Irland
Ein Hausarzt ist neuer Regierungschef
Leo Varadkar, der künftige Premierminister Irlands, ist Hausarzt aus Überzeugung. Während er sich früh zur Medizin berufen fühlte, startete seine politische Karriere zunächst holprig.
Veröffentlicht:DUBLIN. Wenn vom "American Dream" die Rede ist, ist damit meistens die Geschichte einer steilen Karriere gemeint. Irland hat seit Kurzem eine vergleichbare Geschichte, nur dass hier niemand vom Tellerwäscher zum Millionär wurde, sondern vom Hausarzt zum Regierungschef (gälischer Amtstitel: "Taoiseach"). Der politische Aufstieg des ausgebildeten Hausarztes Leo Varadkar ist aus vielerlei Sicht bemerkenswert.
Der 38-Jährige, der als Sohn eines aus Indien stammenden Geschäftsmannes in Dublin geboren wurde, sagt von sich, er habe zwei große Leidenschaften in seinem Leben. Da sei zum einen die Politik und zum anderen die Medizin. Genauer gesagt: die Allgemeinmedizin.
Bevor Varadkar nämlich Vollzeit in die Politik einstieg, praktizierte er als Assistenzarzt am irischen Connolly Hospital (Blanchardstown) und später auch als Haus- und Primärarzt. Eine Zeit, an die er sich auch heute noch gerne zurückerinnert.
Ehemaliger Patient erinnert sich
Ehemalige Patienten loben ihn für seine gründliche Diagnostik und seine Offenheit in Patientengesprächen. "Mit ihm kann man über alles sprechen und man hat irgendwie das Gefühl, mit einem engen Freund zu reden", schwärmt ein ehemaliger Patient Varadkars. "Wir freuen uns sehr, dass er jetzt Premierminister wird!"
Schon als Teenager war Varadkar klar, was er beruflich später gerne machen würde. "Ich wollte Menschen helfen und sie wieder gesund machen. Daher war ich schon in jungen Jahren an der Medizin und speziell an der Allgemeinmedizin interessiert." Varadkar studierte zunächst aber Rechtswissenschaften am Trinity College in Dublin, bevor er wenig später auf Medizin wechselte und 2003 graduierte. 2010 qualifizierte er sich für den Beruf des General Practitioner (GP), was die englische Bezeichnung für Hausarzt ist.
Varadkar gehört bereits seit seiner Jugend der politisch eher konservativen Partei "Fine Gael" an. Freilich: Seine ersten Gehversuche als Politiker waren anders als seine Karriere in der Allgemeinmedizin nicht immer von Erfolg gekrönt. 1999 ließ sich der damals 20-Jährige als Kandidat bei einer Lokalwahl aufstellen – wenig erfolgreich: Ganze 380 Stimmen konnte "unser Leo", wie ihn viele seiner Ex-Patienten nennen, auf sich vereinen.
"Meine Eltern waren froh, dass ich neben meinem politischen Engagement weiter Medizin studierte", erinnert sich Varadkar amüsiert. Interessant: Seine Eltern Maharashtrian Ashok Varadkar und die im irischen Wexford geborene Miriam Varadkar lernten sich kennen, als beide in den 80er Jahren im staatlichen britischen Gesundheitswesen (NHS) arbeiteten.
Star eines neuen Irlands
Am Dienstag sollte Varadkar nach Redaktionsschluss zum neuen Premierminister Irlands gewählt werden – als jüngster Regierungschef in der Landesgeschichte. Kein Wunder, dass seine Eltern stolz auf ihren Sohn sind. "Als mein Vater damals tausende Kilometer aus Indien nach Irland kam, um hier eine neue Heimat zu finden, hätte er sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, dass sein Sohn eines Tages dieses Land regieren wird", so der neue Regierungschef kürzlich in einem Interview.
Die Medien lieben den Arzt, symbolisiert er doch eindrucksvoll, wie dramatisch sich das überwiegend katholische Irland in den vergangenen Jahren gesellschaftlich verändert hat. Leo Varadkar ist der aufstrebende Star eines neuen, modernen, weltoffenen Irlands. Nichts beweist das mehr als die Tatsache, dass Varadkar offen schwul lebt, dies im Wahlkampf aber so gut wie keine Rolle spielte.
"Schwulsein ist nicht das, was mich als Person definiert. Ebenso bin ich nicht ein halb-indischer Politiker oder ein politischer Arzt oder ein schwuler Politiker. Meine Sexualität ist einfach Teil meiner Persönlichkeit oder meines Charakters, aber sie definiert mich nicht."
Die Gesundheitspolitik dürfte eines seiner ersten Aufgabenschwerpunkte als neuer Regierungschef werden. Das irische Gesundheitswesen steht vor großen Veränderungen. Wie in allen EU-Ländern ist das Geld knapp. Demografische Veränderungen und der Austritt des Nachbarlandes Großbritannien aus der EU stellen Varadkar vor schwierige Aufgaben. Übung in der Gesundheitspolitik hat er: Bevor er sich um das Amt des irischen Regierungschefs bewarb, war er einige Zeit irischer Gesundheitsminister. So oder so, für seine ehemaligen Patienten bleibt er wohl auch weiterhin "unser Leo".