Kabinettsbeschluss

Kassenreform nimmt erste Hürde

Kopfpauschalen ade und unabhängige Zusatzbeiträge: Das Kabinett hat die GKV-Reform auf den Weg gebracht. Den Plänen zufolge werden viele Versicherte entlastet - später wird es aber wohl auf breiter Front teurer.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Rollt bald der Euro wieder?

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BERLIN. Angela Merkels Ministerrunde hat am Mittwoch das Ende der Kopfpauschalen besiegelt. Stattdessen können die Kassen künftig bei ihren Mitgliedern einkommensabhängige Zusatzbeiträge über den vorgeschriebenen Sockelbeitrag hinaus erheben.

Der soll ab Anfang 2015 bei 14,6 Prozent liegen, jeweils hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen. Der Arbeitgeberbeitrag soll bei 7,3 Prozent festgeschrieben werden. Die Sicherheitsreserven des Gesundheitsfonds sollen aufgestockt werden.

Eines der Ziele des Gesetzes sei es, arbeitsplatzgefährdende Steigerungen der Lohnnebenkosten zu vermeiden, verteidigte Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) im Anschluss an die Kabinettssitzung die Fortsetzung der Privilegierung der Arbeitgeber.

Vorteile ergäben sich aber auch für viele Versicherte. Etwa 20 Millionen seien bei Kassen versichert, die voraussichtlich die Beiträge ab 2015 zunächst senken könnten. Allerdings rechne er nicht damit, dass es Kassen geben werde, die ganz ohne Zusatzbeitrag in die neue Finanzierungswelt starten würden. Wichtig sei ihm, dass das Gesetz klare Signale für einen Kassenwettbewerb um mehr Effizienz aussende.

Die streitigen Punkte in der Kassenfinanzierung - die Berechnung des Krankengeldes und der Auslandsversicherten in der Systematik des Risikostrukturausgleiches - würden als Übergangsmodelle ausgestaltet und zunächst wissenschaftlich untersucht, sagte Gröhe.

Liquiditätsreserven sollen um fünf Prozent steigen

Den Autoren des Gesetzentwurfes scheint zu schwanen, dass die Umstellung auf prozentual erhobene Zusatzbeiträge Kassen in Schwierigkeiten bringen könnte, wenn allzu viele Mitglieder abwandern.

Im Unterschied noch zum Referentenentwurf aus dem Februar schreibt der Kabinettsentwurf nämlich den gesetzlichen Krankenkassen eine Erhöhung der Liquiditätsreserve von 20 auf 25 Prozent der durchschnittlichen Monatsausgaben des Gesundheitsfonds vor. Dieses Geld soll bereit stehen, um Kassen zu helfen, deren Ausgaben die Einnahmen zu unterschreiten.

Im Falle einer Kasseninsolvenz soll sich der GKV-Spitzenverband aus diesen Mitteln bis zu 750 Millionen Euro leihen können, um Zwischenfinanzierungen stemmen zu können. Derzeit gibt es noch 130 gesetzliche Krankenkassen.

Für den gesundheitspolitischen Sprecher der Fraktion der Linken, Harald Weinberg, ist dies ein Signal dafür, dass die Regierung nicht ausschließt, dass Kassen in schweres Fahrwasser geraten könnten: "Die Bundesregierung scheint als Folge ihres Gesetzes mit Kassenpleiten zu rechnen. Nur so erklärt es sich, dass sie die Mittel heute erhöht hat, die zur Bewältigung von Kassenpleiten zurückgehalten werden", sagte er der "Ärzte Zeitung".

Mit dem Gesetzentwurf hat das Kabinett auch die Gründung eines gesetzlichen Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz auf den Weg gebracht. Es soll nach dem Vorbild des Kölner Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen als unabhängige Stiftung gestaltet sein.

Gröhe gab sich zuversichtlich, dass das Institut Qualitätskriterien entwickeln könne, die sich in der künftigen Krankenhausplanung einsetzen ließen. Bereits Mitte 2014 solle der Gemeinsame Bundesausschuss mit dem Aufbau des Instituts beginnen können.

Experte: Zusatzbeiträge steigen schon ab 2016

Mehrere Millionen Versicherte dürften zunächst entlastet werden, schätzt der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem die Ausgangssituation der neuen Finanzierungssystematik ein.

Welche Beitragserhöhungen auf die Versicherten wegen der geplanten Krankenhausreform oder auch wegen Auswirkungen möglicher Sanktionen gegen Russland zukämen, sei unklar, sagte Wasem.

Er gehe davon aus, dass der prozentual von Einkommen erhobene Zusatzbeitrag ab 2016 jährlich um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte steigen werde. Für 2017 rechne er mit Zusatzbeiträgen von 1,3 bis 1,5 Prozent.

"Es ist gut, dass der Streit um unterschiedliche Finanzierungssysteme nach über zehn Jahren mit diesem Beitragsgesetz beendet ist und gleichzeitig der Weg in eine nachhaltige Finanzierung beschritten werden kann", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, im Anschluss an die Beratungen des Kabinetts.

Seine Kollegin von der SPD, Hilde Mattheis, freute sich über das Ende der Kopfpauschalen, die zuletzt ohnehin von praktisch keiner Kasse mehr erhoben wurden. Mattheis bezeichnete es allerdings als schmerzliches Zugeständnis, dass Beitragssteigerungen zunächst nur von den Arbeitnehmern und Rentnern bezahlt werden müssten, während die Arbeitgeber verschont blieben.

"Die SPD wird sich an dieser schwierigen Stelle an den Koalitionsvertrag halten", kündigte Mattheis an. Sie wies darauf hin, dass der Arbeitgeberbeitrag nicht für alle Zeiten festgeschrieben werde.

Tatsächlich gibt es eine Nebenabrede der Koalitionspartner zum Koalitionsvertrag. Der zufolge sollen auch die Arbeitgeberbeiträge wieder aufgeschnürt werden können, nicht aber in dieser Legislaturperiode.

Opposition: Versicherte zahlen die Zeche

Die Kritik der Opposition entzündete sich gleichwohl an der Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags: "Die Zeche zahlen die Versicherten", sagte die Gesundheitsexpertin der Grünen, Maria Klein-Schmeink.

Für den Linkenpolitiker Weinberg sind die Aussagen der Regierung zu möglichen Entlastungen der Beitragszahler nur die halbe Wahrheit.

"Es wird nicht einmal bis zum Ende der Wahlperiode dauern, bis auch die Millionen, die am Anfang entlastet werden, einen höheren Beitrag bezahlen müssen als die derzeitigen 15,5 Prozent. Das verschweigt Gröhe", sagte Weinberg.

Auch die FDP meldete sich zu Wort: "Die Reform der Krankenkassenbeiträge ist eine Mogelpackung", heißt es in einer Pressemitteilung. Den Bürgern werde mehr Wettbewerb suggeriert, das Gegenteil sei aber der Fall. Für den Patienten seien prozentuale Zusatzbeiträge nur schwer zu greifen und hätten nachweislich eine geringe Signalwirkung.

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