MB-Chef Henke
"Frau Merkel, stoppen Sie dieses Gesetz!"
In der Hauptversammlung des Marburger Bundes machen die Klinikärzte deutlich, dass sie mit allen Mitteln gegen das geplante Tarifeinheitsgesetz kämpfen werden.
Veröffentlicht:BERLIN. Standing ovations dürfte Rudolf Henke in seiner politischen Laufbahn noch nicht häufig erlebt haben. Doch jetzt ist es soweit. Als der MB-Chef in der Hauptversammlung seines Verbandes am Wochenende den Delegierten zurief: "Meine Empfehlung an die Kanzlerin: Stoppen Sie die Entwicklung des Tarifeinheitsgesetzes", sprangen die Delegierten spontan auf und applaudierten minutenlang. Ein deutliches Zeichen, dass der Verband bei Henkes Kampf gegen das von der Großen Koalition geplante Gesetz geschlossen hinter ihm steht.
Dabei steht Henke hier vor einem Spagat: als CDU-Bundestagsabgeordneter ist er Teil der großen Koalition.Er muss also in seiner eigenen Fraktion gegen eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag angehen. Das ist auch vielen Delegierten bewusst. Einer fragte, ob er nicht sofort aus seiner Partei austreten müsste, wenn das Gesetz verabschiedet würde.
Meinungsbildung zugunsten der Berufsgewerkschaften beeinflussen
Henkes Antwort: "Im Moment habe ich das Gefühl, dass ich als Mitglied meiner Partei mehr ausrichten kann, als wenn ich ihr nicht angehören würde." Auch dafür bekam er Applaus. Denn offensichtlich nutzt der gut vernetzte Henke alle ihm zur Verfügung stehenden Kanäle, um die Meinungsbildung noch zugunsten der Berufsgewerkschaften zu beeinflussen.
Der langjährige Richter am Bundesverfassungsgericht, Professor Udo Di Fabio, forderte die Delegierten auf, vor dem Gang nach Karlsruhe zunächst alle politischen Möglichkeiten auszunutzen, das Gesetz noch zu stoppen. "Es geht darum, der Bevölkerung zu erklären, warum Arbeitskämpfe wichtig sind", appellierte der Staatsrechtler an die Delegierten.
Er sieht den Kampf gegen das Gesetz, das die Rechte der Berufsgewerkschaften erheblich einschränken würde, noch keineswegs verloren. "Hier geht es bislang um einen Referentenentwurf, noch nicht einmal um eine Kabinettsvorlage", erklärte Di Fabio. Der Juraprofessor hat für den MB ein Gutachten zum Thema Tarifeinheit erstellt. Er hält die Pläne der Großen Koalition für verfassungsrechtlich bedenklich. "Nur weil alles still steht, ist ein Streik nicht unverhältnismäßig", so Di Fabio.
Arbeitskampf muss spürbar sein
Wenn man einen Arbeitskampf nicht spüren würde, bräuchte man ihn nicht zu führen, sagte er. Unverhältnismäßig sei ein Streik dann, wenn seine Auswirkungen einen Betrieb in den Ruin führen würden. In diesen Fällen könne er gerichtlich untersagt werden. "Aber wo ist bislang die Erfahrung gemacht worden, dass zwei Tarifverträge in einem Betrieb nicht umsetzbar sind", fragte der Verfassungsrechtler.
Der von Arbeitsministerin Andrea Nahles vorgelegte Referentenentwurf sieht vor, dass nur noch die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Betrieb Tarifverträge abschließen darf. Würde ein solches Gesetz Realität, wären arztspezifische Tarifverträge gefährdet. Ärzte haben zwar im Durchschnitt einen deutlich höheren gewerkschaftlichen Organisationsgrad, stellen aber in den meisten Kliniken nur etwa 15 Prozent der Belegschaft.
Nach Di Fabios Ansicht ist bisher noch viel zu wenig nach einer verfassungskonformen Möglichkeit gesucht worden, die Rechte der Spartengewerkschaften zu erhalten und gleichzeitig zu starke negative Auswirkungen einigermaßen im Rahmen zu halten. "Man könnte zum Beispiel die Fristen für die Ankündigung von Arbeitskämpfen gesetzlich fixieren", schlug Di Fabio vor.
So könnten sich alle darauf einstellen, eine Wirkung würde aber trotzdem erzielt: "Einheit ist ein sehr hohes Gut, aber kein Fetisch, der die Freiheit erdrücken darf", so Di Fabio..Der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes, Klaus Dauderstädt, wies in seiner Rede daraufhin, dass seit 2010 so gut wie keine neuen Spartengewerkschaften gegründet worden seien.
"Ein Betrieb, ein Tarifvertrag" gerichtlich gekippt
Damals hatte das Bundesarbeitsgericht den Grundsatz "ein Betrieb, ein Tarifvertrag" gekippt. Seitdem fordern die Arbeitgeber - teilweise im Schulterschluss mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) -, dass die Rückkehr zur Tarifeinheit gesetzlich festgeschrieben werden soll.
Mehrere Tarifverträge in einem Unternehmen störten den Betriebsfrieden und erhöhten die Zahl der Streiks. Laut Dauderstädt werden aber zum Beispiel die meisten Streiks auf den deutschen Flughäfen von der großen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ausgerufen und nicht von den Spartengewerkschaften wie der Pilotenvereinigung Cockpit.
Hier sei das geplante Gesetz also völlig wirkungslos.Der Göttinger Staatsrechtler Professor Frank Schorkopf wundert sich im Zusammenhang mit den aktuellen Streiks bei der Bahn, warum noch nie jemand ausgerechnet hat, was ein Arbeitskampf der viel größeren Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft (EVG) kosten würde.
Denn sie dürfte nach dem geplanten Gesetz auch künftig auf jeden Fall streiken, um ihre Ziele durchzusetzen.Mittlerweile zeichnet sich ab, dass immer mehr Gewerkschaften, die dem DGB angehören, auch gegen ein Gesetz zur Tarifeinheit sind. "Von acht DGB-Gewerkschaften sind sechs dagegen und nur die IG Metall ist eindeutig dafür", sagte Dauderstädt.
"Wo ist da noch die Mehrheit der Gewerkschaften, von der Frau Merkel immer spricht, die das Gesetz unterstützt?", fragte der dbb-Chef.