Großbritannien
Johnsons Kurswechsel in der Corona-Krise beruhigt Ärzte nicht
Lange hat der Premierminister mit harten Schritten zur Eindämmung der Corona-Pandemie gezögert. Die Versorgung mit Schutzausrüstung in britischen Kliniken ist prekär.
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Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien: Bis vor wenigen Tagen suggerierte er noch, die beste Waffe im Kampf gegen Covid-19 sei eine „Herdendurchseuchung“ der Bevölkerung.
© Ian Vogler/Daily Mirror/PA Wire/dpa
London. In Großbritannien mehren sich Anzeichen, dass die Bemühungen der Regierung, tausende im Ruhestand stehende Ärzte sowie Krankenpflegepersonal wieder in den aktiven Dienst zu locken, teils fehlschlagen. Das bedeutet neue Probleme im Umgang mit der Corona-Pandemie.
Großbritanniens Kampf gegen das Virus stößt weltweit auf teils scharfe Kritik. So schrieb die griechische Zeitung „Ethnos“, Briten-Premier Boris Johnson sei „viel gefährlicher als das Virus“.
Die Regierung Johnson hatte lange gezögert, strenge Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, Ausgangsverbote und die Schließung öffentlicher Einrichtungen sowie gastronomischer Betriebe zu verordnen. Die Regierung Singapores warf den Briten sogar vor, „alle Maßnahmen um das Virus einzudämmen, einfach zu ignorieren“.
Schlingerkurs der Regierung
Dieser Schlingerkurs wird seit langem von ärztlichen Berufsverbänden im Königreich und auch von Virologen und anderen Wissenschaftlern als „gefährlich“ kritisiert.
Johnson hatte bis vor wenigen Tagen ernsthaft suggeriert, die beste Waffe im Kampf gegen Covid-19 sei eine „Herdendurchseuchung“ der Bevölkerung. Im Klartext hätte das bedeutet, dass die Regierung die rasche Infektion von Millionen Menschen und den Tod von hunderttausenden Patienten in Kauf nehmen würde.
Zwar wurde diese Politik zu Beginn dieser Woche eiligst über den Haufen geworfen und stattdessen ähnliche Regeln wie in Deutschland verfügt. Doch die Strategie der Regierung bleibt nicht unhinterfragt.
„CoronaUpdate“-Podcast
Wissenschaft meets Gesellschaft
Wie der britische Gesundheitsminister Matt Hancock am Mittwoch in London sagte, sind inzwischen rund 12 .000 Ärzte, Krankenpflegekräfte und andere ehemalige Beschäftigte des staatlichen Gesundheitsdienstes (National Health Service, NHS) in den aktiven Dienst zurückgekehrt.
Freilich: „Ärzten wird zugemutet, sich dabei selbst in Gefahr zu bringen“, sagte ein Sprecher des größten und einflussreichsten britischen Ärzteverbandes (British Medical Association, BMA) der „Ärzte Zeitung“. Und: „Das ist inakzeptabel und eine nationale Schande!“
Plastiktüten als Haubenersatz
Die BMA, die die beruflichen Interessen von rund 100 .000 Medizinern im Königreich vertritt, spielt damit auf das Problem an, dass in britischen Arztpraxen und Kliniken es an dringend benötigtem Desinfektionsmaterial und an Schutzkleidung fehlt. In vielen Kliniken sind Pflegekräfte dazu übergegangen, als Schutz Plastiktüten auf dem Kopf zu tragen, weil entsprechende Hauben fehlen.
Ähnlich miserabel ist die Ausstattung des NHS mit Intensivmedizinbetten und anderem Gerät.
Diese schlechten Zustände veranlassten den Vorsitzenden der „The Doctors Association“, einem Bund von Ärzten, zur Feststellung: „Je länger diese Pandemie anhält, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass viele Ärzte ihren Job an den Nagel hängen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlen.“