Faule Ärzte? Die AOK-Umfrage sagt was anderes

Arbeiten Ärzte zu wenig? Eine Erhebung des AOK-Bundesverbandes hat zum Clash mit der KBV geführt. Dabei zeigt die Umfrage auf den zweiten Blick Verblüffendes: Ärzte sind fleißige Menschen.

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Beine hoch? Bei der Mehrheit der Ärzte kann davon keine Rede sein.

Beine hoch? Bei der Mehrheit der Ärzte kann davon keine Rede sein.

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BERLIN (af). Der designierte AOK-Vorstandsvorsitzende Jürgen Graalmann hat es schwarz auf weiß: Die Vertragsärzte, insbesondere Fachärzte, arbeiten weniger für gesetzlich Versicherte als kalkuliert. KBV-Chef Dr. Andreas Köhler findet diese Behauptung unverschämt.

Es geht um die Einordnung der Ergebnisse einer Umfrage, die das Marktforschungsinstitut Psychonomics im Auftrag des AOK-Bundesverbandes vorgenommen hat.

58 Prozent der befragten Hausärzte arbeiten zwischen 50 und 65 Stunden pro Woche

Die hat ergeben, dass Ärzte fleißige Menschen sind. 58 Prozent der befragten Allgemeinmediziner arbeiten demnach zwischen 50 und 65 Stunden in der Woche, weitere 22 Prozent reiben sich jenseits von 65 Wochenstunden auf.

Bei den Fachärzten schreiben sich 41 Prozent zwischen 50 und 65 Wochenstunden auf den Zettel, 23 Prozent gehen bis über 75 Stunden hinaus.

Graalmann fordert 51 Stunden

Dass dies verdienstvoll ist, bestreitet auch Jürgen Graalmann nicht. Er verlangt aber, dass Ärzte ihre Praxen 51 Stunden der Versorgung gesetzlich Versicherter widmen, Hausbesuche und Verwaltung unter anderem eingeschlossen.

So sei es mit der KBV vereinbart. Zusätzlich könnten sie dann IGeL anbieten und Privatpatienten behandeln.

Tatsächlich hätten aber vor allem die Fachärzte ihren Zeitaufwand für gesetzlich Versicherte auf 39 Stunden im Schnitt zurückgefahren, Hausärzte auf 47 Wochenstunden.

Vier Milliarden Euro ohne verabredete Gegenleistung?

Für die Patenten bedeute dies längere Wartezeiten, für die Ärzte "mehr Lohn bei weniger Arbeitszeit oder weniger Versorgungskapazitäten für GKV-Versicherte, als die Kassen bezahlt haben", sagte Graalmann am Donnerstag in Joachimsthal bei Berlin.

Auf vier Milliarden Euro rechnete Graalmann die Summe hoch, die sich die Ärzte in die Taschen steckten, ohne die verabredete Gegenleistung zu liefern.

"In Deutschland Wartezeiten, die sich im Rahmen halten"

Das wollte Köhler den Ärzten nicht nachsagen lassen. Graalmann missachte den Einsatz der Vertragsärzte, die trotz Unterfinanzierung für ihre Patienten da seien - im Notfall auch an Wochenenden und nachts.

"Nur dadurch haben wir in Deutschland noch Wartezeiten, die sich im europäischen Vergleich im Rahmen halten", sagte Köhler.

Köhler macht andere Rechnung auf

Köhler macht eine andere Rechnung auf. Zwischen KBV und Kassen sei lediglich vereinbart, dass Vertragsärzte mindestens 20 Sprechstunden in der Woche anbieten müssen.

Erst im April hatte der GKV-Spitzenverband Sprechzeiten von durchschnittlich 30,4 Wochenstunden bei Fachärzten und 26,2 Stunden bei Hausärzten ermittelt.

44,6 Stunden für patientenunmittelbare Tätigkeiten

Damals hatte die KBV vorgerechnet, wie sie die vom Erweiterten Bewertungsausschuss als Zeitbudget kalkulierten 51 Wochenstunden für die vertragsärztliche Tätigkeit versteht.

44,6 Stunden seien für patientenunmittelbare Tätigkeiten reserviert, darunter auch Befundungen oder Arztbriefe.Die restlichen 6,4 Stunden ständen für die Praxisorganisation zur Verfügung.

Geld zurück will Jürgen Graalmann nicht fordern. "Es geht uns nicht um Honorarkürzungen", sagte er. Aber die Wartezeiten auf höchstens eine Woche zu begrenzen, sei ein "guter Appell", dem sich die Ärzte nicht verschließen könnten.

Lesen Sie dazu auch: "Ärzte arbeiten zu wenig"

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Kommentare
Dr. Jürgen Schmidt 04.09.201121:01 Uhr

Nicht provozieren lassen

Man muss in einer politischen Auseinandersetzung die eigenen Stärken und Schwächen kennen.
In vielen Fällen ist es klüger, seine Gegner nicht zu Feinden zu machen, Fehlleistungen und Angriffe unaufgeregt richtig zu stellen, und eher auf Deeskalation zu setzen, als einen Konflikt, den die Gegenseite vielleicht mit Berechnung vom Zaun gebrochen hat, weiter zu schüren.
Als Schwächerer und noch dazu Beleidigter gerät man leicht in die Defensive und die ist oft die Verliererstraße.

Hier geht es nicht darum, wer die schärferen Formulierungen findet, sondern um Resonanz bei Gesundheitspolitik und Öffentlichkeit.

Dass die habituellen Gegner der Ärzteschaft wieder Oberwasser
verspüren, hat mit dem mutmaßlichen Regierungswechsel zu tun, der in zwei Jahren auf uns zukommt. Den dann von der Ärzteschaft zu bewältigenden Konflikten wird nicht einmal mit Demonstrationen und Trillerpfeifen zu begegnen sein, geschweige denn mit harschen Schmähungen.

Dr. Thomas Georg Schätzler 04.09.201113:12 Uhr

Schluss mit Lustig! ...

... oder auch GKV - "Beschützende Werkstatt" 2.0
Was immer die AOK und den sich selbst demontierenden zukünftigen Chef des AOK-Bundesverbands, Jürgen Graalmann, antreibt, mit wahrheitswidrigem und dennoch fortgesetztem Ärzte-"Bashing" kommen wir nicht weiter.

Der Spitzenverband der GKV-Kassen hatte schon versucht, mit einem fadenscheinigen Gutachten der schweizerischen PROGNOS-AG die ersatzlose Streichung von angeblich 12.000 "überflüssigen" Facharztsitzen zu fordern: Dazu noch die Abfindung und Liquidierung dieser deutschlandweiten Arztsitze durch die KVen bzw. die KBV selbst! Vgl.am 10.07.2011 in der ÄZ http://www.aerztezeitung.de/su/662525.html (PROGNOS-Gutachten)
und am 21.07.2011 in der ÄZ
http://www.aerztezeitung.de/su/664220.html (Versorgungsdichte)

Zu diesem Masterplan des GKV-Spitzenverbands gesellt sich die willkürliche Interpretation eines von der AOK in Auftrag gegebenen Gutachtens der Kölner "YouGovPsychonomics AG" (internationale Marktforschung, Organisationsforschung und Beratung). Der Name "YouGovPsychonomics" heißt frei übersetzt: "Du regieren Psychoökonomisch" - das spricht natürlich für Qualität!
Ebenso wie das PROGNOS-Gutachten im Internet nachlesbar ist (https://www.gkv-spitzenverband.de/upload/Gutachten_Aufkauf_Arztpraxen_110630_16991.pdf) kann das YouGovPsychonomics-Gutachten der AOK nachgelesen werden:
http://www.aok-bv.de/imperia/md/aokbv/presse/veranstaltungen/2011/07_ergebnis_aerztebefragung.pdf

Bei der I n h a l t s a n a l y s e mit wörtlichen Zitaten gehen einem die Augen über :
1. Der Titel ist "Budgetvorgaben, Arbeitsbelastung und Praxisöffnungszeiten am QUARTALSENDE" (Hervorhebung TGS)
2. "Methode Online-Befragung von durchschnittlich 5 Minuten Länge" (i.W. f ü n f)
3. "Die eigene Praxis vor Quartalsende geschlossen haben in den letzten 12 Monaten 30% der Allgemeinmediziner und 28% der Fachärzte" bei einer "Feldzeit 31. März – 16. April 2011".
4. "Nach eigener Einschätzung arbeiten Allgemeinmediziner im Durchschnitt 57 Stunden in der Wochen, die niedergelassenen Fachärzte etwas weniger, 52 Stunden."
5. "Über die Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit der" ... "niedergelassen APIs" (Allgemeinmed., Prakt., Intern.) "und Fachärzte entfällt auf die Behandlung von Kassenpatienten und"... "die Erbringung von vertragsärztlichen Leistungen. Administrative Tätigkeiten" ... "bei den APIs mit 17%" ... "bei den Fachärzten" ... "mit 14% gleichauf mit dem Zeitbudget für die Behandlung von Privatpatienten."
Ende der Zusammenfassung ("Management Summary") des "YouGovPsychonomics"-Gutachtens.

Bei Herrn Jürgen Graalmann von der AOK besteht der dringende Verdacht illusionärer Verkennung, Konfabulation und unlogischer Schlussfolgerungen. Ebenso wie mit der Diskussion der PROGNOS-Ergebnisse, scheinen mir bei akuter Dekompensation ein Psychiater, ggf. ein Psychotherapeut, ein Mediator oder wenigstens ein Moderator nötig. Die jahrzehntelange Appeasement-Politik des anschmiegsamen Miteinanders einer gemeinsamen Gesundheits- und Sozialpolitik von KVen, KBV und GKV-Kassen ist endgültig überholt. Intelligentes, innovatives, zukunftsweisendes und demografiefestes Krankheits- und Gesundheitsmanagement wird von uns Ärzten/-innen in Praxis und Klinik tagtäglich praktiziert, die "beschützende Werkstatt" liegt offenkundig woanders.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM (z. Zt. Bergen aan Zee NL)

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