Arzneimittelpolitik/Europa

Europäische Nutzenbewertung entmachtet den G-BA nicht

Ab 2025 soll es neben der zentralen europäischen Zulassung auch eine harmonisierte Nutzenbewertung geben. Deren Ergebnisse erstattungsrelevant zu klassifizieren, bleibt nationale Angelegenheit.

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Seit mehr als 20 Jahren werden neue Arzneimittel in der EU zentral zugelassen. In absehbarer Zeit soll auch die klinische Nutzenbewertung brüsselkoordiniert erfolgen.

Seit mehr als 20 Jahren werden neue Arzneimittel in der EU zentral zugelassen. In absehbarer Zeit soll auch die klinische Nutzenbewertung brüsselkoordiniert erfolgen.

© Schlierner / stock.adobe.com

Berlin. Anfang Januar 2025 soll gemäß EU-HTA-Verordnung die zentrale europäische Nutzenbewertung neuer Arzneimittel starten. Zunächst nur für Onkologika, drei Jahre später auch für Orphan Drugs und ab 2030 schließlich für alle neuen Wirkstoffe. Seit dem ersten Verordnungsvorschlag der Kommission 2018 steht die Frage im Raum, inwieweit die seit 2011 in Deutschland praktizierte frühe Nutzenbewertung – landläufig auch als „AMNOG-Verfahren“ tituliert – durch die gemeinschaftliche Bewertung abgelöst werden wird.

Zunächst seien diesbezüglich die Befürchtungen im Bundesgesundheitsministerium groß gewesen, berichtete bei einer G-BA-Veranstaltung am Freitag Dr. Anna-Maria Mattenklotz, Leiterin des Referats 117 „Versorgung mit neuen Arzneimitteln und Pandemiearzneimitteln“,Referatsleiterin im BMG. Angesichts der frühen Kommissionsvorschläge sei man regelrecht „geschockt“ gewesen und habe gedacht, die Tage des AMNOG seien gezählt.

„Keine Schlussfolgerungen zum Zusatznutzen“

Denn ursprünglich sollte mit der geplanten Harmonisierung auch ein Verbot nationaler Bewertungen einhergehen. Nach etlichen Subsidiaritätsrügen aus dem Kreis der EU-Mitglieder, darunter auch Deutschlands, lenkte die Kommission ein. Die Anfang 2022 inkraftgetretene EU-HTA-Verordung sieht nurmehr vor, dass lediglich der klinische Nutzen gegenüber bestehenden Therapien koordiniert ermittelt wird. Verbindliche Schlussfolgerungen zum Zusatznutzen, so Mattenklotz, verbleiben in nationaler Hoheit.

Seither werde das Harmonisierungsbestreben, an dessen methodischen und organisatorischen Details derzeit noch eine Koordinierungsgruppe der Mitgliedstaaten feilt, im Ministerium „positiver gestimmt“ wahrgenommen. Die gemeinsame klinische Bewertung, die in einen Kurzbericht („Joint Clinical Assessment Report“) münden soll, werde „keine Werturteile oder Schlussfolgerungen zum Zusatznutzen“ enthalten, versichert Mattenklotz.

G-BA beschließt weiterhin über Ausmaß des Nutzens

Der Report sei vielmehr „begrenzt auf eine beschreibende wissenschaftliche Analyse des relativen Effekts der Gesundheitstechnologie“ gegenüber einem Therapievergleich sowie einer Aussage zur „Sicherheit der verfügbaren Evidenz“. Die Feststellung „insbesondere des Zusatznutzens des Arzneimittels“ obliege damit weiterhin dem G-BA.

Diese etwas spitzfindig scheinende Abgrenzung dürfte allerdings für die Vermarktungschancen des Herstellers entscheidend sein: IQWiG und G-BA verlieren zwar Bewertungsarbeit. Doch am Ende ordnet das oberste Selbstverwaltungsgremium den Befund der zentralen Nutzenbewertung entsprechend den eigenen Ausmaß-Kategorien ein (erheblich, beträchtlich, gering usw.) – und nur diese sind relevant für die Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband.

Die europäische Nutzenbewertung, ist Mattenklotz überzeugt, wird im Zuge der gegenseitigen Abstimmungs- und Koordinierungsprozesse zwar „das nationale AMNOG-Verfahren verändern – aber erst auf lange Sicht“. Was vermutlich heißen soll, dass der G-BA Alleingänge bei der Beschlussfassung auf Basis des EU-Reports nicht auf Dauer wird durchhalten können. Aber, so Mattenklotz weiter, „das nationale Entscheidungsverfahren im G-BA „mit Beteiligung von Patientenvertretern, Fachgesellschaften und Industrie bleibt erhalten“.

Hersteller wollen mitreden dürfen

Die hiesigen Industrieverbände BAH, vfa und BPI haben unterdessen in einem am Donnerstag veröffentlichten gemeinsamen Papier ihre Forderungen zur Umsetzung der EU-HTA-Verordnung konkretisiert. Unter anderem wollen sie stärker beteiligt sein – „insbesondere bei der Bestimmung des Bewertungsumfangs“.

Zudem wünschen sie sich einheitliche Evidenzanforderungen anhand eines europäischen PICO-Schemas – aber auch flexible Bewertungsmethoden. Vor allem Orphan Drugs und Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP), heißt es, benötigten „angepasste Methoden, die dem Therapiebereich gerecht werden können“; dazu gehöre auch, Surrogatendpunkte, indirekte Behandlungsvergleiche oder Anwendungsdaten („Real World Evidenz“) anzuerkennen. Kriterien also, auf deren Grundlage der G-BA bislang regelmäßig keinen Zusatznutzen bestätigen wollte.

Eine andere Eigenheit des AMNOG-Verfahrens würde die Industrie dagegen gerne auch auf europäischer Ebene wiederfinden: Die Vorgabe, dass der Zusatznutzen eines Orphan Drugs mit der Zulassung als belegt gilt und erst ab 30 Millionen Euro Jahresumsatz ein Nutzennachweis zu erbringen ist. (cw)

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