Kassenchef will GKV zur PKV machen

Gleiche Spielregeln, einheitlicher Markt: Der Chef der Techniker Krankenkasse will die gesetzliche Krankenversicherung liberalisieren. Er fordert: "Langfristig muss der Unterschied zwischen Privatpatient und Kassenpatient verschwinden."

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Professor Norbert Klusen, TK-Chef

Professor Norbert Klusen, TK-Chef

© axentis.de/Georg J. Lopata

KÖLN. Die Techniker Krankenkasse fordert, dass GKV und PKV künftig unter einheitlichen Bedingungen arbeiten können.

"Wir müssen die Frage beantworten, ob die heutige Trennung von privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen noch sinnvoll ist oder ob wir nicht besser die beiden Systeme zu einem einheitlichen Versicherungsmarkt mit mehr Wettbewerb und Durchlässigkeit entwickeln", sagte TK-Chef Professor Norbert Klusen im Interview mit der "Financial Times Deutschland".

Seine Zielvorstellung: "Langfristig muss der Unterschied zwischen Privatpatient und Kassenpatient verschwinden."

Klusen stützt sich auf ein Gutachten, das die TK in Auftrag gegeben hatte. Es soll nach Angaben der Kasse die Diskussion über die Zukunft der GKV und das Verhältnis von GKV und PKV versachlichen und beleben.

In beiden Systemen einen Grundleistungskatalog

Die Gesundheitsökonomen Eberhard Wille und Matthias Graf von der Schulenburg haben gemeinsam mit den Juristen Gregor Thüsing und Christian Waldhoff untersucht, ob und wie die gesetzlichen Krankenkassen privatrechtlich organisiert werden könnten.

Das Ergebnis: die Kassen könnten die Rechtsform der Körperschaft öffentlichen Rechts aufgeben und sich in Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit oder Aktiengesellschaften umwandeln, ohne das Sozialstaats- und Solidarprinzip in Frage zu stellen.

Die privatrechtliche Organisation der Kassen würde nach Einschätzung der Wissenschaftler ihre Handlungsmöglichkeiten deutlich erweitern. Die Trennung in ein privates und ein gesetzliches Krankenversicherungssystem stellen sie zwar nicht in Frage.

Die Spielregeln sollen aber künftig gleich sein: In beiden Systemen gibt es einen Grundleistungskatalog, der durch Zusatzversicherungen ergänzt werden kann.

Aufsicht, Rechnungslegung und Besteuerung wären einheitlich. Kassen und Privatversicherer könnten so auf Augenhöhe im Markt auftreten und um die Versicherten konkurrieren oder kooperieren.

"Diese Veränderungen befähigen die Krankenkassen, eine effizientere und effektivere Gesundheitsversorgung zu bewerkstelligen", schreiben die Gutachter. Vorteile sehen sie etwa bei den selektiven Verträgen mit Ärzten und Krankenhäusern und an der Schnittstelle der Sektoren.

PKV: Einheitlicher Markt löse kein Problem

Beim PKV-Verband stößt die Initiative der TK auf wenig Gegenliebe. Das Plädoyer für einen einheitlichen privaten Versicherungsmarkt von PKV und GKV löse kein Problem, sagt Verbandsdirektor Dr. Volker Leienbach.

"Insbesondere sind die Vorschläge keine Antwort auf die demografische Herausforderung des deutschen Gesundheitswesens."

Die Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens für alle Krankenversicherer, wie es sie seit 2006 in Holland gibt, lehnt Leienbach ab. "Zunächst müsste man nachweisen, dass dieses neue System besser ist", sagt er der "Ärzte Zeitung".

Das werde nicht gelingen. Das deutsche Gesundheitssystem sei gerade wegen der Dualität eines der weltweit besten. Die Umstellung auf ein Einheitssystem sei mit großen Risiken verbunden, einem "knallharten Durchregieren der Politik".

Den Holländern habe die Umstellung keine Vorteile gebracht. "Das System ist teurer, die Wartezeiten sind länger geworden."

Kann Holland ein Vorbild für deutsche Reformen sein - und wie funktioniert das?

Im Jahr 2006 hat Holland einen einheitlichen Krankenversicherungsmarkt realisiert, auf dem derzeit 27 privatrechtlich organisierte Krankenversicherer aktiv sind. Die Reform wurde über einen Zeitraum von 20 Jahren vorbereitet. Der wichtigste Schritt war dabei die Harmonisierung aller Vergütungen, die sich zuvor erheblich unterschieden. Auf deutsch: Vereinheitlichung von GOÄ und EBM. Kernelemente der 2006 in Kraft getretenen Reform sind:

Einheitliche Finanzierung durch eine Kopfprämie von 1050 Euro pro Jahr und einem einkommensabhängigen Beitrag von 6,5 Prozent bis 30.000 Euro Jahreseinkommen; Steuerzuschuss für Kinder.

Risikostrukturausgleich für alle Versicherer.

Prämienzuschuss bei finanzieller Überforderung.

Einheitliche Aufsicht und Wettbewerbskontrolle für alle Versicherer.

Fast alle Elemente, die für einen einheitlichen Versicherungsmarkt denknotwendig erscheinen, sind in Deutschland sozial- oder parteipolitisch tabuisiert. Am ausgeprägtesten gilt dies für die Kopfpauschale. Ferner mussten die Holländer ein Problem nicht lösen, das die Deutschen aber haben: Wie geht man mit den verfassungsrechtlich geschützten PKV-Alterungsrückstellungen um? Schwierig, von Holland zu lernen. (HL)

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Kommentare
Stephan Kamm 24.04.201216:58 Uhr

Logisch dass die PKV hier mauert...

... denn dort hat man Angst vor dem gesunden Fortschritt!

Das Argument im Artikel: "Das deutsche Gesundheitssystem sei gerade wegen der Dualität eines der weltweit besten." ist so lächerlich wie falsch. Wie kommt man nur dazu so eine (nicht zu belegende) Wurst von Behauptung aufzustellen?

Logisch, wenn dann GKV-Fälle zu gleichen Honoraren vergütet würden, müsste Chefarzt sich nicht mehr nur um die Wehwehchen der "verwöhnten Privatpatienten" kümmern, sondern könnte dort handeln, wo seine Kompetenz gebraucht wird: Bei komplizierten Fällen - egal ob privat oder gesetzlich Versichert!

Wer Einzelzimmer oder Flatscreen im Patientenzimmer braucht kann sich meinetwegen gerne zusätzlich versichern. Das in Deutschland "Private" aber eine bevorzugte (chefärztliche) Behandlung bekommen dürfen, grenzt an eine Menschenrechtsverletzung. Wo ist der Gleichheitsgrundsatz in der Medizin geblieben?

Wer als Arzt diese Machenschaften unterstützt, hat den hippokratischen Eid nie verstanden.



Dr. Ivar Leben 14.04.201214:22 Uhr

GKV und PKV verschmelzen

Wie hoch würde der Prämienzuschuss bei finanzieller Überforderung oder zusätzliche Zuschüsse vom Staat dabei sein ?
Dr. Leben

Dr. Birgit Bauer 13.04.201213:47 Uhr

Gute Idee !

Ich hätte dazu auch einen konkreten Vorschlag. Der EBM wird abgeschafft, alle ärztlichen Leistungen werden über die hoffentlich bald neue GOÄ honnoriert. GKV-Kassen, die das nicht leisten können gehen den normalen Weg im Markt!
Vorteil: Berechenbare finanzielle Grundlage für die Arztpraxen, kein quartalsmäßiges "Kasperletheater " um die ständig unterfinanzierten RLV´s.
Wäre für alle, die tatsächlich Patienten betreuen und behandeln berechenbarer und würde sicher auch dazu führen, dass wieder mehr junge Kollegen den Mut zur Praxis-Gründung und -Übernahme finden würden.
Die damit eingesparten Personalgelder der derzeit sich als so wichtig fühlenden Gremien, sollten im Patientenversorgungsbereich für mehr Personal eingesetzt werden. Ich könnte noch konkreter werden, dass würde aber diesen Rahmen sprengen.
M.f.G. B.Bauer

Karl-Georg Vaith 12.04.201220:39 Uhr

GKV Versus PKV

Bravo Herr Klusen,

dies Thema gehört schon lange neu geregelt.

Gewinne werden privatisiert, Verluste werden sozialisiert.
Auf Dauer kann dieses System "PKV und junge gesunde Pat. oder GKV und viele ältere kranke Patienten" nicht beibehalten werden.
Ich werde laufend von sogenannten Call-Centern der PKVén angerufen um eine Mitgliedschaft als Privat Patient zuzulassen.
Hören sie mein Alter über 60 Jahre nehmen sie sofort Abstand von ihrem Anliegen.

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