Masse statt Klasse?
Ministerpräsidenten gegen Klinikschließungen
Wird 2020 das Jahr der Klinikreformen? Das Brett ist dick und die Ministerpräsidenten der Bundesländer bringen sich schon in Stellung: Sie sehen kaum Reformbedarf. Ganz anders als zahlreiche Experten.
Veröffentlicht:Berlin. In der Debatte um die Zukunft kleinerer Krankenhäuser sehen einige Länder nur bedingten Bedarf für Schließungen zugunsten spezialisierterer Kliniken. In Gesprächen mit der Nachrichtenagentur dpa hoben mehrere Ministerpräsidenten die Bedeutung einer guten Versorgung in der Fläche hervor.
„Wir wollen ganz bewusst in unserem großen Flächenland ein dezentrales Krankenhausangebot aufrechterhalten“, sagte etwa Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD).
Es gebe ein tiefes Bedürfnis nach guter medizinischer Versorgung in erreichbarer Nähe. Es brauche aber zukunftsfähige Konzepte, nicht jeder Standort sei optimal.
Auch BÄK-Chef Reinhardt für „Bereinigung“
Zahlreiche Experten, Gesundheitspolitiker und Ökonomen plädieren dafür, kleinere Kliniken zu größeren zusammenzulegen und stärker auf Spezialisierung zu setzen. Auch der Sachverständigenrat Gesundheit hatte wiederholt vorgeschlagen, Überkapazitäten im Kliniksektor abzubauen.
Für Wirbel hatte im Sommer eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung gesorgt: Statt knapp 1400 Kliniken bundesweit reichten deutlich unter 600 Krankenhäuser aus, hieß es dort.
Das rief massive Kritik bei Ärzten und Kliniken hervor. Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) Dr. Klaus Reinhardt forderte kürzlich aber auch eine „Bereinigung der Kliniklandschaft“, in Ballungsgebieten gebe es zu viele Standorte.
„Der Hinweis auf abstrakte Statistiken kann nicht das tiefsitzende Bedürfnis der Menschen ersetzen, für alle Fälle in der Nähe ein Krankenhaus zu haben“, sagte der niedersächsische Ministerpräsident Weil.
Sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Armin Laschet (CDU) sagte, er wolle „eine Krankenhauslandschaft, in der alle Patienten innerhalb von 30 Minuten ein Krankenhaus erreichen“.
Tendenziell gebe es aber eine Überversorgung in den Ballungsgebieten und eine Unterversorgung auf dem Land. Gleichzeitig gebe es Doppelangebote. Deshalb seien Konzentrationsprozesse und Spezialisierungen nötig.
Ramelow für stärkere Spezialisierung
Die Regierungschefin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), verwies auf den Anspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse: Das heiße, „dass die Grundversorgung in der Fläche gewährleistet werden muss, auch in der Krankenhausversorgung.“ Es gehe um die Grundversorgung auf dem Land, nicht um hoch spezialisierte Leistungen.
Das sieht Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) aus dem nördlichsten Bundesland ähnlich. „In einem Flächenland wie Schleswig-Holstein haben wir ein großes Interesse daran, dass es in allen Teilen des Landes Klinikstandorte gibt“, sagte er.
„Es gab im Land ja bereits Schließungen einzelner Stationen, weil schlicht nicht genügend Personal da war“, so Weil. Deshalb müsse die Klinikstruktur überprüft werden.
In Thüringen hält Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) eine stärkere Spezialisierung der Krankenhäuser für angezeigt. „Die Landesregierung befürwortet eine flächendeckende Krankenhausversorgung mit spezialisierten Zentren mit hoher Fachkompetenz“, sagte er.
Eine stärkere Spezialisierung bedeute jedoch nicht, dass Krankenhäuser schließen müssten. Sie seien gerade in ländlichen Regionen notwendig zur Absicherung einer ortsnahen Versorgung.
„Zugleich wollen wir das Modell der für Hausbesuche qualifizierten Gemeindeschwester stärken, mit dem gerade im ländlichen Raum die ärztliche Versorgung verbessert werden kann“, so Ramelow weiter.
Söder: In Bayern alles in Ordnung
Von Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD) hieß es knapp, Pläne, Klinikstandorte zu schließen, gebe es nicht.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betont ebenfalls, die Krankenhausversorgung im Freistaat flächendeckend sei gewährleistet: „Wir wollen Spitzenmedizin auch vor Ort im ländlichen Raum. Beides ist wichtig in einem Flächenland: Spitzenmedizin und regionale Erreichbarkeit.“
In Bayern sei das erreicht worden, unter anderem mit Investitionen und einem Schutzschirm für kleine Häuser, damit diese den Transformationsprozess zu mehr Wirtschaftlichkeit schafften.
Kaum mehr Reformbedarf sieht Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). „Ich sehe Sachsen da nicht an vorderster Stelle, Veränderungen zu leisten“, sagte er. Wenn es Probleme gebe, dann nur punktuell.
„Wir haben eine Kliniklandschaft, die solide und konsolidiert ist.“ Das sei der Unterschied zu vielen anderen Ländern, in denen solche schmerzlichen Schritte nicht gegangen wurden.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) betonte, die flächendeckende Versorgung als Herzstück des Gesundheitswesens und nötige Qualitätsverbesserungen durch Spezialisierungen seien kein Widerspruch, sondern gemeinsam Grundlage für die zukunftsweisende Patientenversorgung.
Kassen könnten mehr finanzieren – wenn sie mehr mitreden können
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte, dass sich die Länderchefs gegen die Schließung kleinerer Kliniken aussprechen.
Der Erhalt von Standorten werde Geld kosten, sagte Vorstand Eugen Brysch der Nachrichtenagentur dpa. „Aber kein Wort der Ministerpräsidenten dazu, wer das zahlen soll“.
Die Länder gäben seit Jahren kaum etwas für Instandhaltung und Modernisierung aus. Es brauche endlich ein bundesweites Konzept zur Zukunft der Kliniken.
Der Chef der Barmer-Krankenkasse, Professor Christoph Straub, sprach derweil von einer „mitunter irrationalen Liebe der Bürger, der Politik und der Medien zu ihrem wohnortnahen Krankenhaus“.
Daran seien bisher alle Versuche gescheitert, Häuser ausschließlich nach hoher Versorgungsqualität und medizinischer Sinnhaftigkeit zu betreiben, schrieb Straub in einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Montag).
Der Kassenchef schlug vor, dass sich die Krankenkassen an den Investitionskosten beteiligen und im Gegenzug ein Mitspracherecht bei der Krankenhausplanung bekommen könnten. (dpa)