Missbrauch von Kindern

Missbrauchsbeauftragter nimmt Bund, Länder und Ärzte in die Pflicht

Mehr als 13 .000 Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder sind den Ermittlungsbehörden 2019 gemeldet worden. Der Missbrauchsbeauftragte Rörig warnt: Strafverschärfung allein reicht nicht, um das Problem zu lösen.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Fordert mehr Engagement gegen Kindesmissbrauch: Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig.

Fordert mehr Engagement gegen Kindesmissbrauch: Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig.

© picture alliance / Flashpic

Berlin. Bund und Länder sollen mehr gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen tun. Das hat der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, am Freitag vor Journalisten in Berlin gefordert.

Sexuelle Gewalt gegen Kinder sei keine Ausnahmeerscheinung, sagte Rörig bei der Vorstellung eines Positionspapiers seines Hauses. „Sexueller Missbrauch findet täglich, überall und mitten unter uns statt.“

Zahlen seit Jahren nicht rückläufig

Dem von Rörig vorgelegten Positionspapier zufolge wurden den Ermittlungsbehörden im vergangenen Jahr mehr als 13 .000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch gemeldet. Das seien über 35 Missbrauchsfälle am Tag, schreibt die Behörde.

Hinzu kämen mehr als 1000 Fälle sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und Jugendlichen, rund 12 .000 angezeigte Fälle von Abbildungen sexueller Gewalt an Kindern, sogenannte Kinderpornografie, und etwa 3000 Fälle von Einwirken auf Kinder mittels digitaler Medien (Cybergrooming).

Diese Fallzahlen gingen seit Jahren nicht zurück, schlug Rörig Alarm. Im Bereich der Kinderpornografie sei die Zahl der Fälle im Vergleich zum Vorjahr sogar um 65 Prozent gestiegen. Sexuelle Gewalt werde durch die Verbreitung im Netz weiter verstärkt.

Gesamtgesellschaftliche Aufgabe

„Wir dürfen nicht den Fehler machen zu glauben, dass sich die Bekämpfung von Missbrauch alleine durch Strafverschärfungen verbessern lässt,“ so Rörig. Der Kampf gegen sexuellen Missbrauch sei eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ und müsse von allen geführt werden.

Rörig schlägt in seinem Papier eine regelmäßige Berichtspflicht seines Amtes gegenüber Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat zum Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vor. Ähnliches sei für den Datenschutzbeauftragten bereits geregelt.

Die Länder sollten jeweils einen „ressortübergreifenden Masterplan“ auflegen, um Minderjährige besser vor sexueller Gewalt zu schützen, schlug Rörig vor. Zudem solle in jedem Bundesland das Amt eines Landesbeauftragten geschaffen werden.

Ärzte müssen Anzeichen erkennen

In die Pflicht nimmt der Missbrauchsbeauftragte auch die Ärzte. Sie seien oft „die ersten, manchmal auch die einzigen Menschen“, die die körperlichen und seelischen Folgen einer Gewalterfahrung zu sehen bekämen, sagte Rörig der „Ärzte Zeitung“ am Freitag. „Umso wichtiger ist es, dass Ärzte in der Lage sind, Anzeichen und Spuren von Gewalt zu erkennen, richtig zu deuten und vor allem zu wissen, was dann zu tun ist.“

Seine Behörde erreichten oft Berichte über Unsicherheiten, wie mit der Schweigepflicht umzugehen sei, sagte Rörig. Nicht alle Ärzte wüssten, dass sie gesetzlich befugt seien, Hinweisen auf Missbrauch nachzugehen und das Jugendamt zu kontaktieren. Jeder Praxis sollte die Nummer der Medizinischen Kinderschutzhotline (0800 19 210 00), die im Verdachtsfall berate, bekannt sein.

BVKJ: Grauzonen sind das Problem

Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dr. Thomas Fischbach, betonte, bei klaren Hinweisen auf Missbrauch wüssten Kinder- und Jugendärzte, was zu tun ist. „In solchen Fällen dürfen Ärzte nicht nur, sie müssen die Schweigepflicht brechen“, sagte Fischbach der „Ärzte Zeitung“ am Freitag.

Problematischer seien „Grauzonen“ bei der Gefährdungseinschätzung, so Fischbach. „Hier hat uns die Politik bislang weitgehend im Regen stehen lassen.“ Es fehlten klare Kommunikationswege zwischen Gesundheitswesen und Jugendhilfe. „Die funktionieren bislang nur in eine Richtung – von uns zu denen.“

Häufig erfuhren die Praxen überhaupt nicht, ob die als gefährdet eingestuften Kinder und Jugendlichen bei den Ämtern angekommen seien und was geschehen sei mit ihnen. „Es fehlt schlichtweg die Rückmeldung des Jugendamtes.“

Giffey plant Aufklärungskampagne

Familienministerin Dr. Franziska Giffey (SPD) kündigte unterdessen eine Aufklärungskampagne zum Thema Kindesmissbrauch an. Die Kampagne solle „sensibilisieren und Anregungen geben, wie mit Verdachtsfällen umgegangen werden kann“, sagte Giffey am Freitag. Im Entwurf für den Bundeshaushalt seien dafür zusätzliche Mittel von sieben Millionen Euro für 2021 und 2022 vorgesehen.

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

PrEP-Surveillance

So steht es um die PrEP-Versorgung in HIV-Schwerpunktpraxen

Vielversprechende Ergebnisse

Neue Strategie zur Tuberkulose-Früherkennung

DHS Jahrbuch Sucht

Suchtbericht: Deutschland hat ein Alkohol- und Tabakproblem

Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Tab. 1: Empfohlene Anfangsdosierungen von Ruxolitinib bei akuter und chronischer GvHD in Abhängigkeit vom Alter

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [5, 6]

Graft-versus-Host-Erkrankung

JAK1/2-Hemmung jetzt für Kinder unter zwölf Jahren und in neuer Darreichungsform möglich

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg
Abb. 1: Patienten mit DMD profitierten von einer über 24-wöchigen Vamorolon-Therapie im Vergleich zu einer Therapie mit Prednison in Bezug auf das Längenwachstum

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [14]

Duchenne-Muskeldystrophie (DMD)

Erstes dissoziatives Kortikosteroid zugelassen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Santhera (Germany) GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

S2k-Leitlinie

Husten – was tun, wenn er bleibt?

Lesetipps
Im Jahr 2023 wurden 10,8 Millionen Neuerkrankungen und 1,25 Millionen Todesfälle durch Tuberkulose registriert, mit stark heterogener globaler Verteilung.

© Dr_Microbe/stock.adobe.com

Vielversprechende Ergebnisse

Neue Strategie zur Tuberkulose-Früherkennung