Was bringt der Brexit-Wahlkampf?
Johnson und die „No hoper“
Es geht schon wieder los: Mit dem Wahlkampf werden die alten Brexit-Tiraden aufs Neue beschworen. Ausnahme sind die kleinen Parteien – doch die sind „No hoper“, schreibt unser Londoner Brexit-Blogger Arndt Striegler.
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Der Wahlkampf hat begonnen: Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, gibt sich siegessicher.
© Stefan Rousseau/PA Wire/dpa
London. Na? Haben Sie mittlerweile auch den Überblick in Sachen Brexit – wann er nun kommt, wie er kommt und ob er überhaupt noch kommt – verloren? Dann geht es Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, vermutlich genauso wie Millionen meiner britischen Landsleute.
Zu oft wurde das Austrittsdatum verschoben, zu verworren war (und ist) das, was die Damen und Herren im britischen Unterhaus entscheiden oder – besser gesagt – nicht entscheiden wollten.
„Ja ja, der doofe Brexit“, sinnierte kürzlich mein britischer Arztfreund bei unserem wöchentlichen Plausch im Pub an der Ecke. „Aber jetzt ist ja erst einmal Wahlkampf und da wird es auch um andere Themen als den EU-Austritt gehen.“
Sein Wort in Gottes Ohr, dachte ich mir still, denn die ersten Tage des gerade begonnen Wahlkampfes hier auf der Insel lassen anderes befürchten.
Einst ein Fan der EU
Sowohl Premierminister Boris Johnson, der laut eigener Bekundung „lieber tot im Graben liegen“ würde, anstatt nicht flugs aus der EU heraus zu kommen, als auch Labour-Chef Jeremy Corbyn haben ihre ersten Wahlkampfauftritte in dieser Woche absolviert und dabei (erwartungsgemäß) wieder die Brexit-Karte gespielt.
Der Regierungschef, der noch während seiner gar nicht allzu lang zurückliegender Zeit als Londoner Bürgermeister ein flammender Fan der europäischen Staatengemeinschaft war, prophezeite im Falle eines Wahlsieges am 12. Dezember „wahrscheinlich sehr viel früher als am 31. Januar 2020“ aus der EU raus zu sein.
Und Labours Jeremy Corbyn, der Putin politisch deutlich näher steht als Macron oder Merkel, verspricht, sollten ihm die Wähler am 12. Dezember die Schlüssel für die Downing Street Nummer 10 aushändigen, gar ein neues EU-Referendum.
Zwei Alternativen
Dabei werde es zwei Alternativen geben: 1. Der Austritt zu den bereits ausgehandelten Bedingungen. Oder 2. ein Verbleib in der EU. Beide Optionen finden bei vielen traditionellen Labour-Wählern nicht sonderlich viel Zuspruch. Dementsprechend schlecht sind Labours Umfragewerte. Würde jetzt gewählt: Corbyn wäre ein, wie die Briten es nennen, „No hoper“.
Die eindeutigste Position in Sachen Brexit haben übrigens die kleineren Parteien, allen voran die Liberalen und die Grünen. Beide Parteien kämpfen im Wahlkampf um einen Verbleib in der EU. Interessant: Während die beiden großen Volksparteien Tories und Labour weiter innerparteilich hoffnungslos beim Thema EU und Brexit zerstritten sind, eint die Liberalen und die Grünen ihr Enthusiasmus für die EU.
Leider sind beide Parteien ebenso wie Jeremy Corbyn’s nach Linksaußen gerückte Arbeiterpartei „No hopers“.
Am Ende ist weniger Geld da
Interessanter und bislang nur wenig beachteter Nebenaspekt eines Brexit Ende Januar: Würde Großbritannien zu den von Johnson mit Brüssel ausgehandelten Bedingungen ausscheiden, so würde das jeden Briten durchschnittlich rund 2314 Euro pro Jahr an verfügbarem Einkommen kosten. Das berechnete kürzlich Experten der Organisation „UK in a Changing Europe“.
Damit wäre der Austritt zu den Bedingungen von Johnson fast so teuer, wie ein chaotischer Brexit, der umgerechnet jährlich 2850 Euro weniger in der Tasche bedeuten würde.
Was wiederum besonders die Anbieter privatmedizinischer Leistungen im Königreich sorgt, denn Patienten könnten schon bald weniger Geld für die Privatmedizin zur Verfügung haben. Fast man all dies zusammen, so lässt sich sagen: Ein „Merry Christmas“ sieht anders aus.