Zi schlägt Alarm
Es fehlen bis zu 6000 Medizin-Studienplätze pro Jahr
Wenn nicht schnell viele zusätzliche Medizinstudienplätze geschaffen werden, könnte das Versorgungsniveau bis 2035 dramatisch sinken, hat das Zi ausgerechnet. Die Jung-Mediziner sind in dieser Rechnung allerdings die große Unbekannte.
Veröffentlicht:BERLIN. Zwischen 3000 und 6000 Medizin-Studienplätze pro Jahr müssten zusätzlich geschaffen werden, um das aktuelle Versorgungsniveau aufrechtzuerhalten. Das hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) in seiner Studie „Bedarfsprojektion für Medizinstudienplätze in Deutschland“ ausgerechnet.
„Wenn das bisherige Niveau der medizinischen Versorgung auch nur annähernd aufrechterhalten werden soll, ist eine substanzielle Steigerung der Ausbildungskapazität durch die Bundesländer im Fach der Humanmedizin unabdingbar“, sagte Zi-Geschäftsführer Dr. Dominik von Stillfried am Samstag in Berlin. Die Projektion zeige, dass der vertragsärztliche Versorgungsgrad bis 2035 auf 74 Prozent des heutigen Niveaus absinken könnte – selbst wenn es weiterhin gelingt, die aktuelle Nettozuwanderung in Höhe von 1639 Ärzten pro Jahr nach Deutschland aufrechtzuerhalten.
Allein eine Steigerung der Zuwanderung um etwa 3600 Fachärzte pro Jahr würde das medizinische Versorgungsniveau in Deutschland bis 2035 stabilisieren.
Zi zeigt zwei Szenarien zum Medizinstudium auf
Das Zi geht dabei von zwei Szenarien aus: Wenn 75 Prozent der Studienanfänger innerhalb von 15 Jahren Facharzt werden, läge der Bedarf an zusätzlichen Studienplätzen bei 6000 pro Jahr. Wenn 92 Prozent der Studenten so schnell Facharzt werden und nicht in die Forschung, Industrie oder auf andere Beschäftigungsmöglichkeiten ausweichen, dann würden nur 3000 Studienplätze benötigt.
Aktuell gibt es 11.000 Studienplätze in Deutschland.
Das Wissen darüber, welche Berufswege Jung-Mediziner bevorzugen, ist allerdings noch stark ausbaufähig. Das zeigte sich auf dem Hauptstadtkongress beim Diskussionsforum „Selbstständig oder angestellt? Längst keine Lebensentscheidung mehr“.
Wie sehen Nachwuchsmediziner ihre Zukunft?
Die verbreite Annahme, die Nachwuchsmediziner nutzten die heutige Vielzahl an Möglichkeiten der Berufsausübung gegenüber früher weidlich aus, widerlegte nicht nur Theodor Uden vom Ausschuss Assistenzärzte des Hartmannbunds. Uden sah bei trotz der vielen Möglichkeiten ein hohes Bedürfnis an Sicherheit beim Ärztenachwuchs.
Dies bestätigte auch Dr. Jürgen Karsten von der Steuerberatungsgesellschaft ETL. Die Interessenlage der jungen Ärzte habe sich verschoben.
Es gelte nicht mehr Karriere um jeden Preis, sondern ein Bündel von Maßnahmen bestimme deren Entscheidungen. Da sei die Work-Life-Balance zu nennen, also die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber eben auch ein großes Sicherheitsempfinden: Der Nachwuchs wolle möglichst wenig Risiko und – Stichwort Niederlassung – möglichst wenig Investitionsrisiko.
Karsten sah ein weit verbreitetes „Unwissen“ darüber, wie gering das Insolvenzrisiko für Niedergelassene sei, wie gut dagegen die Möglichkeiten seien, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren.
Der heutige „Blumenstrauß an Berufsausübungsmöglichkeiten“ erfordere Orientierung in allen Facetten, betonte deshalb Jessica Hanneken, Direktorin bei der Deutschen Apotheker- und Ärztebank, „denn die Studenten möchten wissen, in welchem System sie künftig arbeiten“. Sie verwies auf die Studie „Kind und Kittel“ der apoBank, in der 84 Prozent der befragten Ärzte angaben, sich in einer Anstellung in einer Berufsausübungsgemeinschaft oder einem MVZ am besten aufgehoben zu fühlen.
Es herrscht ein „Arbeitnehmermarkt“
Dr. Susanne Johna, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer und des Marburger Bunds, präsentierte Zahlen der LÄK Hessen, nach denen die Medizinstudenten ihr Studium dort im Schnitt mit 27,5 Jahren abschließen. Mit der Folge, dass der Altersdurchschnitt der Ärzte in Weiterbildung (AiW) in Hessen bei 35 Jahren liegt.
Es herrsche ein Arbeitnehmermarkt, sagte Johna; „Die ÄiW können sich entscheiden, was sie wollen.“ Aber was wollen sie?
Offenbar nicht besonders flexibel sein, glaubt man Assistenzarzt Uden: „Alle fünf Jahre woanders hereinschnuppern, das macht nicht den Großteil aus“, berichtet der 29-Jährige über seine Altersgruppe.
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