Stellungnahme zu SARS-CoV-2

Ethikrat mahnt umfassende Durchimpfung gegen Corona an

Am Donnerstag will der Bundestag über die allgemeine Corona-Impfpflicht entscheiden. Der Ethikrat spricht sich für den Schritt aus: Anders lasse sich die Pandemie nicht in eine kontrollierbare Endemie überführen.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx (M), stellte am Montag gemeinsam mit den Ethikratmitgliedern Sigrid Graumann und Andreas Lob-Hüdepohl den Bericht zum Thema „Vulnerabilität und Resilienz in der Krise - Ethische Kriterien für Entscheidungen in einer Pandemie“ vor. Darin beziehen sie Position zur allgemeinen Impfpflicht.

Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Alena Buyx (M), stellte am Montag gemeinsam mit den Ethikrats-Mitgliedern Sigrid Graumann und Andreas Lob-Hüdepohl den Bericht zum Thema „Vulnerabilität und Resilienz in der Krise - ethische Kriterien für Entscheidungen in einer Pandemie“ vor. Darin beziehen sie auch Position zur allgemeinen Impfpflicht.

© Wolfgang Kumm/dpa

Berlin. Kurz vor der Entscheidung über eine mögliche Corona-Impfpflicht im Bundestag hat sich der Ethikrat für eine „umfassende Durchimpfung der Bevölkerung“ ausgesprochen. Diese sei nötig, um in eine „kontrollierbare endemische Situation zu gelangen, die durch ein wiederkehrendes, jedoch räumlich begrenztes Auftreten des Erregers gekennzeichnet ist“, heißt es in einer am Montag in Berlin vorgestellten Stellungnahme des 26-köpfigen Gremiums.

Der Ethikrat hatte sich zu Beginn der Impfkampagne 2021 zunächst gegen eine gesetzliche Impfpflicht ausgesprochen. Ende 2021 hatte das Gremium dann mehrheitlich für eine generelle Impfpflicht für alle Erwachsenen gestimmt. Der Bundestag entscheidet voraussichtlich am Donnerstag darüber.

Ampel feilt weiter am Kompromiss

Welcher der fünf Anträge sich im Parlament durchsetzt, ist offen. Eine Mehrheit kann bislang kein Vorschlag hinter sich vereinen – auch weil die Union geschlossen ihren eigenen Antrag unterstützen will. Zuletzt hatten sich Anzeichen verdichtet, dass es zu einem Kompromiss der Befürworter einer Impfpflicht ab 18 und den Verfechtern eines Mittelwegs aus verpflichtender Impfberatung und möglicher Impfpflicht ab 50 kommen könnte.

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Gesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) sagte im „Deutschlandfunk“ am Sonntag, die Ampelfraktionen arbeiten „auf letzter Strecke“ intensiv an einem gangbaren Weg. Ohne hohe Impfquote drohten im kommenden Herbst erneut Einschränkungen. Aktuell sind 76 Prozent der Bundesbürger vollständig gegen das Coronavirus geimpft.

„Maßnahmen gut begründen!“

Der Ethikrat berät die Politik bei gesellschaftlichen Grundsatzfragen. In der Vergangenheit hatten sich die Wissenschaftler unter anderem zum Dilemma umfassender und lang anhaltender Schutzmaßnahmen in Pflegeheimen geäußert. In seiner aktuellen Stellungnahme listet das Gremium auf gut 160 Seiten Erfahrungen im Umgang mit der Pandemie auf und formuliert daraus mehrere „Lehren“.

Seit Anfang 2020 nötige die Pandemie die Gesellschaften weltweit „zu teils tief einschneidenden Abwägungen und Priorisierungen“, die nicht nur politisch verantwortet, sondern auch ethisch gerechtfertigt werden müssten. In den daraus resultierenden Entscheidungskonflikten ließen sich verschiedene moralische Güter nicht immer gleichzeitig oder im gleichen Maße wahren und umsetzen.

„Maßnahmen gegen eine Pandemie müssen demokratisch legitimiert, ethisch gut begründet und zugleich gesellschaftlich akzeptabel sein“, sagte die Ethikrats-Vorsitzende Professor Alena Buyx. Dazu sei auch die Partizipation der Bürger an Entscheidungen zu stärken, so Buyx. „In unserer Stellungnahme geben wir Empfehlungen, wie das zukünftig besser gelingen kann. Dabei schauen wir uns auch an, wer in einer Pandemie besonders vulnerabel ist und wie man Resilienz stärken kann.“

Vulnerabilität breiter fassen

Als vulnerabel seien nicht nur jene Menschen einzustufen, die wegen ihres Alters oder einer Vorerkrankung ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf trügen. Auch junge Menschen hätten unter den verhängten Lockdowns zu leiden. Der Ethikrat entfalte daher „ein differenziertes Verständnis von Vulnerabilität“, betonte Ratsmitglied Professor Andreas Lob-Hüdepohl.

So gebe es zwar gute Gründe, in einer Pandemie einzelne Personen oder Personengruppen als besonders vulnerabel einzustufen. Jedoch blieben auch alle andere Menschen verletzlich. Kinder, Jugendliche, Auszubildende und Studierende etwa litten besonders unter Einschränkungen in der Ausbildung und des Soziallebens. „Die Beachtung der ganz unterschiedlichen Formen von Vulnerabilität könnte hier zukünftig auch eine gezieltere Förderung von Resilienz ermöglichen“, so Lob-Hüdepohl.

Ethikrats-Mitglied Professor Sigrid Graumann kritisierte, alte und pflegebedürftige Menschen, aber auch Pflegekräfte seien zu Beginn der Pandemie nicht hinreichend geschützt worden. Viele Altenheime seien daher zu Corona-Hotspots geworden und Beschäftigte hohen Infektionsrisiken ausgesetzt gewesen. Auch daraus seien Konsequenzen für künftige Pandemien zu ziehen.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 04.04.202221:10 Uhr

Der Deutsche Ethikrat hat die wissenschafts- und erkenntnistheoretischen, die infektionsepidemiologischen und sozialpsychologischen bzw. die gesellschaftspolitischen und juristischen Implikationen einer generellen Impfpflicht ab 18 Jahren nicht verstanden:

1. Eine Impfpflicht funktioniert nicht. Die Durchimpfung korrespondiert nicht mit Infektions-Raten, z.B. in Israel/Hongkong/GB/Deutschland/F/A/E.
Impfungen sind indiziert zur präventiven Mehrfach-Immunisierung, bewirkt aber keine sterile Immunität oder 100%ige Sicherheit wie Tetanus/Diphtherie/Hepatitis/FSME/Masern/
Mumps/Röteln; nur Schutz vor schweren Verläufen/Intensivpflichtigkeit.
https://www.doccheck.com/de/detail/articles/37892-fehlende-begruendungstiefe-bei-jedweder-impfpflicht

Fanatische Impfgegner/Regelbrecher sind ein Verweigerungs-/zugleich Ansteckungsreservoir, da Impfungen nicht vor Durchbruchinfektionen, Varianten und Neumutationen (VOV/VOI) schützen.

Die gesellschafts- und sozialpolitischen Lockerungen wie Quarantäne-Verkürzung bis -Ende, faktische Aufhebung von Melde-, Erfassungs- und Kontrollpflichten, ins persönliche Belieben gestellte Befolgung von AHA+L-Regeln usw. untergraben/konterkarieren juristisch alle Impfpflicht-Bestrebungen.

Der BMJV/viele Bundesländer müssen sich warm anziehen. Es drohen nicht nur Klagen wegen nicht vollzogener "Freedom-Day"-Regelungen. Sondern auch Klagen wegen Gesundheits-Einschränkungen und Krankheitsfolgen bei nicht vollzogenen Hot-Spot-Regelungen mit Senioren-, Kindeswohl-Gefährdung und Körperverletzung durch erhöhte Transmissions- und Ansteckungs-Risiken.

Warum beinhalten ambulante/stationäre medizinische/therapeutische Bereiche/Heime weiterhin Maskenpflicht zur Infektionsverhütung? Juristisch unauflösbar, dass eine besondere staatliche Fürsorge- und Schutzverpflichtung des Staates besteht, während woanders die Daseinsvorsorge quasi aufgehoben wird.

Der Ethikrat liebäugelt mit Freiheit/Liberalismus/Selbstbestimmungsrecht und fordert zugleich Impfpflicht.

Mf+kG, Ihr Dr. med. Th. G. Schätzler, FAfAM DO

Jan Matthias Hesse 04.04.202220:08 Uhr

Im Teaser des Beitrags heisst es:
"Am Donnerstag will der Bundestag über die allgemeine Corona-Impfpflicht entscheiden. Der Ethikrat spricht sich für den Schritt aus: Anders lasse sich die Pandemie nicht in eine kontrollierbare Endemie überführen."

Ich kann der Langfassung der Stellungnahme des Ethikrates eine solche Empfehlung für eine ImpfPFLICHT NICHT entnehmen.
Auf S. 39 heisst es:
"In der nun vorliegenden umfangreichen Stellungnahme will der Deutsche Ethikrat keine weiteren
Empfehlungen zu Einzelproblemen vorlegen, sondern vielmehr ethische Orientierung für schwierige
Abwägungsprozesse geben, die bei Entscheidungen über Maßnahmen zur Bewältigung dieser oder
künftiger pandemiebedingter Krisen unausweichlich sind...."

An anderer Stelle (S. 48) heisst es lediglich:
"Um in eine kontrollierbare endemische Situation zu gelangen, ist eine umfassende Durchimpfung der
Bevölkerung notwendig – wobei überstandene Infektionen ebenfalls den Immunschutz stärken".

Von einer Forderung nach einer ImpfPFLICHT ist auch dort aber nicht die Rede.

Auch in der Pressemitteilung des Ethikrates ist nichts von der Forderung nach einer Impfpflicht zu lesen.

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