Der Weg zu stabilen Finanzen
Krankenkassen zeigen Lauterbach drei Stellschrauben
Angesichts der Milliarden-Defizite hat die Gesetzliche Krankenversicherung ein Konzept erarbeitet, wie sich die Finanzlage stabilisieren ließe. Für die ärztlichen Honorare könnte es aus Sicht der Kassen die nächsten Jahre „spannend“ werden.
Veröffentlicht:Sommerfeld bei Berlin. Die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) sind nach vorläufigen Rechnungsergebnissen 2021 im Vergleich zu 2020 um 5,6 Prozent gestiegen, vor allem wegen deutlicher Zunahmen bei den Arzneimittelverordnungen (plus 7,7 Prozent).
Die Einnahmeseite hielt damit nicht ganz Schritt: Die Veränderungsrate je Versichertem stieg um 4,8 Prozent. Insgesamt schloss die GKV das Jahr 2021 mit einem Minus von 4,38 Milliarden Euro ab.
Die Rücklagen der Krankenkassen schrumpften auch wegen gesetzlicher Vorgaben erneut – von 7,9 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf 5,3 Milliarden Euro 2021. Mit insgesamt 11 Milliarden Euro lag das Vermögen der Krankenkassen weit unter der GKV-Monatsausgabe (2021: 23,7 Milliarden Euro), die für die Höhe der Reserven relevant ist.
„Wenn wir einen Monat keine Einnahme hätten, wären die Reserven weg“, sagte Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes (GKV-SV), auf einem Presseseminar am Mittwoch.
Ampel muss tätig werden
Für 2023 sehen die Aussichten bekanntlich nicht rosiger aus, ein Finanzloch von 17 Milliarden Euro ist vorausgesagt. Bundesgesundheitsministerium und Bundesregierung müssten schnell tätig werden und ein GKV-Finanzstabilisierungsgesetz vorlegen, mahnte Pfeiffer. Sonst müsse die Lücke durch höhere Zusatzbeiträge abgedeckt werden. Das bedeute nach aktuellem Stand immerhin eine Erhöhung des individuellen Beitragssatzes um 1,1 Prozentpunkte.
Statt einmaliger Zuschüsse des Bundes sollte der Gesetzgeber die regelhafte Finanzierung der GKV so gestalten, dass die Auftragsleistungen, welche die Kassen im staatlichen Auftrag erbringen, solide refinanziert werden.
Nach Ansicht des GKV-SV reichen bereits drei Maßnahmen aus, um eine Stabilisierung der Finanzen zu erreichen. Dazu zählt der Verband die Absenkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf sieben Prozent, die Dynamisierung des Bundeszuschusses als Ausgleich für die versicherungsfremden Leistungen sowie die Erhöhung der Beitragspauschalen für ALG II-Empfänger auf ein kostendeckendes Niveau.
16 Milliarden Euro Sparpotenzial
Mit der Senkung der Mehrwertsteuer ließen sich sechs Milliarden Euro pro Jahr einsparen, so Pfeiffer. Die Anhebung der Beitragspauschalen bei ALG-Beziehern bringe Entlastung von zehn Milliarden Euro. Werden die Forderungen umgesetzt, „müssten wir keine Beiträge erhöhen“, so Pfeiffer. Der politische Wille für eine Lösung müsse vorhanden sein, „sonst läuft es voll in die Beitragserhöhung“.
Hinsichtlich der Dynamisierung des Zuschusses und der Anhebung der Beitragspauschalen für Langzeitarbeitslose müsste der politische Wille vorhanden sein, sie stehen im Koalitionsvertrag. Bei der Absenkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel habe es in der Vergangenheit stets einen breiten Schulterschluss gegeben, sagte Pfeiffer.
Vorläufige Finanzdaten
1. Quartal 2022: AOKen im Plus, Ersatzkassen im Minus
Blick auf Honorarsteigerungen
Darüber hinaus, betonte Pfeiffer, müsse langfristig bei den Ausgaben „viel stärker“ auf den tatsächlichen Bedarf, die Qualität und Effizienz bei den Leistungserbringern geachtet werden. „Überall soll gespart werden“, fasste sie die Devise der nächsten Zeit zusammen.
Die spannende Frage werde sein, wie der für die EBM-Vergütung relevante Orientierungswert und „die ärztliche Vergütung der nächsten Jahre aussehen“ werden. Honorarsteigerungen seien darauf zu überprüfen, ob sie die Versorgung verbessern.
Nicht mehr viel zu holen
Wie das absehbare Finanzloch in der GKV 2023 gestopft werden soll, fragen sich auch Kassenmanager. Der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zapfte die Rücklagen der Kassen an – diese mussten acht Milliarden Euro an den Gesundheitsfonds abführen.
Sein Nachfolger, Professor Karl Lauterbach (SPD), könnte mit einer Wiederholung dieses Schritts nur noch wenig Sanierungsmasse für die GKV heben. Nach Berechnungen des Kassendienstleisters Bitmarck würde das erneute Rasieren der Kassen-Rücklagen nur etwa zwei Milliarden Euro erbringen. Unterstellt ist dabei, dass zwei Drittel des Vermögens, das über 40 Prozent einer Monatsausgabe hinausgeht, abgeführt werden muss.
Auf die Ortskassen würden dabei etwa 830 Millionen, auf die Ersatzkassen rund 780 Millionen Euro entfallen. Die Betriebskassen müssten etwa 308 Millionen Euro aufbringen, die Innungskassen 30 Millionen Euro. Das sei angesichts der Größe des Finanzlochs ein „Tropfen auf den heißen Stein“, so die Bitmarck-Autoren.
Soll auch 2023 der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz bei 1,3 Prozent bleiben, dann entstünde nach Berechnungen der Autoren im Gesundheitsfonds ein Defizit von etwa 24 Milliarden Euro – es sei denn, es wird massiv gespart. Wenn das Loch allein von GKV-Mitgliedern finanziert werden soll, ergäbe sich rechnerisch ein durchschnittlicher Zusatzbeitrag von 2,75 Prozent. (fst)