Mehr psychisch Kranke, zu wenig Plätze

Es gibt zu wenige Behandlungsplätze für psychisch kranke Menschen, warnen Psychotherapeuten. Doch nach Ansicht der Kassen sind die meisten Gebiete überversorgt.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Jedes Jahr werden fünf Millionen Deutsche psychisch krank.

Jedes Jahr werden fünf Millionen Deutsche psychisch krank.

© dundanim / fotolia.com

BERLIN. Jedes Jahr werden etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland psychisch krank. Dem stehen 1,5 Millionen psychotherapeutische Behandlungsplätze gegenüber.

Viel zu wenig, warnt die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und drängt darauf, die Bedarfsplanung für Psychotherapeuten zu reformieren.

Diese soll nach Ansicht der BPtK sektorübergeifend organisiert werden und den zunehmenden Bedarf der psychotherapeutischen Behandlungen berücksichtigen.

"Die aktuelle ambulante Bedarfsplanung unterschätzt den Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungsplätzen erheblich", warnt BPtK-Präsident Professor Rainer Richter.

Die Menschen hätten heute nicht mehr "die Krankheiten von früher", sondern litten "weit stärker an psychosozialen Belastungen". Die heutige Bedarfsplanung sei jedoch "blind für diese Veränderungen", kritisiert Richter.

Nach wie vor gilt die Bedarfsplanung aus dem Jahr 1999. Zu diesem Zeitpunkt trat das Psychotherapeutengesetz in Kraft. "Die anfängliche Zahl an Psychotherapeuten erwies sich schnell als völlig unzureichend, um die wachsende Nachfrage nach psychotherapeutischen Behandlungsplätzen zu decken", betont Richter.

Besonders kritisiert die BPtK das "eklatante Gefälle" zwischen Stadt und Land. Wer in der Großstadt wohnt, ist nach Ansicht der BPtK, noch "vergleichsweise gut versorgt". Dort stehen knapp 40 Psychotherapeuten für 100.000 Einwohner zur Verfügung.

"Der versorgungspolitische Skandal beginnt unterhalb der großstädtischen Planungsbezirke", so Richter. Schon in kleineren und mittleren Städten genügen nach der bisherigen Bedarfsplanung zehn Psychotherapeuten.

In Düsseldorf hingegen können sich 40 Psychotherapeuten niederlassen. "Das ist sachlich nicht begründbar", kritisiert der BPtK-Chef.

Ländliche Regionen sind nach Ansicht der BPtK sogar "psychotherapeutisches Notstandsgebiet". Dort gelten vier Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner als ausreichend.

Nach Ansicht des GKV-Spitzenverbandes entbehrt es "jeder Grundlage bei der psychotherapeutischen Versorgung von einer Mangelversorgung zu sprechen".

98,7 Prozent aller Planungsbereiche seien überversorgt - zum Teil sogar wie in Tübingen, Starnberg und Göttingen mit Versorgungsgraden von mehr als 400 Prozent.

"Damit zeigt sich, dass man insgesamt wohl kaum von einem Mengenproblem sprechen kann", sagte der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz, der "Ärzte Zeitung".

Lesen Sie dazu auch: Zu lange Wartezeiten für psychisch Kranke

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Kommentare
Dr. Jürgen Schmidt 12.02.201122:48 Uhr

Olle Kamellen ! Aber lehrreich !

Ob noch mehr altgediente Kollegen den Finger in die Wunde legen?
Helfen wir ein wenig nach !
Als es vor 13 Jahren um die Zulassung der Psychotherapeuten zur Regelversorgung ging, haben sich die Ärzte so dämlich angestellt, wie es nur eben geht, die KBV-Spitze (Schorre) war dafür ( weil es ohnehin nicht zu verhindern war), um im Gegenzug die zusätzlich erforderlichen Honorare politisch zugesichert zu bekommen, seine KBV-VV war dagegen
(aus Selbstüberschätzung und Prinzip), weshalb es die Aufstockung des Honorartopfes dann nicht in erforderlicher Höhe gegeben hat, die BÄK war dafür, weil sie ebenfalls nicht glaubte, die Entwicklung stoppen zu können, Ihren Beschluss dafür jedoch mit Auflagen verbrämte, die in letzter Minute in die Stellungnahme hinein gedrückt worden waren und die eine (eigentlich selbstverständliche) Notwendigkeit zur Kooperation mit den Vertragsärzten betraf.
Der Bundesminister für Gesundheit antwortete - auf dem Jahresempfang der Ärzteschaft und beim Bier - auf die Frage eines schlitzohrigen, aber eben sehr intelligenten (Ach, wie vermisse ich diese Typen!) Länder-KV-Chefs, " Herr Minister, wozu brauchen wir eigentlich die Psychotherapeuten ?" : "A bissel woas müssen''s schoa mit dem Zeitgeist gehen !"
Ja so war''s eben und so kam es, dass dann weit mehr Psychotherapeuten zugelassen worden sind, als benötigt!
Die Psychiater haben die Entwicklung von Anfang an skeptisch gesehen und als Internist bitte ich schamhaft um Nachsicht für meine Fachkollegen und zugleich die Hausärzte, die sich - wer weiß was - von ihrer indifferenten Haltung in dieser Frage versprochen und das Feld nicht besetzt hatten.

Dr. Dieter Wettig 11.02.201110:41 Uhr

PT Honorar einfrieren !

Die BPtK drängt auf kürzere Wartzeiten für psychisch Kranke. Das Angebot an Behandlungsplätzen müsse deshalb wachsen. 5 Mio. psychisch Erkrankten stünden nur 1,5 Mio. psychotherapeutische Behandlungsplätze gegenüber. Nach Ansicht der Kassen aber seien die meisten Gebiete übersorgt.

Tatsächlich gibt es aber keinen Beweis, daß psychische Erkrankungen in Deutschland zugenommen haben (1). Zugenommen haben nur Psycho-Diagnosen z. B. auf Krankmeldungen ("Somatisierungsstörung" statt "Kreuzschmerz"). Zugenommen haben aber auch die Vertragstherapeuten seit 1999, nämlich um das über Dreifache, ohne daß man eine Abnahme der psychischen Erkrankungen oder gar Heilungen beobachten konnte, selbst in zu 400% überversorgten Gebieten wie Tübingen oder Göttingen nicht.

Psychotherapeuten schaffen sich ihren Bedarf nämlich selbst: Heerscharen von Menschen werden über 25 bis 100 Stunden behandelt wegen "Depressiver Episode" (die nach 1 oder 2 Jahren auch von selbst verschwindet), "Anpassungsstörung" (die man jedem anhängen kann, z. B. wegen Liebeskummer, Streß auf der Arbeit oder in der Familie oder Trauer).

Krakenhaft infiltrieren Sie jede menschliche Regung und erklären sie zum psychischen Problem, das behandelt werden muss. Damit professionalisieren sie das Gefühls- und Seelenleben und suggerieren, daß nur sie Abhilfe schaffen könnten. Altbewährte Maßnahmen wie Gespräche mit den Eltern, Freunden oder Kollegen werden auch deshalb vernachlässigt. Auch natürliche Methoden wie Spaziergänge im Grünen und in der Sonne geraten als Selbsthilfemittel in Vergessenheit, genau wie Ausdauertraining (2), Verzicht auf Alkohol und Nikotin. Hausärzte, die an der Basis am besten helfen und beraten könnten, bekommen dafür nur noch 80 Cent pro Kopf pro Quartal (Psychosomatische Grundversorgung), denn das Geld fließt jetzt zu den Therapeuten.

Gegen keine der Big Five hat die Psychotherapie etwas Erwähnenswertes ausgerichtet: Adipositas, Substanzmißbrauch, Demenz, schwere Depression, chronische Schmerzen.

Bleibt noch festzuhalten, daß Therapeuten mit Ärzten nur ungern kommunizieren: Keiner hat jemals bei mir Befunde angefordert, 90% schreiben keinen Arztbrief.

Fazit: Kassen-Honorar für Therapeuten einfrieren !

Dr. med. Dieter Wettig - Facharzt für Allgemeinmedizin
Erlkönigweg 8 - 65199 Wiesbaden-Dotzheim
www.wettig.de


1. Nehmen psychiatrische Störungen zu? Eine systematische Literaturübersicht. Psychiatrische Praxis 2008; 35 (7): S. 321-330

2. Mit körperlichem Training lassen sich Angstsymptome eindämmen: Bei der Betrachtung der Sportdauer schnitten Übungszeiten von mindestens 30 Minuten am besten ab. Diese nicht-pharmakologische Behandlung eignet sich auch besonders für Patienten, die Medikamente ablehnen. [Matthew P Herring et al., Arch Int Med 2010; 170: 321-31, zitiert nach Medical Tribune, 12. März 2010, S. 6]

Rüdiger Saßmannshausen 10.02.201118:43 Uhr

Das - und noch viel mehr!

Es ist bald müßig, sich immer wieder mit den ansprüchlichen Vorstellungen der Bundeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten auseinander setzen zu müssen: Es wird bewusst suggeriert, es bräuchte jeder nur irgendwie psychisch Kranke den Psychotherapeuten. Gerne wird auf dem gesellschaftlichen Mainstream gesurft. Was aber, wenn die Kammer mehr auf die Behandlungsqualität ihrer Mitglieder schaute. Endlosbehandlungen, Anwendung krankheitsungeeigneter Therapieverfahren, Frisieren (Upgrading) von Befindlichkeitsstörungen zu abrechenbaren Diagnosen, Geringschätzung von Kurzzeitintervention, Verweigerung einer Notfallsprechstunde, mangelnde Begrenzung auf das Notwendige etc. stehen dann auf der Tagesordnung. Wie viele Therapieplätze können also schon alleine durch Behebung dieser Missstände geschaffen werden! Dann bräuchten keine älteren Patienten abgelehnt, keine „schwierigen“ Patienten abgewimmelt werden. Dann werden die wirklich Kranken behandelt und nicht mehr so viele Beinah-Gesunde.

Rüdiger Saßmannshausen
Psychiater

Dr. Birgit Bauer 10.02.201113:44 Uhr

Für echte Prävention !

Warum stellt keiner die Frage warum in Deutschland soviele Menschen psychisch krank und dem Alltag nicht mehr gewachsen sind ?
Hier sollten sich die politischen Strukturen zuerst selbst in die Pflicht
nehmen. Permanent neue Gesetzte , die für einen "Normalbürger" nicht mehr verständlich sind, ein ständiges Hin und Her in den Regularien.Immer mehr Menschen fühlen sich völlig überfordert , sind verunsichert und den undurchschaubaren Alltagswust ausgeliefert. Die zwingende logische Folge, mehr psychisch Kranke !!!
Ergo- die deutschen Verwaltungsstrukturen müssen sich ändern und die Bürger wieder zu einem Miteinander finden.

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