Nationale Diabetesstrategie
Folgekomplikationen von Diabetes im Blick behalten!
Deutschland hat seit vergangenem Jahr eine nationale Diabetesstrategie. Bei der Umsetzung kommen wir bislang aber kaum vom Fleck. Unter anderem bei der Vermeidung von Augen- und Nierenkomplikationen könnte es laut Ärzten deutlich besser laufen.
Veröffentlicht:Berlin. Schätzungsweise acht Millionen Menschen mit Diabetes mellitus leben in Deutschland, Tendenz steigend. Diabetesexperten erwarten 11,5 Millionen Patienten bis zum Jahr 2040, wenn es nicht gelingt gegenzusteuern.
Ein erheblicher Teil dieser Patienten – rund ein Fünftel – entwickele diabetische Netzhautkomplikationen, sagte Professor Antonia Joussen von der Klinik für Augenheilkunde der Charité bei einem Symposium im Rahmen des Hauptstadtkongresses Medizin und Gesundheit 2021 kürzlich in Berlin.
Im Mittel geschehe das etwa 20 Jahre nach Krankheitsbeginn, wobei die proliferative Retinopathie (RP) der äußeren Netzhautgefäße vom diabetischen Makulaödem (DMÖ) der Fovea centralis unterschieden werde, erläuterte die Augenspezialistin.
Risiko der Erblindung vermeiden
Zwei Faktoren seien wichtig, um das Risiko einer Erblindung zu minimieren, betonte Joussen: „Wir wissen, dass das Risiko ab einem HbA1c-Wert von sieben Prozent steil ansteigt.“ Der HbA1c-Wert sollte also nicht zu lax eingestellt sein.
Das Problem dabei sei, dass die große Mehrheit der Diabetespatienten den eigenen HbA1c-Wert gar nicht kenne, sagte Joussen. Hier sieht die Augenärztin Nachholbedarf. Dies gelte auch für die Früherkennung, die in Deutschland immer noch nicht flächendeckend erfolge – obwohl es zum Beispiel mit telemedizinischen Ansätzen Möglichkeiten gebe, mehr Patienten als bisher zu untersuchen. Dazu Joussen: „Optimale Screening-Systeme würden einiges erleichtern.“
Auf Versorgungsdefizite bei diabetischen Nierenerkrankungen (CKD) machte Professor Peter Bramlage vom Institut für Pharmakologie und präventive Medizin Berlin aufmerksam. Er berichtete über Daten der beiden deutschen Register DIVE und DPV, die nahezu 600.000 Patienten umfassen und Aussagen zur Versorgungssituation von Diabetespatienten mit CKD erlauben.
Screening-Methoden optimieren
Beim Screening anhand von eGFR beziehungsweise Serumkreatinin sei Deutschland recht gut, erläuterte Bramlage. Bei 80 bis 90 Prozent der Patienten werde das gemacht. Die ebenfalls empfohlene Albumin-zu-Kreatinin-Ratio im Urin werde dagegen bei nicht einmal der Hälfte der Patienten bestimmt – weil sie Teststreifen bedürfe und damit aufwendiger sei.
Beim HbA1c-Wert landen den Registerdaten zufolge 44 Prozent der Typ-2- und 27 Prozent der Typ-1-Diabetiker bei einem Wert unter sieben Prozent. „Da gibt es noch Luft nach oben“, sagte Bramlage.
Das gilt mehr noch für die Verordnung von SGLT2-Hemmern (SGLT2i) und GLP1-Rezeptoragonisten (GLP1-RA), die die Leitlinien bei kardiovaskulärem Risiko beziehungsweise kardiovaskulärer Erkrankung empfehlen. Gerade einmal neun Prozent beziehungsweise sechs Prozent der Typ-2-Diabetiker erhalten SGLT2i beziehungsweise GLP1-RA. Beim Typ-1-Diabetes sind es nur ein bis zwei Prozent.
Der Antrag für eine nationale Diabetesstrategie hatte im Sommer 2020 nach langem Hin und Her den Deutschen Bundestag passiert. Mit dem Rahmenplan, der mehrere Kernempfehlungen an Bund, Länder sowie die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung enthält, soll auch die personalisierte Diabetes-Medizin gestärkt und ausgebaut werden.
Die Selbstverwaltung soll überdies für einen Ausbau telemedizinischer Angebote zu Diabetes mellitus sorgen. Versorgungs- und Lebensqualität von Diabetikern und deren Angehörigen ließen sich so deutlich steigern.
Lichtblick DMP Adipositas
Vertreter der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) wie auch der Vereinigung diabetesDE hatten zuletzt deutlich mehr Tempo bei der Umsetzung der nationalen Diabetesstrategie gefordert. Einziger Lichtblick sei bislang das vom Gesetzgeber auf den Weg gebrachte DMP Adipositas. Ansonsten sei vieles von dem, was Union und SPD in ihren Plan hineingeschrieben hätten, reine Ankündigung.
DDG-Past-Präsidentin Professor Monika Kellerer hatte gegenüber der „Ärzte Zeitung“ betont, die Fachgesellschaft werde bei den Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl Ende September darauf drängen, „dass möglichst viele Punkte der Strategie in Gesetzesvorhaben gegossen werden“. (Mitarbeit: hom)