Rückblick zur Bundestagswahl
Gröhe und Spahn handelten nach Maßstäben der christlichen Ethik
Bei der hochsensiblen Problematik der Sterbehilfe berufen sich die Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Jens Spahn auf die christliche Ethik – und liegen damit neben der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Veröffentlicht:Hermann Gröhe ist vor allem eines: gläubiger evangelischer Christ. Sein Nachfolger Jens Spahn ist praktizierender Katholik. Bei beiden dominiert der christliche Glaube mit seinen Dogmen politische Entscheidungen – und das hat zum Konflikt mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung geführt. In die Amtszeit Gröhes fällt zum einen eine Verschärfung des Strafrechts mit dem Verbot der sogenannten geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Paragraf 217 StGB). Damit sollten in Deutschland Organisationen wie etwa Dignitas in der Schweiz verboten werden.
Zum zweiten entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im März 2017, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel verpflichtet ist, unter besonderen Umständen Arzneimittel zur Selbsttötung zugänglich zu machen.
Behörde darf kein Handlanger sein
Hintergrund war die Klage eines Mannes, dessen Ehefrau 2002 einen Unfall erlitten hatte, als dessen Folge sie ab dem Hals gelähmt war. Sie hatte vom BfArM den Zugang zu Suizid-geeigneten Medikamenten begehrt, die Behörde verweigerte dies. 2005 nahm sich die Frau mithilfe von Dignitas das Leben. Im Namen seiner Frau führte der Ehemann den Rechtsstreit fort und obsiegte beim Bundesverwaltungsgericht.
Die Reaktion von Hermann Gröhe, als Gesundheitsminister Vorgesetzter des BfArM, war eindeutig: Staatliche Behörden dürften sich „nicht zum Handlanger der Beihilfe zur Selbsttötung“ machen. Das sei ein „Tabubruch“. In der Folge versagte das BfArM Antragstellern den Zugang zu Arzneimitteln zum Zweck der Selbsttötung. Die Verwaltungspraxis wurde von Jens Spahn fortgesetzt.
Ausschlaggebend für die beiden CDU-Minister sind ihre christlichen Grundwerte. Die christliche Dogmatik ist eindeutig: Weil Leben von Gott geschenkt ist, kann es nur von Gott genommen werden. Die Religionsfreiheit gewährleistet, dass Christen sich an diese Normen selbst binden können. Tatsächlich ist Deutschland jedoch ein säkularer Rechtsstaat, dessen Bürger auch andere Weltanschauungen als die der christlichen Religion haben können und dürfen.
Höchste Richter stellen klar
Und die Verfassung kennt auch andere Grundrechte als die religiöse Dogmatik: das Recht auf Menschenwürde und das Recht auf Selbstbestimmung.
Das machte das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde gegen den Paragrafen 217 StGB – geklagt hatten unter anderem schwerstkranke Menschen – unmissverständlich deutlich: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1; Selbstbestimmungsrecht und Menschenwürde) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben“, heißt es im Leitsatz der Entscheidung vom 26.Februar 2020.
Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend dem eigenen Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der Existenz ein Ende zu setzen, sei „von Staat und Gesellschaft zu respektieren“. Das umfasse auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und diese, soweit sie angeboten werde, in Anspruch zu nehmen.
Wenn die Rechtsordnung bestimmte für die Autonomie gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe stelle – um etwa das hohe Rechtsgut Leben zu schützen –, müsse sie sicherstellen, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet bleibe. (HL)