Obamacare

Faire Versorgungschancen für alle US-Bürger bei Krankheit? Daraus wird nichts!

Rassistische Hasstiraden in Charlottesville verdrängen in den USA vorübergehend die Debatte um Obamacare. Der Trump-Vorgänger wollte eine gerechte Gesundheitsversorgung für alle US-Bürger. Doch davon ist das Land so weit entfernt wie nie zuvor.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Beim Streitthema Obamacare scheint es im Moment eine Sendepause zu geben. Das heitß aber nicht, dass eine Lösung in Sicht ist.

Beim Streitthema Obamacare scheint es im Moment eine Sendepause zu geben. Das heitß aber nicht, dass eine Lösung in Sicht ist.

© kb@mybaitshop.com / stock.adobe.com

Ein unberechenbarer Rechthaber, notorischer Lügner, Narzisst und im Amt völlig überforderter Schwadroneur: Wer Präsident Donald Trump für unfähig hält und bestätigt werden will, der muss als US-Bürger nur den Fernseher anschalten. Bei CNN werden Trumps Entscheidungen jeden Tag von einem Heer an kompetenten Fachleuten regelrecht zerpflückt. Und im Trump-treuen TV-Sender Fox entblöden sich sogenannte Experten nicht, auch auf niedrigem intellektuellen Niveau selbst die abstrusesten Einlassungen des Staatsoberhaupts mit zum Teil lächerlichen Argumenten zu rechtfertigen. Den einschlägigen TV-Talkformaten liefert Trump immer wieder neue Munition: Da wird er respektlos imitiert, seine Sprache nachgeäfft, seine Gefolgsleute werden genüsslich als Lügner oder Schwätzer demaskiert.

Verwirrende Tweets

Aktuell ist der Präsident im Golfurlaub, verwirrt die Welt mit Tweets über den Einsatz von Atomwaffen, versäumt es, nach den rassistischen Krawallen von Charlottesville klar die Täter zu benennen, und sorgt damit für große Empörung, deren Ausmaß derzeit noch gar nicht abzusehen ist.

Beim Streitthema Obamacare scheint es dagegen im Moment eine Sendepause zu geben. Immerhin: Hinter den Kulissen treffen sich Republikaner und Demokraten, um gemeinsam Perspektiven zu sondieren. Und die überparteiliche Kaiser Family Foundation überrascht in der Sommerpause mit einer Umfrage, nach der inzwischen 52 Prozent der US-Bürger eine positive Einstellung zu Obamacare haben, neun Prozentpunkte mehr als bei Trumps Wahlsieg.

Wer in diesen Tagen in den Vereinigten Staaten unterwegs ist, der wird allzu oft feststellen, dass Trumps Tiraden jenseits von Washington kaum für Schlagzeilen sorgen. Dass Trump einen recht ordentlichen Job mache, heißt es, dass Obamacare wegen höherer Beiträge schlecht sei. Aber insgesamt gebe es keinen Grund zur Aufregung.

Wenn etwa, um ein Beispiel zu nennen, im erzkonservativen Amarillo in Texas verwegene Bullrider in die Rodeo-Arena einmarschieren, erregte Rindviecher mit den Hufen scharren und die fast ausschließlich weißen Zuschauer, Hand aufs Herz, inbrünstig die Nationalhymne schmettern, dann ist die Nation heilig. Aber wer braucht dafür den Präsidenten? Für den Urlauber aus Deutschland entsteht der Eindruck, dass das Gesamtpaket Trump und seine auf "Nation" getrimmte Wertewelt hier, fern von Washington, nicht die Bohne interessieren.

Gelassenheit im Land, permanente Aufregung in der Hauptstadt – bis vor einigen Tagen schien diese Wahrnehmung noch realistisch. Doch dann kamen die Hass-Ausschreitungen von Charlottesville. Und die Einsicht: Das Eis ist dünn. Wer wagt im Moment eine Prognose, wie es mit den Vereinigten Staaten, aber auch mit Obamacare weitergeht?

Trump hat das Ende von Obamacare im Wahlkampf angekündigt. Er hat politische Dreschflegel bereitgestellt, um das verhasste Konzept seines Vorgängers plattzumachen. Doch im Senat lassen zu viele seiner Parteifreunde die Knüppel einfach stehen – und das macht den obersten Repräsentanten des Staates wütend. Mit weiteren Vorstößen in Sachen Gesundheitsreform ist deshalb zu rechnen. Politische Entscheidungen, die nur halbwegs den Anschein erwecken werden, dem Modell seines Vorgängers gehe es endgültig an den Kragen, wird der neue Präsident als Ende von Obamacare verkaufen.

Ein fundamentales Problem

Die Amerikaner haben ein fundamentales Problem: Es gibt keinen gesellschaftlichen Grundkonsens, dass jeder US-Bürger krankenversichert sein sollte. Diese Kernidee von Obama hat kein Fundament – nicht in der großen Masse der politischen Entscheidungsträger, nicht in der Bevölkerung. Selbst unmittelbare Profiteure des Obama-Konzepts aus einkommensschwachen Schichten sind nicht zwingend Befürworter des Modells. Und es gibt sie zuhauf: stramme Unterstützer Trumps, die keine Ahnung davon haben, dass seine Pläne fatale Folgen für ihre eigene Absicherung im Krankheitsfall haben könnten.

Desinformation heißt das Schlüsselwort, da kennt sich Trump gut aus. Und er steht damit nicht allein: Auch die Demokraten haben in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie beim Werfen von Nebelkerzen keineswegs eine Laienspielgruppe sind. Amerikaner haben weder die Zeit noch die Ressourcen, sich in die hochkomplexe gesundheitspolitische Thematik einzuarbeiten. Und die Allermeisten interessieren sich nicht im geringsten für dieses Thema.

Eigentlich müsste es jetzt darum gehen, dass Demokraten und Republikaner die gravierenden Kinderkrankheiten von Obamacare sachlich diskutieren, Entscheidungen treffen und zugleich das Fundament unangetastet lassen: die Krankenversicherung für alle Bürger. Vieles kann auf den Prüfstand gestellt und optimiert werden. Es könnte zum Beispiel um zu geringe Strafen für junge Menschen gehen, die sich der Versicherungspflicht widersetzen, um die Höhe der Bundeszuschüsse für Medicaid, um Handlungsoptionen von Versicherungsunternehmen, die sich zurückziehen wollen, weil die Gewinne schrumpfen.

Das Land ist gespalten

Kritiker des deutschen Solidarprinzips argumentieren oft, Solidarität in den USA funktioniere eben anders als in Deutschland. Sie nennen das Stichwort Charity: Die Reichen spenden großzügig, die Armen profitieren. Wer im Sommer 2017 ohne Blindenbrille durch die USA reist, der erkennt: Diese Form von Solidarität reicht nicht aus – nicht einmal im Ansatz. Nichts, aber auch gar nichts deutet derzeit darauf hin, dass sich das hochkomplexe US-Gesundheitswesen in den nächsten Jahren positiv entwickeln wird – positiv im Sinne von fairen Versorgungschancen für alle Bürger, wenn's um Gesundheit geht. Diese Grundidee Obamas ist aktuell auf Eis gelegt. Die Debatte ist hoch emotionalisiert. Mag es im Hinterland von Texas und anderen ländlichen Regionen in der Hitze des Sommers geradezu einschläfernd friedlich sein: Das Land ist tief gespalten. Trump will und wird es nicht einen können.

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