-soziale Auswirkungen der Transplantationsmedizin. Bei möglichst lebensfrischen, transplantablen Spenderorganen mit zu Recht geforderten, guten Erfolgsaussichten bei den Organempfängern kann es keine, wie selbst von Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn immer wieder behauptete "postmortale", sondern nur eine p e r i m o r t a l e Organspende geben. Verantwortliche Fachärzte-Teams, die den Hirntod feststellen, bzw. die Organ-Ex- oder -Implanteure, deren chirurgisch-fachliche Qualifikation ich nicht in Frage stellen will, bewegen sich auf einem denkbar schmalen Grat zwischen Leben und Tod: Zwischen Hirntodfeststellung, Entscheidungsfindung und Transplantations-Geschehen.

Mehr Organspende-Bereitschaft wagen
Will man "mehr Organspende-Bereitschaft wagen", geht das nur mit Stetigkeit, Beharrlichkeit, Überzeugungskraft, Selbst-Reflexion, Nachhaltigkeit, Perspektive, Mut u n d Offenheit. In einer säkularen Gesellschaft sind als einseitige Lebensverlängerung eine "Wiedergeburt" (Transplantationsmediziner Prof. E. Nagel) genauso wie eine "moralisch-ethische Pflicht zur Organspende" oder ein "Ja" oder "Nein" ebenso spekulativ wie appellativ unwirksam.

Nur ein „toter Organspender“ ist ein „guter Organspender“?
Die ohne Not in die Debatte geworfene "doppelte Widerspruchslösung" reflektiert einen patriarchalen/matriarchalen Fundamentalismus bzw. Utilitarismus im Sinne von „nur ein toter Organspender ist ein guter Organspender“. Sie wird in Spanien gar nicht in dieser Form verwirklicht, wie eine Gruppe von Parlamentariern jüngst feststellen musste: https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/organspende/article/975345/organspende-spanien-widerspruchsloesung-erfolgreich.html
Die Widerspruchslösung offenbart in der medizinischen Grenzsituation einer primären oder sekundären Reanimation unauflösbare medizinisch-ethische Zielkonflikte.

Dr. Schätzler 16.01.202008:45 Uhr

In den Diskurs gehört auch das immer wieder selbst von einigen Ärztinnen und Ärzten öffentlich vorgetragene Argument, eine Selektion von zur Organspende bereiten und nicht bereiten Personen einzuleiten: In dem Sinne, dass "wer sich nicht selbst zur Organspende bereit erklärt, auch keine fremden Organe bekommen solle". Dies verkennt neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dass viele unserer Patientinnen und Patienten auf Grund von wesentlichen, bedrohlich lebensverkürzenden Erkrankungen selbst niemals als potenzielle Organspender, sondern nur als Organempfänger in Frage kämen.

Respekt für flankierende Maßnahmen
Bei allem Respekt, auch wenn die bisherige, verfassungskonforme Entscheidungs- und Zustimmungslösung von einer breiten Mehrheit im Deutschen Bundestag durch eine m. E. verfassungswidrige Widerspruchslösung ersetzt würde, müsste die Bereitschaft zur Organspende durch endlich von der Bundesregierung verabschiedete flankierende Maßnahmen verbessert werden. Dazu gehören die finanzielle und ideelle Aufwertung der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken und die bessere Ausstattung von Explantations-Teams. Die GKV-Krankenkassen haben sich offenkundig viel zu lange und unverantwortlich „totgespart“, um die hohen logistischen und finanziellen Aufwendungen der Transplantationsmedizin zu konterkarieren.

Und wenn wie bisher auch weiterhin Manipulationen praktiziert werden, bzw. auch nur der Hauch eines Verdachts der Diskriminierung Organspende-unwilliger Betroffener entsteht, bricht die Organspende-Bereitschaft, ob mit Zustimmungs- oder Widerspruchslösung erneut zusammen. Die nicht nur meines Erachtens verfassungswidrige Widerspruchsloslösung ist ein weiteres Problem und nicht die Lösung, die sie zu sein vorgibt.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Vgl. dazu:
https://www.bpb.de/apuz/33313/organspende-toedliches-dilemma-oder-ethische-pflicht-essay?p=all

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