Roadmap des BMG
Kein schnelles Ende der Pflegemisere in Sicht
Altenheime und Pflegedienste klagen über zu wenig Personal. Die Politik verspricht Zehntausende neue Assistenzstellen. Das Bundesgesundheitsministerium geht von einem Langstreckenlauf aus.
Veröffentlicht:Berlin. Der Bedarf an Pflege wächst. Um ihn zu decken, braucht es mehr Personal. Doch schon heute fehlen mehrere zehntausend Fachkräfte in Deutschland. Die Folge: Die Arbeitsverdichtung nimmt stark zu.
Und es könnte noch schlimmer kommen. Der Deutsche Pflegerat rechnet vor, dass sich bis zum Jahr 2030 eine Lücke von rund 500.000 Beschäftigten auftun könnte. Der Grund: Viele Pflegeprofis gehen bis dahin in Rente.
Arbeitsmarkt fängt Bedarf nicht auf
Schnelle Abhilfe ist nicht in Sicht. Das gesteht auch die Bundesregierung ein. „Die aktuelle Arbeitsmarktsituation in der Pflege kann den entstehenden zusätzlichen Bedarf an Pflegefachpersonen, Pflegehilfs- und Assistenzpersonen zeitnah nicht auffangen“, heißt es in einer „Roadmap“ des Bundesgesundheitsministeriums (BMG).
In dem Papier, das der „Ärzte Zeitung“ vorliegt, werden Schritte hin zur Einführung eines Personalbemessungsverfahrens in der Langzeitpflege skizziert. Die „Roadmap“ geht auf die „Konzertierte Aktion Pflege“ zurück.
Maue Bilanz zu Stellenprogramm
Die Lektüre des Papiers macht deutlich: Das Bemühen um eine personelle Entlastung der rund 30.000 Pflegeheime und Pflegedienste braucht langen Atem. So geht das BMG davon aus, dass das neue Verfahren zur Personalbemessung „flächendeckend“ erst ab 2025 zum Einsatz kommt.
Zum Hintergrund: Ein wissenschaftliches Fundament für den Personaleinsatz in der Pflege gibt es bislang nicht. Das von dem Bremer Forscher Professor Heinz Rothgang entwickelte Personalbemessungsinstrument soll die Lücke schließen.
Demnach sollen mehr Assistenzkräfte eingesetzt werden, um den erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff umzusetzen. Fachkräfte sollen sich so stärker den im Pflegeberufegesetz festgeschriebenen Vorbehaltsaufgaben widmen können.
Personal- und Qualifikationsmix
In einer „ersten Personalausbaustufe“ seien seit Beginn dieses Jahres 20.000 zusätzliche Assistenzkräfte vorgesehen – was rund 20 Prozent des zusätzlichen Personalbedarfs entspreche, heißt es in der „Roadmap“. Weitere Ausbaustufen sollten folgen. Dazu zählten auch Modellprogramme, Evaluationen und eine Studie zum Personalmix in der ambulanten Pflege.
Dass sich allein die im ersten Schritt vorgesehenen 20.000 Assistenzstellen besetzen lassen, ist ungewiss. So gesteht auch das BMG ein, dass schon das mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz aufgelegte Programm für 13.000 zusätzliche Pflegestellen schleppend läuft. Zur Erinnerung: Die Stellen werden seit Anfang 2019 von den Kassen voll finanziert.
Das Ende 2020 vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege sieht daher vor, die Stellen auch mit Fachkräften aus weiteren Gesundheits- und Sozialberufen zu besetzen. Zudem wird die Einstellung von Pflegehilfskräften in Ausbildung zur Pflegefachkraft erleichtert.
Verbände reagieren enttäuscht
Verbände werfen der Koalition dennoch fehlenden Ehrgeiz vor. Die Roadmap sei „enttäuschend“, sagt Pflegerats-Vize Irene Maier. Das Papier sei unpräzise, es fehle eine kurzfristige echte Perspektive.
Nur mit Verbindlichkeit lasse sich das Signal senden, dass „Professionalität und Relevanz der beruflich Pflegenden in der Langzeitpflege ernstgenommen wird“, betont auch die Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, Professor Christel Bienstein. Es müsse jetzt gehandelt werden. Auch fehlten Lösungen für den ambulanten Bereich.
Reform noch bis September!?
Unabhängig davon stellt sich die Frage: Wer bezahlt es? „Eine verbesserte Personalausstattung ist mit einem höheren Finanzierungsbedarf der Pflegeeinrichtungen verbunden“, schreibt das BMG. Pflegebedürftige und Angehörige seien vor zu hohen Eigenanteilen zu schützen und eine nachhaltige Finanzierung sicherzustellen.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat eine Reform dazu noch in dieser Legislatur angekündigt.