Missbrauch von Kindern
Missbrauchsbeauftragter nimmt Bund, Länder und Ärzte in die Pflicht
Mehr als 13 .000 Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder sind den Ermittlungsbehörden 2019 gemeldet worden. Der Missbrauchsbeauftragte Rörig warnt: Strafverschärfung allein reicht nicht, um das Problem zu lösen.
Veröffentlicht:
Fordert mehr Engagement gegen Kindesmissbrauch: Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig.
© picture alliance / Flashpic
Berlin. Bund und Länder sollen mehr gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen tun. Das hat der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, am Freitag vor Journalisten in Berlin gefordert.
Sexuelle Gewalt gegen Kinder sei keine Ausnahmeerscheinung, sagte Rörig bei der Vorstellung eines Positionspapiers seines Hauses. „Sexueller Missbrauch findet täglich, überall und mitten unter uns statt.“
Zahlen seit Jahren nicht rückläufig
Dem von Rörig vorgelegten Positionspapier zufolge wurden den Ermittlungsbehörden im vergangenen Jahr mehr als 13 .000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch gemeldet. Das seien über 35 Missbrauchsfälle am Tag, schreibt die Behörde.
Hinzu kämen mehr als 1000 Fälle sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und Jugendlichen, rund 12 .000 angezeigte Fälle von Abbildungen sexueller Gewalt an Kindern, sogenannte Kinderpornografie, und etwa 3000 Fälle von Einwirken auf Kinder mittels digitaler Medien (Cybergrooming).
Diese Fallzahlen gingen seit Jahren nicht zurück, schlug Rörig Alarm. Im Bereich der Kinderpornografie sei die Zahl der Fälle im Vergleich zum Vorjahr sogar um 65 Prozent gestiegen. Sexuelle Gewalt werde durch die Verbreitung im Netz weiter verstärkt.
Gesamtgesellschaftliche Aufgabe
„Wir dürfen nicht den Fehler machen zu glauben, dass sich die Bekämpfung von Missbrauch alleine durch Strafverschärfungen verbessern lässt,“ so Rörig. Der Kampf gegen sexuellen Missbrauch sei eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ und müsse von allen geführt werden.
Rörig schlägt in seinem Papier eine regelmäßige Berichtspflicht seines Amtes gegenüber Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat zum Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vor. Ähnliches sei für den Datenschutzbeauftragten bereits geregelt.
Die Länder sollten jeweils einen „ressortübergreifenden Masterplan“ auflegen, um Minderjährige besser vor sexueller Gewalt zu schützen, schlug Rörig vor. Zudem solle in jedem Bundesland das Amt eines Landesbeauftragten geschaffen werden.
Ärzte müssen Anzeichen erkennen
In die Pflicht nimmt der Missbrauchsbeauftragte auch die Ärzte. Sie seien oft „die ersten, manchmal auch die einzigen Menschen“, die die körperlichen und seelischen Folgen einer Gewalterfahrung zu sehen bekämen, sagte Rörig der „Ärzte Zeitung“ am Freitag. „Umso wichtiger ist es, dass Ärzte in der Lage sind, Anzeichen und Spuren von Gewalt zu erkennen, richtig zu deuten und vor allem zu wissen, was dann zu tun ist.“
Seine Behörde erreichten oft Berichte über Unsicherheiten, wie mit der Schweigepflicht umzugehen sei, sagte Rörig. Nicht alle Ärzte wüssten, dass sie gesetzlich befugt seien, Hinweisen auf Missbrauch nachzugehen und das Jugendamt zu kontaktieren. Jeder Praxis sollte die Nummer der Medizinischen Kinderschutzhotline (0800 19 210 00), die im Verdachtsfall berate, bekannt sein.
BVKJ: Grauzonen sind das Problem
Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dr. Thomas Fischbach, betonte, bei klaren Hinweisen auf Missbrauch wüssten Kinder- und Jugendärzte, was zu tun ist. „In solchen Fällen dürfen Ärzte nicht nur, sie müssen die Schweigepflicht brechen“, sagte Fischbach der „Ärzte Zeitung“ am Freitag.
Problematischer seien „Grauzonen“ bei der Gefährdungseinschätzung, so Fischbach. „Hier hat uns die Politik bislang weitgehend im Regen stehen lassen.“ Es fehlten klare Kommunikationswege zwischen Gesundheitswesen und Jugendhilfe. „Die funktionieren bislang nur in eine Richtung – von uns zu denen.“
Häufig erfuhren die Praxen überhaupt nicht, ob die als gefährdet eingestuften Kinder und Jugendlichen bei den Ämtern angekommen seien und was geschehen sei mit ihnen. „Es fehlt schlichtweg die Rückmeldung des Jugendamtes.“
Giffey plant Aufklärungskampagne
Familienministerin Dr. Franziska Giffey (SPD) kündigte unterdessen eine Aufklärungskampagne zum Thema Kindesmissbrauch an. Die Kampagne solle „sensibilisieren und Anregungen geben, wie mit Verdachtsfällen umgegangen werden kann“, sagte Giffey am Freitag. Im Entwurf für den Bundeshaushalt seien dafür zusätzliche Mittel von sieben Millionen Euro für 2021 und 2022 vorgesehen.