Stellungnahme zu SARS-CoV-2
Ethikrat mahnt umfassende Durchimpfung gegen Corona an
Am Donnerstag will der Bundestag über die allgemeine Corona-Impfpflicht entscheiden. Der Ethikrat spricht sich für den Schritt aus: Anders lasse sich die Pandemie nicht in eine kontrollierbare Endemie überführen.
Veröffentlicht:Berlin. Kurz vor der Entscheidung über eine mögliche Corona-Impfpflicht im Bundestag hat sich der Ethikrat für eine „umfassende Durchimpfung der Bevölkerung“ ausgesprochen. Diese sei nötig, um in eine „kontrollierbare endemische Situation zu gelangen, die durch ein wiederkehrendes, jedoch räumlich begrenztes Auftreten des Erregers gekennzeichnet ist“, heißt es in einer am Montag in Berlin vorgestellten Stellungnahme des 26-köpfigen Gremiums.
Der Ethikrat hatte sich zu Beginn der Impfkampagne 2021 zunächst gegen eine gesetzliche Impfpflicht ausgesprochen. Ende 2021 hatte das Gremium dann mehrheitlich für eine generelle Impfpflicht für alle Erwachsenen gestimmt. Der Bundestag entscheidet voraussichtlich am Donnerstag darüber.
Ampel feilt weiter am Kompromiss
Welcher der fünf Anträge sich im Parlament durchsetzt, ist offen. Eine Mehrheit kann bislang kein Vorschlag hinter sich vereinen – auch weil die Union geschlossen ihren eigenen Antrag unterstützen will. Zuletzt hatten sich Anzeichen verdichtet, dass es zu einem Kompromiss der Befürworter einer Impfpflicht ab 18 und den Verfechtern eines Mittelwegs aus verpflichtender Impfberatung und möglicher Impfpflicht ab 50 kommen könnte.
Vor der Bundestagsdebatte
Appelle pro Impfpflicht aus dem Gesundheitswesen
Gesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) sagte im „Deutschlandfunk“ am Sonntag, die Ampelfraktionen arbeiten „auf letzter Strecke“ intensiv an einem gangbaren Weg. Ohne hohe Impfquote drohten im kommenden Herbst erneut Einschränkungen. Aktuell sind 76 Prozent der Bundesbürger vollständig gegen das Coronavirus geimpft.
„Maßnahmen gut begründen!“
Der Ethikrat berät die Politik bei gesellschaftlichen Grundsatzfragen. In der Vergangenheit hatten sich die Wissenschaftler unter anderem zum Dilemma umfassender und lang anhaltender Schutzmaßnahmen in Pflegeheimen geäußert. In seiner aktuellen Stellungnahme listet das Gremium auf gut 160 Seiten Erfahrungen im Umgang mit der Pandemie auf und formuliert daraus mehrere „Lehren“.
Seit Anfang 2020 nötige die Pandemie die Gesellschaften weltweit „zu teils tief einschneidenden Abwägungen und Priorisierungen“, die nicht nur politisch verantwortet, sondern auch ethisch gerechtfertigt werden müssten. In den daraus resultierenden Entscheidungskonflikten ließen sich verschiedene moralische Güter nicht immer gleichzeitig oder im gleichen Maße wahren und umsetzen.
„Maßnahmen gegen eine Pandemie müssen demokratisch legitimiert, ethisch gut begründet und zugleich gesellschaftlich akzeptabel sein“, sagte die Ethikrats-Vorsitzende Professor Alena Buyx. Dazu sei auch die Partizipation der Bürger an Entscheidungen zu stärken, so Buyx. „In unserer Stellungnahme geben wir Empfehlungen, wie das zukünftig besser gelingen kann. Dabei schauen wir uns auch an, wer in einer Pandemie besonders vulnerabel ist und wie man Resilienz stärken kann.“
Vulnerabilität breiter fassen
Als vulnerabel seien nicht nur jene Menschen einzustufen, die wegen ihres Alters oder einer Vorerkrankung ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf trügen. Auch junge Menschen hätten unter den verhängten Lockdowns zu leiden. Der Ethikrat entfalte daher „ein differenziertes Verständnis von Vulnerabilität“, betonte Ratsmitglied Professor Andreas Lob-Hüdepohl.
So gebe es zwar gute Gründe, in einer Pandemie einzelne Personen oder Personengruppen als besonders vulnerabel einzustufen. Jedoch blieben auch alle andere Menschen verletzlich. Kinder, Jugendliche, Auszubildende und Studierende etwa litten besonders unter Einschränkungen in der Ausbildung und des Soziallebens. „Die Beachtung der ganz unterschiedlichen Formen von Vulnerabilität könnte hier zukünftig auch eine gezieltere Förderung von Resilienz ermöglichen“, so Lob-Hüdepohl.
Ethikrats-Mitglied Professor Sigrid Graumann kritisierte, alte und pflegebedürftige Menschen, aber auch Pflegekräfte seien zu Beginn der Pandemie nicht hinreichend geschützt worden. Viele Altenheime seien daher zu Corona-Hotspots geworden und Beschäftigte hohen Infektionsrisiken ausgesetzt gewesen. Auch daraus seien Konsequenzen für künftige Pandemien zu ziehen.