Kassenfinanzen
Kommt die Praxisgebühr zurück?
Die Corona-Pandemie sorgt für Druck auf die Kassenfinanzen. Ein führender Gesundheitspolitiker bringt die Praxisgebühr ins Spiel – und fordert, dass Kassen ein Mitspracherecht in der Klinikplanung erhalten.
Veröffentlicht:Berlin. Die Pandemie setzt die Kassenfinanzen weit oben auf die Agenda der Gesundheitspolitik der kommenden Legislaturperiode. Das neuartige Coronavirus und seine Mutationen sorgen für Druck auf den Gesundheitsfonds, zusätzlich zur mit der Alterung der Gesellschaft aufwachsenden Morbidität, anstehenden Strukturreformen und den wachsenden Kosten für therapeutische Innovationen.
„Wir werden die Frage der Finanzierung stellen müssen“, kündigte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Erwin Rüddel (CDU), bei der 23. „Plattform Gesundheit“ des IKK e. V. an.
Rüddel erinnert an Praxisgebühr
Einige Entscheidungen der vergangenen Jahre gehörten auf den Prüfstand, betonte Rüddel. Dazu zähle die Abschaffung der Praxisgebühr, die als Ankerpunkt für mehr Selbstbeteiligung hätte ausgebaut werden können. Die Menschen im Land müssten mehr Eigenverantwortung tragen. Das bedeute, dass sie in die Finanzierung des Systems einbezogen werden müssten.
„Wir müssen über Kostendämpfungsinstrumente sprechen“, sagte Rüddel. Gleichzeitig legte er ein dickes Brett auf den Tisch. Da die Länder ihrer Verpflichtung zur Investitionskostenfinanzierung nicht nachkämen, sollten die Kassen hier stärker einsteigen dürfen und dafür ein Mitspracherecht in der Krankenhausplanung bekommen.
„Im nächsten Jahr müssen wir den Zuschuss in den Gesundheitsfonds erheblich erhöhen“, sagte der SPD-Gesundheitspolitiker Dr. Edgar Franke. Im laufenden Jahr steuert der Bund weitere fünf Milliarden Euro zu den regulären 14,5 Milliarden Euro Zuschuss bei. Den zusätzlichen Zugriff des Bundes auf rund acht Milliarden Euro aus den Reserven der Kassen bezeichnete Franke als „kritisch“. Die Kassen hätten bluten müssen.
Kliniken ohne Notfallkapazitäten? Bitte umwandeln!
Strukturreformen im Gesundheitswesen mahnte der stellvertretende Vorsitzende der IKK Classic, Kai Swoboda an. Dazu gehörten Spezialisierung, Konzentration und Kooperation. Nicht jede Klinik müsse alles machen können. Der „Zentrengedanke“ müsse stärker gelebt und die ambulanten Strukturen eingebunden werden. Kliniken auf dem Land ohne Notfallkapazitäten sollten sich zu Integrierten Versorgungszentren umwandeln, in denen Hausärzte, Therapeuten, Pflegefachkräfte mitarbeiteten.
Gleichzeitig müssten – als Lehre aus der Pandemie – zusätzliche Versorgungskapazitäten zum Beispiel in der Intensivmedizin vorgehalten und finanziert werden. Bei geschätzt etwa sechs Milliarden Euro Kosten für eine Woche Lockdown, seien ein paar Milliarden Euro im Gesundheitswesen dafür sicherlich gut angelegt.
Strukturelle Defizite in der Krisenbewältigung sprach der Vorstandsvorsitzende des IKK e.V., Hans- Jürgen Müller an. Die Verantwortlichkeiten seien Bund und Ländern nicht ausreichend eindeutig zugeordnet.
Schwächen gebe es zudem beim Öffentlichen Gesundheitsdienst und in der Digitalisierung der Versorgung. „Oft hatte und hat es den Anschein, als stünden eher vage Hoffnungen und ein blinder Aktionismus hinter den Maßnahmen als tatsächliche Gewissheit, welche Maßnahme welche Wirkung erzeugen kann und soll“, sagte Müller in Richtung Politik.