Sinkende Lebenserwartung in den USA
Opioid-Krise ist nicht der zentrale Treiber
Die USA waren bei der Verringerung der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen zuletzt weniger erfolgreich als andere Länder. Das hat die Lebenserwartung gesenkt, nicht primär der Opioid-Missbrauch.
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Die USA waren zuletzt weniger erfolgreich bei der Verhinderung kardiovaskulärer Erkrankungen.
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Rostock. Wesentliche Ursache für die sinkende Lebenserwartung in den Vereinigten Staaten ist die Sterblichkeit durch Herz- und Kreislauferkrankungen, nicht primär die oft angeführte Opioid-Krise.
Das haben Wissenschaftler um Mikko Myrskylä vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock herausgefunden. Demnach wiesen die USA zu Beginn des Jahrtausends noch ähnliche Sterberaten auf wie die zehn Länder mit der höchsten Lebenserwartung. 2016 dann hätten die Sterberaten bei Herz- und Kreislaufkrankheiten bereits rund 30 Prozent über dem Wert der Top-10-Länder gelegen, heißt es in einer Veröffentlichung in den Proceedings of the National Academy of Sciences (https://doi.org/10.1073/pnas.1920391117).
Trump verhängte den Gesundheitsnotstand
Bisher war vor allem der wachsende Missbrauch von Schmerzmitteln als Erklärung für diese Entwicklung herangezogen werden. Allein im Jahr 2015 gab es in den USA rund 52 000 Drogentote, 33 000 von ihnen hatten Opioide genommen. 2017 hatte US-Präsident Donald Trump wegen weiter steigender Zahlen den „nationalen Gesundheitsnotstand“ ausgerufen.
Um die Stärke der Einflussfaktoren bewerten zu können, rechneten die Forscher zwei hypothetische Szenarien durch: Nämlich, wie sich die Sterblichkeit ohne den epidemischen Missbrauch von Opioiden entwickelt hätte und wie, wenn die USA so erfolgreich bei der Verringerung von Herz- und Kreislauferkrankungen gewesen wären wie andere führende Länder.
Im Ergebnis hat sich der Schmerzmittel-Missbrauch vor allem negativ auf die Lebenserwartung von Männern ausgewirkt: Sie würden aktuell statistisch fünf Monate länger leben, bei Frauen wäre die Lebenserwartung nur einen Monat höher. Anders dagegen bei kardiovaskulären Erkrankungen: Hätten die USA hier weitere Fortschritte erzielt – so wie andere Länder –, wäre die Lebenserwartung heute bei Frauen um 1,2, bei Männern um 1,1 Jahre höher.
Langer Untersuchungszeitraum nötig
Dieser Wert entspreche der Lücke, die sich bei der durchschnittlichen Lebenserwartung seit dem Jahr 2010 zwischen den USA und den Ländern der Europäischen Union aufgetan hat. Dass dieser Effekt in früheren Analysen so nicht gesehen wurde, führen die Autoren auf einen zu kurzen Untersuchungszeitraum zurück: Erst wenn der Fokus über das Jahr 2010 hinaus weiter in die Vergangenheit gerichtet wird, werde deutlich, dass die Bevölkerung in den USA seitdem nicht mehr von den andernorts weiter sinkenden kardiovaskulären Sterberaten profitiert habe.
Als maßgebliche Ursachen für den Negativtrend vermuten die Autoren die bereits seit Mitte der 80er Jahre steigende Fettleibigkeit in den USA sowie den im Ländervergleich hohen Anteil an Diabetikern.
Paradox mutet ein weiterer Faktor an: Da die Raucherquote in den Staaten bereits vor etlichen Jahren deutlich gesunken ist, profitierten andere Länder in den 2010er Jahren noch von dem Effekt eines sinkenden Raucheranteils, wohingegen in den USA dieser positive Trend bereits „aufgebraucht“ war.
Keine Verharmlosung der Opioid-Krise
Zudem halten die Wissenschaftler auch einen sich überlappenden Effekt der Opioidkrise für möglich: So könnten sich beispielsweise sozialer und wirtschaftlicher Abstieg in einer Zunahme drogenbedingter Todesfälle und in steigender kardiovaskulärer Sterblichkeit niedergeschlagen haben. Insofern, betonen die Autoren, gebe es keinen Grund, die Auswirkungen des großflächigen Schmerzmittelmissbrauchs „in irgendeiner Form herunterzuspielen“.