Erstes „Corona-Gesetz“
Koalition will Ärzte und Kliniken finanziell entlasten
Die Große Koalition plant einen Schutzschirm für Kliniken, Ärzte und Pflegeeinrichtungen. Die Krankenhäuser reagieren total vergrätzt. Der Gesundheitsminister bessert prompt nach.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Ein am Samstag bekannt gewordener Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen von Union und SPD hat umgehend zu heftigen Diskussionen geführt.
Der Entwurf eines „Gesetzes zum Ausgleich COVID-19-bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen“, der der „Ärzte Zeitung“ vorliegt, soll die Zusatzbelastungen der Krankenhäuser, der Arztpraxen und der Pflegeeinrichtungen kompensieren helfen.
Trotz der Ankündigung von Hilfen, Ausgleichszahlungen und Boni im voraussichtlich zweistelligen Milliarden Euro Bereich sprach die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) in einer ersten Reaktion von einem „fatalen politischen Fehler des Ministers“. Gemeint ist Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der besserte an zentralen Stellen seines Gesetzentwurfs am Sonntag nach.
Milliarden für die Krankenhäuser
Mit dem Gesetz sollen die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten der Bundesländer gefassten Beschlüsse vom 12. März umgesetzt werden.
- Krankenhäuser sollen, soweit vertretbar, grundsätzlich alle planbaren Aufnahmen, Operationen und Eingriffe zunächst für sechs Monate verschieben, oder aussetzen.
- Die den Krankenhäusern damit entstehenden Ausfallkosten sollen aus Bundesmitteln ausgeglichen werden. In der ersten Fassung des Gesetzentwurfs waren dafür 2,4 Milliarden Euro für 100 Tage angesetzt; die Entlastung dürfe nach den Anpassungen vom Sonntag jedoch größer ausfallen. Die Kliniken soll pro „freies Bett“ nun 560 Euro am Tag erhalten.
- Für den Aufbau zusätzlicher Kapazitäten an Intensivbetten und Beatmungsplätzen sollen die Krankenhäuser einen Bonus von je 50.000 Euro erhalten – zunächst waren 30.000 Euro geplant. Bei einer Verdoppelung der aktuellen Kapazitäten würden rund 1,5 Milliarden Euro „Boni“ für die Häuser fällig.
- Die Mobilisierung von zusätzlichem Pflegepersonal beziehungsweise die Verlagerung von Personal in die Versorgung von Corona-Patienten wird in der Rechnung mit 4,5 Milliarden Euro angesetzt, die zu einem Zehntel von den Privaten Krankenversicherern (PKV) getragen werden sollen.
- Die Länder sollen Kureinrichtungen und Rehakrankenhäuser zur Versorgung nicht beatmungspflichtiger Infizierter in vollstationäre Einrichtungen umwidmen können.
Vertragsärzte sollen Ausgleich erhalten
Auch die ambulante Versorgung soll für zusätzliche Aufwände und Umsatzeinbußen entschädigt werden.
- Zur Finanzierung „außerordentlicher Maßnahmen“, die zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung während der „epidemischen Notlage“ geboten seien, sollen die Kassen den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) zusätzliche Kosten erstatten müssen. Die Autoren des Gesetzentwurfs halten dies hinsichtlich „Art, Anzahl und Umfang“ für „nicht quantifizierbar“.
- Für eventuelle Umsatzeinbußen der Ärzte aufgrund sinkender Patientenzahlen in den Praxen sollen Ausgleichszahlungen vorgesehen werden. „Es soll sichergestellt werden, dass die nach Paragraf 87a SGB V mit befreiender Wirkung zu zahlenden morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen trotz vermindert abgerechneter Leistungsmengen, im regulären Umfang ausgezahlt werden können“, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs.
- Mit einer Anpassung der Honorarverteilungsmaßstäbe (HVM) sollen die Vertragsärzte „Kalkulationssicherheit hinsichtlich der Höhe des zu erwartenden Honorars und zum Fortbestand der vertragsärztlichen Tätigkeit“ erhalten.
Um die besonders vulnerable Gruppe der Pflegebedürftigen vor Ansteckung mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 zu schützen, sollen bürokratische Anforderungen zurückgefahren werden. Zum Beispiel sollen die persönlichen Pflegegutachten durch Gutachten nach Aktenlage ersetzt werden.
DKG-Präsident: „Wir sind fassungslos“
Kein Krankenhaus könne sicher sein, dass es die Krise unbeschadet überstehen könne, reagierte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) mit Unverständnis auf zahlreiche kleinteilige Regelungen des Entwurfs.
„Mit dem Gesetzentwurf (…) bricht der Gesundheitsminister das Versprechen der Kanzlerin zu einem umfassenden Schutzschirm für die Krankenhäuser“, sagte DKG-Präsident Dr. Gerald Gaß in einer ersten Reaktion am Samstagnachmittag.
„Wir sind fassungslos, dass der Minister die Vorschläge der Krankenhäuser zur schnellen und unbürokratischen Hilfe einfach vom Tisch gefegt hat“, sagte Gaß. Es gebe jetzt Wichtigeres als Belege zu sortieren und sich auf die Rechnungsstellung mit den Kassen vorzubereiten.
Zudem kritisierte Gaß, dass die Finanzhilfen in Höhe von 4,5 Milliarden Euro lediglich eine Leihgabe seien. Weiter sei der zunächst mit 30.000 Euro geplante Bonus für die zusätzlichen Intensivbetten zu niedrig angesetzt.
Die Kalkulation der Krankenhäuser liegt bei 85.000 Euro je zusätzlichem Bett. Die Differenz wäre nur aufzufangen, wenn der Minister klarstellte, dass die Investitionen von Bund und Ländern kostenlos zur Verfügung gestellt würden.
Schon am Samstagabend reagierte Minister Spahn auf die Kritik: „Die Krankenhäuser verdienen in dieser Zeit bestmögliche Unterstützung“, twitterte er. Die Kritik „nehmen wir ernst und haben soeben in einer Schalte mit den Gesundheitsministern der Länder einmütig mehrere Änderungen vereinbart“, so Spahn. Der Entwurf wurde schließlich im Laufe des Sonntags nachgebessert.
Krankenkassen: „Klares Signal“
Eine andere Sicht auf den Gesetzentwurf haben am Samstag Vertreter des GKV-Spitzenverbandes eingenommen.
„Der Bundesgesundheitsminister setzt mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das klare Signal, dass den Kliniken im Kampf gegen die Corona-Epidemie ein umfassender Rettungsschirm aufgespannt werden soll“, erklärte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand des Spitzenverbandes, am späten Samstagnachmittag.
Die Kliniken müssten mit der erforderlichen Liquidität versorgt werden, damit sie leisten könnten, was medizinisch notwendig sei. Die gesetzliche Krankenversicherung stehe dafür ein, dass die Kliniken die Finanzmittel erhielten, die sie für die Behandlung der Corona-Patienten bräuchten.
Minister erhält mehr Macht
Der Gesetzentwurf enthält auch eine befristete Verordnungsermächtigung für den Gesundheitsminister. Sie erstreckt sich auf die Regelungen für die Pflege und soll im „Sinne einer flexiblen Handhabung“ vor allem dem Schutz der Pflegebedürftigen und der sie versorgenden Pflegekräfte dienen.
Das Gesetz soll unmittelbar nach Verabschiedung in Kraft treten. In der kommenden Woche kommt das Bundeskabinett außerplanmäßig bereits am Montag zusammen. Das Ausgleichsgesetz soll mit weiteren Hilfs- und Schutzgesetzen bereits in der kommenden Woche verabschiedet werden.