Aufregung um Arzt
Mammografie-Pfusch im Ruhrgebiet?
Ein Essener Radiologe soll jahrelang das Mammografie-Screening einer Region geleitet haben, ohne über die notwendige Qualifikation zu verfügen. Tausende Frauen wurden dort untersucht - es könnte zu folgenschweren Fehldiagnosen gekommen sein.
Veröffentlicht:KÖLN. Heftige Vorwürfe gegen einen Radiologen in Essen: Er soll jahrelang als programmverantwortlicher Arzt für das Mammografie-Screening in der Region Oberhausen/ Essen/Mülheim an der Ruhr tätig gewesen sein, obwohl ihm die notwendige Qualifikation fehlte.
Die Bedenken gegen die Arbeit des Mannes waren schon länger bekannt, dennoch war er bis Herbst 2013 in der Funktion tätig.
Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung, des NDR und des WDR konnte der Radiologe die jährlich geforderten 50 Biopsien nicht nachweisen. Die Berichte nennen Beispiele von Frauen, die von dem Arzt falsche Befunde erhalten haben sollen.
Zumindest eine Frau hat ihn inzwischen wegen Körperverletzung angezeigt - bei ihr hatte er ein Karzinom nicht erkannt. Rund 30.000 Frauen werden jährlich in der Screening-Einheit untersucht.
KV: "Haben Handlungsrahmen ausgeschöpft"
Dem zuständigen Referenzzentrum Mammografie Münster waren die Mängel bekannt, sie hat die KV Nordrhein (KVNo) darüber informiert. Der KVNo-Vorsitzende Dr. Peter Potthoff weist Vorwürfe zurück, die KV sei zu lax mit dem Thema umgegangen. "Wir haben unseren Handlungsrahmen maximal ausgeschöpft", sagt Potthoff.
Bereits 2010 habe die KV versucht, dem Radiologen wegen Qualitätsmängeln die Zulassung und die Lizenz für das Screening zu entziehen. Dagegen hat der Arzt vor dem Sozialgericht geklagt - mit aufschiebender Wirkung.
Die Situation habe sich 2013 geändert, als die Kooperationsgemeinschaft Mammografie dem Arzt die Rezertifizierung verweigert hatte. "Da haben wir den Sofortvollzug angeordnet", berichtet Potthoff.
Dem habe das Gericht zugestimmt. Der bisherige Stellvertreter ist jetzt der programmverantwortliche Arzt. Der Radiologe ist weiterhin niedergelassen in Essen tätig.
Der betroffene Mediziner war für die "Ärzte Zeitung" nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Laut Medienberichten bestreitet er aber die Vorwürfe. Danach beschuldigt er Konkurrenten als Drahtzieher, weil sie selbst gern im Mammografie-Screening aktiv sein wollten.
Die Kooperationsgemeinschaft Mammografie sah sich bislang nicht in der Lage, auf die Fragen der "Ärzte Zeitung" zu antworten. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte der Gemeinschaft mangelnde Transparenz vorgeworfen.
Ärzte wollen Imageschaden vorbeugen
Unterdessen warnen Frauenärzte davor, dass das Mammografie-Screening wegen der Vorwürfe gegen den Essener Radiologen in Verruf gerät. "Man darf das Screening nicht in Frage stellen", betont Dr. Peter Hausser vom Vorstand des Berufsverbands der Frauenärzte.
Die Tatsache, dass dem Essener Radiologen wegen Qualitätsmängeln die Rezertifizierung als programmverantwortlicher Arzt für die Region Oberhausen/Essen/Mülheim an der Ruhr verweigert wurde, zeige, dass die Qualitätssicherung greife.
"Es wird sich nie ganz verhindern lassen, dass es Fehlleistungen gibt", sagt Hausser, der selbst programmverantwortlicher Arzt in Bayreuth ist.
Wenn Frauen durch die Vorgänge in Essen jetzt davon abgehalten würden, an dem Screening teilzunehmen, könnte das negative Folgen für sie haben, warnt er.
Auch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein verweist darauf, dass das Mammografie-Screening höchsten Qualitätsanforderungen unterliege. "Es gibt kaum ein Programm in der Medizin, das so intensiv begleitet und qualitätsgesichert ist", heißt es in einer Erklärung.
Abläufe sind streng geregelt
Neben der apparativen und räumlichen Ausstattung und der fachlichen Qualifikation des Personals seien auch die Abläufe streng geregelt. "So ist vorgeschrieben, dass jede Röntgenaufnahme zum Beispiel von zwei Ärzten unabhängig voneinander beurteilt wird."
Trotz aller Klarstellungen wird sich eine Verunsicherung der Öffentlichkeit und der Frauen, die am Screening teilnehmen sollen, nicht vermeiden lassen.
Auch wenn die Dimensionen nicht vergleichbar sind, könnten ungute Erinnerungen wach werden. Schließlich stand die Stadt Essen schon einmal im Mittelpunkt eines "Brustkrebs-Skandals": In den 1990er Jahren und Anfang dieses Jahrhunderts hatte der Fall des Essener Pathologen Dr. Josef Kemnitz für Aufsehen gesorgt.
Er hatte in großem Umfang falsche Brustkrebs-Diagnosen gestellt. Viele Frauen waren deshalb unnötigerweise operiert worden. Da Kemnitz bei einem Feuer in seinem Labor ums Leben gekommen ist, konnten seine Motive nicht geklärt werden.
Im nordrheinischen Gesundheitswesen gilt Essen als "umkämpfte Region". Das betreffe auch das Mammografie-Screening, an dem mehrere Einrichtungen Interesse hätten, heißt es. "Weil die Essener Kliniken miteinander im Clinch liegen, gibt es bis heute in der Stadt kein Brustzentrum", sagt ein Insider.