Deutschland-Barometer Depression
Gravierende Lücken für depressiv Erkrankte
Patienten mit Depressionen haben in den vergangenen Monaten unter Versorgungsengpässen gelitten. Ein Rettungsanker waren digitale Angebote.
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Die häusliche Isolation im Frühjahrslockdown hat laut Experten Depressionen bei Betroffenen verstärkt. (Motiv mit Fotomodell).
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Berlin. Es ist ein „Grund zur Sorge“, dass noch nach dem ersten Lockdown im Juni und Juli ein Drittel der an Depression erkrankten Menschen in Deutschland von Einschränkungen bei der medizinischen Versorgung berichtet haben, sagte Professor Ulrich Hegerl bei einer Online-Pressekonferenz am Dienstag.
Der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Inhaber der Senckenberg-Professur an der Klinik für Psychiatrie der Universität Frankfurt/Main stellte das vierte Deutschland-Barometer Depression vor. Im Mittelpunkt stand das Thema: Welche Folgen hat COVID-19 für die psychische Gesundheit?
Wichtigste Erkenntnis aus der Studie: „Hochgerechnet auf die Bevölkerung haben mehr als zwei Millionen depressiverkrankte Menschen eine Einschränkung ihrer medizinischen Versorgung erlebt“, so Hegerl.
Für fast jeden Zweiten fielen Behandlungstermine aus
Konkret zeigte die repräsentative Umfrage unter Erkrankten in der depressiven Phase: Fast jeder Zweite erlebte, dass aufgrund der Pandemie Behandlungstermine ausfielen beim Facharzt oder Psychotherapeuten. 17 Prozent der Befragten gaben an, keinen für sie wichtigen Termin bekommen zu haben. Bei neun Prozent fand ein geplanter stationärer Aufenthalt nicht statt.
Dazu kommt, dass durch die häusliche Isolation im Frühjahrs-Lockdown Depressionen bei Betroffenen verstärkt wurden. Hegerls Fazit: Depressions-Patienten „werden große Opfer abverlangt“. Es müsse künftig verhindert werden, dass „Menschen so verängstigt werden“, dass sie medizinische Angebote nicht in Anspruch nehmen.
Bei Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sei eine „verengte Sicht auf das Infektionsgeschehen ungenügend“. „Man muss auch sehen, wie viel Leid und Tod nicht nur verhindert, sondern an anderer Stelle auch verursacht werden“, sagte Hegerl. Eine Diskussion über die richtige Balance der Maßnahmen erkenne er in Deutschland noch nicht.
Chancen und Grenzen von Selbstmanagement-Programmen
Überbrückungshilfe leisteten den Patienten etwa Fernbehandlungsangebote. Immerhin zehn Prozent der Befragten gaben an, zum ersten Mal Telefon- oder Videoangebote ihrer Ärzte oder Psychotherapeuten genutzt zu haben. 15 Prozent würden inzwischen „bestimmt“, fast 30 Prozent „vielleicht“ Therapiesitzungen auch online abhalten.
Abgenommen hat auch die Skepsis bei Online-Selbstmanagement-Programmen. Im Vergleich zu einer Umfrage im Jahr 2017 werden die Chancen, die in solchen Angeboten liegen, deutlich positiver bewertet. 55 Prozent der Befragten sehen in ihnen inzwischen eine Unterstützung (2017: 40 Prozent).
Hegerl betonte, dass solche Programme besser wirken, wenn sie professionell von einem Therapeuten begleitet werden. Sie seien auch nicht dazu gedacht, sich selbst zu therapieren. (juk)