Ärzte mahnen
Nicht das Leben von Kindern aufs Spiel setzen
Weil es in Kinderkliniken an allen Ecken mangelt, fürchten Intensiv- und Notfallärzte, dass mehr Kinder sterben werden. Ein Problem sind offenbar die Wohnungsmieten.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Hamburg. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat zum Auftakt ihrer Jahrestagung am Mittwoch in Hamburg an die Politik appelliert, die Rahmenbedingungen für die Kinderkliniken in Deutschland zu verbessern.
Ohne einschneidende Verbesserungen erwarten die Experten, dass aufgrund der inzwischen zugespitzten Situation mehr Kinder sterben, weil sie in pädiatrischen Kliniken nicht mehr adäquat versorgt werden können.
„Große Intensivstationen lehnen jedes Jahr die Aufnahme von Kindern ab, weil sie nicht in der Lage sind, sie zu versorgen“, sagte Privatdozent Florian Hoffmann, Sprecher der Sektion Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin der DIVI. Folge des Personal- und Bettenmangels sind Verlegungen von Kindern in zum Teil weit entfernte Kinderkliniken.
Hoffmann nannte als Beispiele Fahrten von München mit schwer kranken Kindern nach Garmisch-Patenkirchen und von Berlin bis Rostock. Laut einer DIVI-Umfrage müssen einzelne Intensivstationen die Aufnahmen von jährlich bis zu 100 Kindern ablehnen. Das Problem besteht laut seiner Aussage in allen deutschen Großstädten.
Als einen der Hauptgründe nannte er die unzureichende Abbildung der Pädiatrie im Fallpauschalensystem. „Man kann mit Kindermedizin in diesem System keinen Gewinn machen“, sagte der Oberarzt auf der Interdisziplinären Kinderintensivstation am Dr. von Haunerschen Kinderspital der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Jedes fünfte Kinderintensivbett nicht betreut?
Weitere Ursache für die zugespitzte Situation ist nach seinen Angaben der Mangel an Pflegekräften. Rund 20 Prozent der Kinderintensivbetten in Deutschland können laut DIVI nicht belegt werden, weil das Personal fehlt.
Insbesondere in Städten wie München fehle es an Pflegekräften auf den Stationen, weil diese von ihrem Gehalt keine Wohnung zahlen könnten. Hoffmann schlug vor, die Wohnungsmiete auf das Tarifgehalt aufzuschlagen, um dieses Problem zu lösen.
Hoffmann forderte von der Politik „Sofortmaßnahmen“. „Schönwetterversprechen für einen undatierten Zukunftszeitpunkt reichen uns nicht mehr aus“, sagte Hoffmann.
Um die Situation zu verändern, bot sich die Gesellschaft als Gesprächspartner der Politik an. Dabei sollte nach Ansicht Hoffmanns die Ausbildung zur Kinderkrankenpflege aufs Tapet.
„Viele junge Menschen brennen für genau diesen Beruf der Kinderkrankenpflege, müssen sich aber durch die geänderten Ausbildungsbedingungen erst durch eine generalistische Krankenpflegeausbildung kämpfen, um sich dann endlich auf Kinder spezialisieren zu können“, kritisierte Hoffmann.
Kritik an Pflegepersonaluntergrenzen
Wie angespannt die Situation in der Pflege allgemein ist, machte DIVI-Vorstandsmitglied Thomas van den Hooven in Hamburg deutlich. Er kritisierte die Pflegepersonaluntergrenzen als zu undifferenziert und forderte, mit Leistungserfassungsinstrumenten den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln.
Die politischen Bemühungen um Pflegekräfte aus dem Ausland und Appelle nach stärkeren Bemühungen in der Ausbildung hält der Pflegedirektor des Universitätsklinikums Münster nicht für zielführend, solange sich nichts an den Arbeitsbedingungen für Pflegefachkräfte in Deutschland ändert.
Professor Andreas Markewitz, medizinischer Geschäftsführer der DIVI, will der Politik „klar machen, dass ein Krankenhaus kein Wirtschaftsbetrieb ist“. Für eine „gute Pflege“ fehle den Krankenhäusern derzeit der finanzielle Anreiz.
Gesundheitsminister Jens Spahn hat beim DIVI derweil mitgeteilt, dass er mit Justizministerin Lambrecht an einer Verschärfung der Strafen für Übergriffe gegen Klinikmitarbeiter arbeite. Gleichzeitig bedauerte er: „Eine Gesellschaft, die so was über das Strafrecht klären muss, ist ein Stück weit verloren.“