Tropeninfektionen

Kraftvoller Schulterschluss zeitigt Erfolge im Kampf gegen die Krankheiten der Armen

Die WHO zieht bei ihrem Gipfel in Genf eine positive Zwischenbilanz der 2012 verabschiedeten "London Declaration" zur Ausrottung und Eindämmung von zehn vernachlässigten Tropenkrankheiten. Es sind mehr als nur Trippelschritte erfolgt.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Trypanosomen in Durchlichtmikroskopie-Aufnahme (links) und in der Fluoreszenzmikroskopie (rechts). Rot angefärbt sind die Glykosomen, gegen die sich der Wirkstoff richtet, blau angefärbt die Parasiten-DNA.

Trypanosomen in Durchlichtmikroskopie-Aufnahme (links) und in der Fluoreszenzmikroskopie (rechts). Rot angefärbt sind die Glykosomen, gegen die sich der Wirkstoff richtet, blau angefärbt die Parasiten-DNA.

© R. Erdmann/V. Kalel, Ruhr-Universität Bochum

Die Zahl der Menschen, die gegen Bilharziose (Schistosomiasis) und weitere neun vernachlässigte Tropenkrankheiten (neglected tropical diseases/NTD) behandelt werden müssen, ist binnen fünf Jahren um 20 Prozent auf 1,6 Milliarden im Jahr 2015 gesunken. Diese positive Zwischenbilanz der vor fünf Jahren verabschiedeten "London Declaration on Neglected Tropical Diseases" zog WHO-Generaldirektorin Dr. Margaret Chan jetzt in Genf anlässlich eines hochrangig besetzten NTD-Gipfels der Weltgesundheitsorganisation. "Die WHO hat rekordverdächtige Fortschritte beobachtet, um alte Geißeln wie die Schlafkrankheit und Elephantiasis in die Knie zu zwingen", verdeutlichte Chan.

Am 30. Januar 2012 hat sich ein Bündnis aus forschenden Pharmaunternehmen, Hilfsorganisationen, mehreren Staatsregierungen sowie der Weltbank unter dem Dach der Uniting to Combat Neglected Tropical Diseases Coalition mit der Verabschiedung der London Declaration bis 2020 der Ausrottung oder Eindämmung von zehn NTD verpflichtet. Konkret handelt es sich dabei um die afrikanische Trypanosomiasis (Schlafkrankheit), die Chagas-Krankheit (südamerikanische Trypanosomiasis), die viszerale Leishmaniose, Lepra, die Bilharziose (Schistosomiasis), die chronische Infektion mit bodenübertragenen Helminthen, das Trachom, die Onchozerkose, die lymphatische Filariose und Onchozerkose (Guineawurmbefall) sowie die Elephantiasis.

Bei Schlafkrankheit fast am Ziel

Die Pharmafirmen versprachen, unter anderem Arzneimittel für rund 14 Milliarden Behandlungen zu spenden. 2015 erhielten fast eine Milliarde Menschen eine von Pharmaunternehmen gespendete Behandlung für mindestens eine NTD – eine Steigerung von 36 Prozent gegenüber 2012. Zudem solle die NTD-Arzneiforschung intensiviert werden. Ein Beispiel für das Einlösen letzteren Versprechens ist der Wirkstoff L-Praziquantel, der bei Kindern zur Behandlung von Bilharziose angewendet werden soll. Regierungen und private Spender verpflichten sich auf dem fünftägigen Gipfeltreffen in Genf, 812 Millionen US Dollar zu spenden.

Für die Weltgesundheit bedeutet die London Declaration, dass hochnoble Verpflichtungserklärungen keineswegs immer nur Lippenbekenntnisse sein müssen. Im Gegenteil: Hier handelt es sich um einen kraftvollen Schulterschluss, bei dem Ethik Vorrang vor Monetik hat – auch wenn Pharmaunternehmen bei bestimmten institutionellen Investoren und anderen potenziellen Aktionären mit ihrem Engagement unter dem Schlagwort CSR (Corporate Social Responsibility) punkten können.

Ein Teilziel, bei dem die Zielerreichung der Vertragspartner zum Greifen nahe liegt, ist die Schlafkrankheit. Diese könnte, wie es heißt, bis 2020 als öffentliches Gesundheitsproblem eliminiert werden, wenn sich die heutigen Fortschritte weiter fortsetzten. 2015 seien weltweit nur 3000 Fälle berichtet worden – 2009 waren es noch 10.000 Fälle, 1998 sogar fast 40.000. Die Zahl der Menschen mit einem hohen oder sehr hohen Risiko, an der Schlafkrankheit zu erkranken, habe sich von 6,3 Millionen in den Jahren 2000 bis 2004 auf 1,2 Millionen in den Jahren 2010 bis 2014 reduziert. Das Engagement der Pharmaindustrie: Bayer spendet Suramin, Sanofi Eflornithin, Melarsoprol und Pentamidin.

Immer mehr Staaten sind sensibilisiert

Der NTD-Gipfel dient auch der öffentlichkeitswirksamen Sensibilisierung der betroffenen Staaten, deren medizinische Versorgungsinfrastrukturen unter teils nepotistischen und kleptokratischen Regierungen oft mit eklatanten Defiziten zu kämpfen haben. Denn ein starkes politisches Engagement in diesen Ländern ist entscheidend für die Erreichung von und die Erhaltung von bereits erzielten Fortschritten bei den NTD, vor allem angesichts der wechselnden Konjunkturlagen und konkurrierender Prioritäten im Gesundheitswesen. Trotz dieser Herausforderungen steigern einige Länder die Finanzierung von NTD-Programmen und integrieren sie in die nationalen Gesundheitssysteme.

Unter anderem hat Äthiopien, so die WHO, erhebliche Fortschritte bei der Bekämpfung des Trachoms erzielt. Dessen Bekämpfung sei als Ziel in den nationalen Gesundheitsplan einbezogen und dafür erhebliche Gelder bereitgestellt worden. Das Land nehme auch am Globalen Trachom Mapping-Projekt teil, das vom Trachom betroffene Gebiete ausweist, und bilde Chirurgen aus, Augenlid-Op durchzuführen, mit denen das Trachom behandelt werden kann. "Äthiopien hat sich ganz der Realisierung der ehrgeizigen, jedoch zu erreichbaren Eliminierungsziele des Trachoms und anderer NTD durch ein proaktives Koordinierungsprogramm verschrieben," verdeutlicht Äthiopiens Gesundheitsminister Yifru Berhan Mitke. Ein direkter zusätzlicher Finanzzuschuss von der Regierung für NTD in Höhe von drei Millionen US Dollar bis 2016, sei ein großer Schritt vorwärts, um die Krankheitslast und das Stigma zu verringern, wie er betont. Äthiopien gilt in dieser Hinsicht allerdings als afrikanischer Musterknabe – andere Länder auf dem Schwarzen Kontinent sind davon weit entfernt.Äthiopien will auch seine hohe Abhängigkeit von Pharma- und Medizintechnikimporten reduzueren. Binnen der nächsten zwei Jahre soll ein Industriepark für Pharmaunternehmen und Medizintechnikhersteller etabliert werden, um ausländische Unternehmen anzusiedeln.

Sollte das Tempo in puncto NTD-Eliminierung aufrechterhalten werden, so sind in fünf Jahren in Genf sicher weitere Erfolge zu feiern – kann die London Declaration als Blaupause zur Bewältigung anderer globaler Gesundheitsbaustellen dienen.

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