Verbot der "Beratung"
Kassen wollen jetzt Kodierrichtlinien
Nachträgliches Kodieren von Diagnosen hat Kassen Extra-Geld beschert. Jetzt stoppt die Koalition das Upcoding. Kassen reagieren mit ihrer alten Forderung, Kodierrichtlinien einzuführen.
Veröffentlicht:BERLIN. Krankenkassen erhöhen ihren Druck, Vertragsärzten mehr Pflichten bei der Kodierung von Diagnosen in der ambulanten Versorgung aufzuerlegen. Bei der Anhörung des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) am Montag im Gesundheitsausschuss des Bundestags drängten Kassenvertreter die Koalition, die Vorgaben für niedergelassene Ärzte zu verschärfen. "Erheblichen Bedarf" für bundeseinheitliche Kodierrichtlinien sieht etwa Franz Knieps, Leiter des BKK Dachverbands, und verwies dafür auf vielfältige Formen der "Kodierberatung", die Kassen etabliert haben.
Angedockt an das HHVG wollen die Koalitionsfraktionen regeln, dass die "Beratung" von Ärzten, die allein das Ziel hat, Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu erhöhen, verboten wird. KBV-Chef Dr. Andreas Gassen signalisierte bei der Anhörung seine Zustimmung: "Damit wird der Raum für Missbrauch geschlossen", sagte Gassen. Weitergehenden Regelungsbedarf sieht der KBV-Chef nicht. "Die Kodierung funktioniert und ist qualitativ in Ordnung", sagte Gassen. Unbenommen sei dabei, dass es bei der Kodierung einzelner Krankheiten "Verbesserungsbedarf" gebe.
Dr. Astrid Bühren vom Deutschen Ärztinnenbund bezeichnete Ärzte als "gut informiert" über die Kodiervorschriften, sodass eine Beratung durch Kassen "weder ärztlich notwendig, noch ethisch vertretbar" sei. Die Anhörung nutzte Bühren für ein "Signal an die Patienten, dass wir ihre Erkrankungen korrekt kodieren".
Dagegen beklagte etwa Martin Litsch, Chef des AOK-Bundesverbands, das Fehlen verbindlicher Regelungen bei der Kodierung. Eine Richtlinie würde aus Sicht von BKK-Verbandschef Knieps nicht nur die Vorgaben für Ärzte verbindlicher als bisher machen, sondern könnte auch eine öffentliche Debatte über das Thema befördern.
Die kurzfristige Integration einer allgemeinen Kodierpflicht in den Gesetzentwurf des HHVG gilt freilich als höchst unwahrscheinlich. Denn schon am Donnerstag soll das Gesetz abschließend im Bundestag beraten und beschlossen werden.
Unklar ist, ob über die Reichweite des Verbots von Kodierberatungen schon das letzte Wort gesprochen ist. Denn Selektivverträge sind von dieser geplanten Vorgabe bisher nicht erfasst. Und an dieser Stelle bröckelt die Kassenallianz.
Denn Innungs- und Betriebskassen drängen darauf, auch die hausarztzentrierte Versorgung (HzV), Facharztverträge und Integrationsverträge auf Basis des alten Paragrafen 140a-d SGB V einzubeziehen. In solchen Verträgen werde die Vergütung der Ärzte an die Übermittlung bestimmter Diagnosen gekoppelt. Knieps mahnte die Abgeordneten, in Selektivverträgen nicht Spielräume für Manipulationen zu eröffnen: "Kassen sind findige Institutionen." AOK und Ersatzkassen erheben diese Forderung indes nicht.
Kontrovers diskutiert wurde der Vorschlag der Koalition, den Leistungsumfang von Hochschulambulanzen zu erweitern. Dort soll künftig – wie in Krankenhäusern – der sogenannte Verbotsvorbehalt gelten: Eine Untersuchungs- und Behandlungsmethode ist danach so lange erlaubt, es sei denn, sie wird eingeschränkt oder verboten. "Nicht erforderlich" ist das, erklärt die KBV, da schon bisher in der Forschung und Lehre innovative Versorgungsansätze möglich seien. Auch die Kassen lehnen den Vorschlag ab, da die Anwendung neuartiger Methoden in Hochschulambulanzen nicht standardmäßig evaluiert würden. AOK-Verbandschef Litsch warnte eindringlich davor, neue Sonderregeln für Ambulanzen zu schaffen: Anderenfalls zettele die Koalition "noch mehr Durcheinander an".