Kommentar
In Europa ist Impfwoche – und bei uns geht keiner hin
Die aktuelle Debatte über eine mögliche Impfpflicht in Deutschland hat den Protagonisten der Impfmedizin offenbar so den Geist vernebelt, dass sie darüber ihr Tagesgeschäft vergessen. Vom 24. bis 30. April findet die „Europäische Impfwoche“ des WHO-Regionalbüros statt, aber bei uns haben dazu in diesem Jahr weder das Bundesgesundheitsministerium (BMG) noch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) oder das Robert KochInstitut (RKI) etwas vorbereitet.
Kaum Überzeugungsarbeit
Das heißt, während der Aktionswoche wird es bei uns eher keine Informationskampagnen, Interviews, Blogs, Podiumsdiskussionen, Pressemitteilungen und Fernsehbeiträge geben, wie das WHO-Büro stolz über die europäischen Aktivitäten auf seiner Website berichtet. „Wir sind ja sowieso an dem Thema dran und werden in Kürze aktuelle Impfstatistiken veröffentlichen“, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“ dazu.
Geht’s noch? Reichen die seriösen Impfinformationen für die Bevölkerung bei uns wirklich aus, sodass wir eigentlich gar keine Informationswoche nötig hätten? Das Gegenteil ist der Fall: Über den Nutzen von Impfungen wird bei uns seit vielen Jahren nicht konsequent informiert. Trotzdem meinen viele Ärzte, Politiker und andere Beteiligte, dass man schon genügend Überzeugungsarbeit geleistet habe und deshalb jetzt als letzte Option eine Impfpflicht angeordnet werden muss.
Aktionsplan dümpelt dahin
Das Beispiel Masern zeigt, dass das nicht stimmt: BMG, Landesgesundheitsämter aber auch Kassen und Ärztekammern haben bisher keines der 2015 selbst gesteckten sechs Ziele im „Nationalen Aktionsplan zur Masernelimination“ umgesetzt. Hier müsste endlich mehr gehandelt werden. Bei der Debatte um eine Masern-Impfpflicht werden zudem falsche Prioritäten gesetzt.
Umfrage-Daten zeigen, dass theoretisch genügend Eltern der Impfung ihrer Kinder auch ohne eine Impfpflicht zustimmen würden, was sich auch an den relativ hohen Schutzraten bei Schuleingangsuntersuchungen zeigt. Allerdings wäre es besonders wichtig, dass zeitgerecht bis zum zweiten Geburtstag komplett geschützt wird. Das wird aber oft schlicht vergessen.
Und um die Masern in Deutschland zurückzudrängen, müssten vor allem die großen Impflücken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen geschlossen werden. Weil diese Gruppen mit einer Impfpflicht nicht zu erreichen sind, kommen wir um gezielte Aufklärungsaktionen (und Programme für Nachholimpfungen) nicht herum. Die „Europäische Impfwoche“ wäre hierzu eine gute Gelegenheit gewesen.
Lesen Sie dazu auch: Nationale Lösung gesucht: Kinderärzte wollen Impfregister – oder eine Impfpflicht